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Politik

Was steckt hinter dem Regierungswechsel?

Roman Goncharenko | Eugen Theise
5. März 2020

Nach dem Regierungswechsel in Kiew bleiben die Hintergründe unklar. Einige Schlüsselposten sind unbesetzt. Der neue Regierungschef Denys Schmyhal verspricht mehr soziale Leistungen. Für Kritik sorgt seine Vergangenheit.

Ukraine Kiew | Parlamentssitzung: Neugewählter Premierminister  Denis Schmyhal
Neuer Premier Schmyhal: "Kurs der alten Regierung grundsätzlich fortsetzen"Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Lukatsky

Die Ukraine hat eine neue Regierung. Das Parlament stimmte am Mittwoch für den Rücktritt des Ministerpräsidenten Oleksij Hontscharuk und ernannte Denys Schmyhal zu seinem Nachfolger. Präsident Wolodymyr Selenskyj räumte ein, dass sein Experiment, mit einer jungen und unerfahrenen Regierung an den Start zu gehen, bereits nach sechs Monaten gescheitert ist. "Neue Gesichter sind nicht genug. Man braucht neue Hirne und neue Herzen", sagte der Staatschef im Parlament.

Rätseln über eiligen Regierungswechsel

Der Wechsel zeichnete sich zwar ab, wirkte am Ende allerdings überstürzt. Bereits Mitte Januar hatte ein Skandal dafür gesorgt, dass der Sessel des 35-jährigen Premiers zu wackeln begann. Es tauchten Tonaufnahmen einer Sitzung mit Regierungsmitgliedern auf, bei der Hontscharuk die Kompetenz des Präsidenten in Volkswirtschaftsfragen angezweifelt hatte. Damals hielt Selenskyj zu ihm. Neue Gerüchte über seine Ablösung dementierte Hontscharuk.

In seiner Rede am Mittwoch begründete der Präsident den Regierungswechsel mit einem Milliardenloch im Haushalt und sinkender Wirtschaftsleistung. Er kritisierte auch umstrittene Gehaltserhöhungen für Minister und Führungskräfte in Staatsfirmen.

Präsident Selenskyj: "Neue Hirne und neue Herzen"Bild: picture-alliance/NurPhoto&S. Kharchenko

Es bleibe jedoch unklar, warum nicht einzelne Minister, sondern ein Großteil der Regierung gehen mussten, monierte in einem DW-Gespräch Beate Apelt, Projektleiterin Ukraine und Belarus der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung mit Sitz in Kiew. "In vielen Fällen kann ich die Entscheidung bisher nicht begründet nachvollziehen", so Apelt. Die Tatsache, dass drei frühere Regierungsmitglieder, darunter der Wirtschaftsminister, sich geweigert haben, in die neue Regierung zu wechseln und es keine Ersatzkandidaten gab, spricht für eine eilige Entscheidung. Diese Posten würde man später besetzten, heißt es von der neuen Regierung.

Wer ist der neue Ministerpräsident Schmyhal

Der neue ukrainische Ministerpräsident, Denys Schmyhal, ist mit 44 Jahren nicht nur älter als sein Vorgänger, sondern hat deutlich mehr Erfahrung. Der im westukrainischen Lemberg geborene Ex-Manager wechselte Anfang Februar in das Kabinett Hontscharuk und wurde Vizeregierungschef und Minister für Gemeindeentwicklung. Zuvor war Schmyhal ein halbes Jahr Gouverneur des westukrainischen Gebiets Iwano-Frankiwsk. Er hat Wirtschaft und Verwaltung studiert, unter anderem an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH).

Ex-Ministerpräsident Hontscharuk (r.): Nur sechs Monate RegierungschefBild: picture alliance/dpa

Die meisten Ukrainer kannten ihn bis vor Kurzem kaum, doch in der Westukraine hatte er sich einen Namen gemacht, als Abteilungsleiter Wirtschaft in der Lemberger Gebietsverwaltung und Manager in der Privatwirtschaft. Schmyhal war zwischen 2017 und 2019 Manager im größten ukrainischen Stromkonzern DTEK, der zum Wirtschaftsimperium von Rinat Achmetow gehört.

Achmetow, ein Oligarch aus Donezk, galt lange als reichster Ukrainer und als einflussreiche Figur in der prorussischen Partei der Regionen des 2014 nach Russland geflüchteten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Auch einige neue Minister, die Schmyhal in die Regierung brachte, hatten unter Janukowitsch Karriere gemacht. Manche Oppositionspolitiker im Parlament sprechen deshalb von einer "Regierung Janukowitsch 2020" und wittern eine "Revanche".

Geht es Selenskyj um seine sinkende Popularität?

Einen Tag nach dem Regierungswechsel bleiben die Hintergründe unklar. In manchen ukrainischen Medien gibt es Spekulationen, wonach Hontscharuk vor allem wegen eines Streits mit dem Präsidenten um einen Führungswechsel in einem staatlichen Energieunternehmen gehen musste. Der Premier erwähnte dieses Unternehmen in seiner Abschiedsrede vor dem Parlament, blieb jedoch bei einer Andeutung.

Die meisten Beobachter in Kiew sehen den Grund für den Regierungswechsel in der sinkenden Popularität von Selenskyj. Die Beliebtheit des Präsidenten sank laut einer Umfrage von über 70 Prozent im September auf rund 50 Prozent Ende 2019. "Wir sehen seit geraumer Zeit eine stetige Verschlechterung der Umfragewerte von Herrn Selenskyj persönlich, aber auch von der Regierung", sagt Beate Apelt von der Naumann-Stiftung. "Ich kann mir vorstellen, dass so ein Paukenschlag wie die Regierungsumbildung dazu dienen soll, einen Neustart zu machen und diese Umfragewerte wieder anzuheben." Apelt bezweifelt jedoch, dass das gelingen kann.

Der neue Ministerpräsident Schmyhal versprach in seiner Rede vor dem Parlament, eine Haushaltskrise abzuwenden, soziale Leistungen und Renten zu erhöhen und Ministergehälter zu kürzen. Grundsätzlich, sagte er, wolle man den Kurs der vorherigen Regierung fortsetzen.

Parlament entlässt Generalstaatsanwalt

Am Donnerstag wurde bekannt, dass es im Umfeld der ukrainischen Regierung eine weitere, wichtige Personalentscheidung gibt. Das ukrainische Parlament hat den Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka entlassen. Er soll gegen die Interessen des Staates gehandelt haben, so der Vorwurf. Rjaboschapka soll die Interessen von Ex-Präsident Petro Poroschenko vertreten zu haben. Gegen den voriges Jahr abgewählten Staatschef laufen nach rund zwölf Anzeigen Vorermittlungen unter anderem wegen Korruption und Geldwäsche. Verfahren gegen das Umfeld von Poroschenko seien verschleppt worden, hieß es im Parlament in Kiew.


In der Sondersitzung stimmten 263 Abgeordnete für die Entlassung des Generalstaatsanwalts. 226 Stimmen wären nötig gewesen. Rjaboschapka selbst sah den Oligarchen Igor Kolomoiski hinter seiner Entlassung. Kolomoiski habe ihm selbst schadende Verfahren stoppen wollen. Mit der Entscheidung geht die Parlamentsmehrheit auf Konfrontation mit dem Westen. Noch am Dienstag hatten die Botschafter der führenden sieben größten Industrienationen sich demonstrativ hinter den Juristen gestellt. Sie hatten ihn für die begonnene Reform der Staatsanwaltschaft gelobt.

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