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Was sich bei der Einwanderung von Fachkräften ändern soll

Veröffentlicht 29. März 2023Zuletzt aktualisiert 20. Juni 2023

In Deutschland sind zwei Millionen Stellen offen. Die Regierung will mit einem neuen Fachkräfte-Einwanderungsgesetz Menschen für den deutschen Arbeitsmarkt mobilisieren.

Deutschland | Welcome Center für ausländische Arbeitskräfte in Frankfurt
Bild: Peter Hille/DW

Deutschland werde das modernste Fachkräfte/Arbeitskräfte-Einwanderungsrecht der Welt bekommen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz beim Tag der Industrie. Er versprach unbürokratische Regelungen. Das fordert die Wirtschaft seit langem, denn Deutschland fehlen Fachkräfte. Pflegepersonal, IT-Experten, Handwerker, Techniker, Logistiker - von allen gibt es zu wenige. Laut Bundesarbeitsagentur müssten jährlich 400.000 Fachkräfte zuwandern und bleiben, um den Arbeitsmarkt stabil zu halten. 2021 waren es nur 40.000. Wenn die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre, demnächst in Rente gehen, verschärft sich das Problem.

Das neue Gesetz soll die Einwanderung von Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten erleichternBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil argumentiert: "Wir konkurrieren mit vielen Ländern um kluge Köpfe und helfende Hände. Dass wir die richtigen Kräfte bekommen, sichert den Wohlstand in Deutschland." Jetzt müssten alle Register im In- und Ausland gezogen werden, sonst fehlten bis 2035 sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte, warnt er.

Kurz vor der Verabschiedung im Parlament haben sich die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP auf letzte Details für das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz geeinigt. Es ist eine Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes der Vorgängerregierung aus CDU/CSU und SPD, das seit drei Jahren gilt. Die Regierung erhofft sich laut Gesetzentwurf jährlich etwa 75.000 zusätzliche Arbeitskräfte.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sind optimistischBild: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa

Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigt sich zufrieden: "Das ist eine sehr gute Nachricht für die Sicherung unseres Wohlstands, für einen starken Standort Deutschland und für unser modernes Einwanderungsland." Sie hat in der Vergangenheit aber auch darauf hingewiesen, wie wichtig eine weltoffene Haltung und echte Willkommenskultur in Deutschland seien, damit sich sowohl die Fachkräfte als auch mitziehende Familien hier wohlfühlten.

Was soll sich ändern in Deutschland?

Der Gesetzentwurf des Bundesinnen- und Bundesarbeitsministeriums will neue Möglichkeiten für Fach- und Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten öffnen, die in Deutschland arbeiten wollen. Es soll prinzipiell drei Wege geben: über die Qualifikation und Anerkennung von Abschlüssen, die weniger bürokratisch sein soll als bisher, über Berufserfahrung und ein neues Punktesystem für Menschen mit Potenzial, aber ohne bestehenden Arbeitsvertrag.

Blaue Karte EU mit weniger Gehalt

Künftig sollen mehr Menschen eine sogenannte Blaue Karte EU bekommen, denn die Gehaltsgrenze wird gesenkt. Die EU-weite Blaue Karte für hochqualifizierte Fachkräfte wurde in Deutschland vor zehn Jahren eingeführt. Ohne Vorrangprüfung, ob Deutsche oder EU-Bürger verfügbar wären, und ohne Sprachkenntnisse können Akademiker damit für ein Beschäftigungsverhältnis einreisen. Sie müssen bestimmte Mindesteinkommen erzielen, um Lohndumping auszuschließen. Diese Gehaltsgrenze wird gesenkt.

Bisher musste ein jährliches Mindestgehalt von 58.400 Euro und in Mangelberufen von 45.552 Euro nachgewiesen werden. Künftig soll das Mindestgehalt nach Informationen von Reuters bei 43.800 Euro liegen. IT-Spezialistinnen und Spezialisten können ohne Hochschulabschluss eine Blaue Karte EU erhalten, wenn sie über Berufserfahrung auf akademischem Niveau verfügen.

Fachkräfte dringend gesucht 

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Westbalkanregel: Künftig 50.000 Arbeitskräfte pro Jahr

Außerdem reagiert der Gesetzesentwurf auf eine sich wandelnde Arbeitswelt: Fachkräfte sollen künftig jede qualifizierte Beschäftigung ausüben dürfen, also auch die Branchen wechseln dürfen. Eine gelernte Mechanikerin kann also beispielsweise in Zukunft auch in der Logistik arbeiten.

Eine weitere Regelung betrifft Menschen aus Ländern auf dem Balkan. Die bis Ende 2023 befristete sogenannte Westbalkan-Regelung zur Anwerbung von Arbeitskräften aus sechs Westbalkan-Staaten wird entfristet. Das jährliche Kontingent wird auf 50.000 Arbeitskräfte erhöht und damit verdoppelt.

Weniger Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen

Ein großes Hindernis bei der Einwanderung von Arbeitskräften ist, dass ihre Abschlüsse in Deutschland anerkannt sein müssen. Das dauert oft sehr lange und ist sehr bürokratisch. Künftig müssen Menschen ihre Abschlüsse in Deutschland nicht mehr anerkennen lassen, wenn sie über ausreichend, das heißt mindestens zwei Jahre, Berufserfahrung verfügen und einen Abschluss, der im jeweiligen Herkunftsland staatlich anerkannt ist.

Diese Regelung richtet sich allerdings nur an Fachkräfte ab einer gewissen Gehaltsschwelle. Für diejenigen, die diese Gehaltsschwelle nicht erreichen und deshalb ihre Abschlüsse weiterhin in Deutschland anerkennen lassen müssen, sieht das Fachkräftegesetz ebenfalls eine Neuregelung vor: eine Anerkennungspartnerschaft mit dem Arbeitgeber. Die Fachkräfte können schon nach Deutschland kommen und anfangen zu arbeiten, während der Abschluss noch anerkannt wird.

Mit der Chancenkarte nach Deutschland

Außerdem soll eine sogenannte Chancenkarte eingeführt werden, die auf einem Punktesystem basiert. Damit können Menschen ein Jahr lang zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Voraussetzung ist ein ausländischer Berufs- oder Hochschulabschluss.

Zu den Kriterien für eine solche Chancenkarte können Sprachkenntnisse in Deutsch und/oder Englisch, Alter, Berufserfahrung, Verbindungen zu Deutschland und das Potenzial der mitziehenden Lebens- oder Ehepartnerinnen und -partner gehören. Außerdem dürfen Arbeitskräfte mit einer solchen Chancenkarte neben der Jobsuche bis zu 20 Stunden in der Woche arbeiten, auch eine Beschäftigung auf Probe ist erlaubt. Auch der Familiennachzug soll erleichtert werden. Ergänzt wurde nun, dass die Chancenkarte um bis zu zwei Jahre verlängert werden kann, wenn es einen Arbeitsvertrag für eine qualifizierte Beschäftigung gibt und die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat.

Auch in der Baubranche fehlen FachkräfteBild: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Spurwechsel für Asylbewerber

Zugang zum Arbeitsmarkt sollen künftig auch Menschen erhalten, die bis zum Stichtag 29. März 2023 in einem Asylverfahren waren. Voraussetzung ist, dass sie entsprechende Qualifikationen haben und es ein Arbeitsangebot gibt. Dann könnten sie auch eine Berufsausbildung beginnen. Für Asylbewerber nach dem 29. März ist ein solcher Wechsel in die Arbeitsmigration allerdings nicht möglich.

Eine unbürokratische Lösung soll es auch bei Menschen geben, die mit einem Touristenvisum eingereist sind und ein Arbeitsangebot erhalten. Sie müssten künftig nicht mehr ausreisen, wenn sie die Anforderungen des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes an die Qualifikation erfüllen.

Kritik und Wünsche

Kritisch äußerte sich schon im März die Opposition. "Einwanderung in prekäre Beschäftigung und ausbeuterische Verhältnisse muss entschieden entgegengetreten werden, statt sie auszuweiten", erklärte die Arbeitsmarktexpertin Susanne Ferschl von der Linken.

Der Fraktionsvize der konservativen Union aus CDU und CSU, Hermann Gröhe, kritisierte, der Gesetzentwurf der Regierung trage "nichts wirklich Wirksames" dazu bei, dass mehr gut ausbildete Menschen einwandern. Wichtig seien nicht neue Regelungen, sondern eine bessere Praxis. "Wenn tausende zuwanderungswillige Fachkräfte monatelang auf ein Visum oder ihre Berufsanerkennung warten, braucht es endlich genügend Personal zum Beispiel in den Auslandsvertretungen - und keine neuen Punkteregelungen."

"Wenn ein Informatiker aus Pakistan oder Indien Monate warten muss, bis er einen Termin im Konsulat wegen des Visums bekommt, wird er im Zweifel ein anderes Zielland wählen", sagte auch Gerd Landsberg vom Städte- und Gemeindebund der "Rheinischen Post". Er forderte schnellere, digitalisierte Visa-Verfahren, denn alle Industriestaaten konkurrierten um Fachkräfte.

"Das beste Gesetz nützt nichts ohne einen guten Vollzug", mahnte auch der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) im Interview der "Funke Mediengruppe". Die Verfahren zur Fachkräfte-Einwanderung müssten radikal vereinfacht werden durch Entbürokratisierung und Beschleunigung in der Verwaltung.

Deutschland braucht weniger Bürokratie und eine umfassende Digitalisierung - das fordern ExpertenBild: chromorange/picture alliance

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) vermisst konsequente Digitalisierung. Beim Schriftverkehr mit Ausländerbehörden bekäme die BA immer noch in der Hälfte aller Fälle Faxe und Briefe, sagte Vanessa Ahuja, Vorständin für Internationales. Die BA wünsche sich "100 Prozent digitale Wege" - genau das, was bisher auch viele Fachkräfte aus anderen Staaten in Deutschland vermissen.

Das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung soll in dieser Woche vom Bundestag beschlossen werden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 30.03.2024 und wurde am 20.06.2024 aktualisiert.

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