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Kunst

"www for sale": Internet-Geschichte in Auktion

Julia Hitz
1. Juli 2021

Sie mischen den Kunstmarkt auf: Non-fungible Tokens (NFT) erreichen Rekordsummen. Erfinder Tim Berners-Lee versteigerte jetzt seinen Quellcode vom WWW.

Computerwissenschaftler Tim Berners-Lee Erfinder des WWW Quellcodes vor einem Computerbildschirm im Jahr 1994 im Cern in Genf
Tim Berners-Lee 1994 im Cern in GenfBild: DB CERN Genf/dpa/picture alliance

Früher versteigerten Auktionshäuser Ölgemälde, jetzt kann man dort auch auf sogenannte NFTs bieten. Das ist die Abkürzung für "Non-fungible tokens" - nicht veränderbare digitale Zertifikate und somit virtuelle Originale. Sie werden - laienhaft ausgedrückt - dem digitalen Objekt angeheftet und kennzeichnen so die Urheberschaft. Nicht manipulierbar und fälschungssicher treten die NFTs nun an, den Kunstmarkt zu revolutionieren. 

Man könnte auch sagen: Digitale Kunst ist mit einem Donnerschlag auf dem etablierten Kunstmarkt angekommen. Denn erst im März diesen Jahres ging das Werk "Everydays: The First 5000 Days" von Digitalkünstler Beeple beim Auktionshaus Christie's für 69 Millionen US-Dollar bei einer Auktion an den Meistbietenden. Und machte den US-Künstler Mike Winkelmann auf einen Schlag zum teuersten Künstler der digitalen Sphäre. Es war der dritthöchste Auktionspreis für ein Werk eines lebenden Künstlers überhaupt.

Teuerstes NFT-Werk bislang: Dine digitale Collage "EVERYDAYS: THE FIRST 5000 DAYS" von Beeple Bild: Christie's Images LTD. 2021/BEEPLE/Handout via REUTERS

Ein Stück Internet-Geschichte besitzen

Auch das britische Auktionshaus Sotheby's mischt seit Mai im Handel digitaler Kunst mit. Für die Digital Natives haben historische Sammlerobjekte wie der Quellcode des World Wide Web einen hohen Wert. Deswegen kam genau der jetzt bei Sotheby's unter den Hammer und brachte 5,4 Millionen Dollar (gut 4,5 Millionen Euro) ein.

Für Tim Berners-Lee selbst ist der Verkauf seines Codes als NFT nur logisch. "Als Computerwissenschaftler ist das etwas ganz Natürliches, eine digitale Registratur für ein digitales Artefakt zu nutzen", wird Berners-Lee von Sotheby's zitiert. Der Internet-Pionier hatte am 12. März 1989 seinen Vorschlag für ein System für Informationsmanagement vorgelegt, aus dem das World Wide Web hervorging.

Er arbeitete damals bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) in Genf. Die Auktion steht in einer Reihe spektakulärer Versteigerungen wegweisender technischer Produkte aus dem 20. Jahrhundert.

Tim Berners-Lee erfand 1989 das World Wide WebBild: Ed Quinn

Wie aus digitaler Spielerei Big Business wird

Die Tokens haben großes Potential: Alle Informationen über Transfers und Besitzer, ob Privatleute oder Museen, werden auf ihnen festgehalten - und Künstlerinnen und Künstler können dadurch bei jedem Weiterverkauf mitverdienen. "Sie sind wie eine Art Werteregister", so Kunstexperte Georg Bak gegenüber der DW. "Dies ist die Anfangsphase, und es sind noch einige Probleme zu lösen. Aber das ist kein Hype, der vorüber geht; das wird den Kunstmarkt - und vielleicht noch viel mehr - grundlegend verändern."

Momentan läuft ein paralleler Prozess: Marktplattformen wie Open Sea generieren immer mehr Umsatz und verhandeln, was von Wert ist. Hierbei sind die Digital Natives - ob Investoren, Sammler oder Künstler - die entscheidenden Treiber. Die großen Auktionshäuser haben das erkannt und bringen jetzt interessante Artefakte auf den Markt. Selbst Ebay ist 2021 in den Verkauf von NFTs eingestiegen.

Sotheby's zeigt sich elektrisiert von den neuen Möglichkeiten. "Vor NFT hätten wir ein digitales Artefakt wie diesen Quellcode niemals verkaufen können, obwohl es ihn ja seit 1990 gibt", so die Verantwortliche bei Sotheby's, Cassandra Hatton: "NFT schafft die Möglichkeit, eine Lücke zwischen verschiedenen Generationen zu schließen, eine Brücke zu schlagen zwischen der digitalen Welt und der Welt der Auktionshäuser."

Meilensteine für die Digital Natives

Neben digitalen historischen Artefakten sind es Meilensteine der digitalen Kunst, die von den großen Auktionshäusern zum Verkauf angeboten werden. Manchmal sind sie auch beides auf einmal. Die CryptoPunks etwa vom dem US-amerikanischen KryptoArt-Unternehmerduo Larva Labs. Das Kunstprojekt war 2017 das erste NFT, das auf den Markt kam. Die Form? 10.000 pixelige Punks in der Optik der 1980er-Jahre, das Original als NFT - und damit sind all seine Bewegungen gesichert. Neun der originalen CryptoPunks wurden bei Christie's im Mai für knapp 17 Millionen Dollar versteigert.

Sie waren die ersten NFTs: CryptoPunks von Larva LabsBild: Cindy Ord/Getty Images

Sotheby's setzte zuletzt auf einen Mix historischer Krypto-Kunst wie von Larva Labs oder Kevin McCoy, Stars der Generativen Kunst wie Anna Ridler, aber auch Digitalkünstler wie Mario Klingemann oder Addie Wagenknecht.

"Neue Phase der Reflexion"

"Die ganze Kulturgeschichte des Internets, Netzkultur und generativer Kunst wird versteigert werden", prognostiziert Georg Bak. "Sowohl Museen als auch traditionelle Sammler nehmen das mittlerweile ernst." Auch wenn bei vielen noch Orientierungslosigkeit herrsche, weil hier für viele ganz neue Künstler und digitale Objekte auf der Bühne erscheinen.

Das Hauptproblem der Digitalkunst sei gewesen, dass sie zu einfach reproduzierbar und oft mit möglichen Hardwareproblemen gekoppelt war, erläutert Bak. Man hatte Angst, dass die Technologie in Kürze schon wieder überholt sein würde. "Das war für normale Sammler lange abschreckend", so Bak. Mit den NFTs wird aber nur noch ein digitales File übertragen, ein Original: keine Transportkosten, kein Zoll, keine Verpackung. "Es hat den Kunstmarkt kalt erwischt, aber nun beginnt eine ganz neue Phase der Reflexion", so Bak.

Kunstmarkt goes digital

Zum einen ziehen die Auktionen mit NFTs also eine neue Art von Sammlern in die etablierten Auktionshäuser. Sie dürfen jetzt auch in der ihnen vertrauten Krypto-Währung bezahlen. Zum anderen mischen die großen Auktionshäuser bei der Ausbildung eines neuen Kunst-Kanons im Digitalen mit und machen klassische Sammler mit der digitalen Kunst vertraut.

Eigentlich ist es eine Win-win-Situation und beide profitieren voneinander, meint Georg Bak. "Jetzt wird digitale Kultur verhandelt unter den Sammlern." Eine aufregende Zeit nicht nur für die Künstlerinnen und Künstler, auch für die Wirtschaft drumherum. "Es kommen ganz neue Formen, wie man die Kunst präsentieren kann, auch sehr viel hybride Formen", so Bak.

Erste physische Ausstellung des NFTs "Quantum" von Kevin McCoy, das Anfang Juni von Sotheby's versteigert wurdeBild: John Angelillo/newscom/picture alliance

Digitale Vielfalt statt goldener Bilderrahmen

Bei der aktuellen Versteigerung des Quellcodes von Sir Tim Berners-Lee gehörte zum NFT nicht nur das Original-File mit Zeitstempel und Unterschrift, sondern auch eine animierte Visualisierung des Quellcodes, ein digitales Poster mit dem kompletten Code und ein Essay von Berners-Lee zu seinem Code.

Bei der Überlegung, welche fantasievolle Darstellungsformen für digitale Kunst noch ersonnen werden könnten, kann einem schwindlig werden. Genauso wie bei der Betrachtung der Summen, die NFT-Kunst derzeit in Bewegung setzt. Und diese Entwicklungen stehen erst am Anfang.

Dieser Artikel wurde am 1.7.21 aktualisiert. 

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