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Politik

Was steckt hinter Russlands ICC-Rückzug?

Roman Goncharenko
17. November 2016

Vorwürfe wegen der Krim-Annexion, der Ostukraine und Syrien: Ob Russlands Führung vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag landen könnte, erläutern Völkerrechtsexperten.

Wladimir Putin
Bild: picture-alliance/AP Photo/M.Schreiber

"Den Haag wartet auf Putin": Seit der Annexion der Krim durch Russland Anfang 2014 ist das eine Sehnsuchtsbotschaft vieler Ukrainer geworden. Vor allem in sozialen Netzwerken kursieren unzählige sogenannte Internet-Memes, Videos oder Bildercollagen, die den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der Anklagebank vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) zeigen. Seit Mittwoch ist klar: Es wird wohl bei solchen Wunschvorstellungen in sozialen Netzwerken bleiben. Russland hat angekündigt, seine Zustimmung für den ICC zu widerrufen. Putin beauftragte sein Außenministerium, den UN-Generalsekretär entsprechend zu informieren.

Otto Luchterhandt ist davon nicht überrascht: "Das ist ein Schritt in eine Richtung, die sich bereits in anderer Hinsicht angekündigt hat", sagte der ehemalige Abteilungsleiter für Ostrechtsforschung an der Universität Hamburg in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Der Experte erinnerte an die seit 2015 geltende Haltung des russischen Verfassungsgerichts, wonach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg erst dann umgesetzt werden, wenn sie russischen Gesetzen nicht widersprechen. Russland lasse gegenüber internationalen Entscheidungen eine "zunehmende Ablehnung" erkennen, stellt Luchterhandt fest.

Pierre Thielbörger, Leiter des Instituts für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) an der Ruhr-Universität Bochum, sagte der DW, Moskaus Entscheidung, sich vom ICC zurückzuziehen, sei politisch und habe "nicht wirklich juristische Bedeutung". Russland sei nicht an das Gericht gebunden gewesen. 

Moskau: ICC ineffektiv und voreingenommen

Der ICC mit Sitz in Den Haag wurde 1998 gegründet und soll vor allem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen. Das sogenannte Römische Statut, die völkerrechtliche Grundlage dafür, hat Russland im Jahr 2000 unterzeichnet, doch bis heute nicht ratifiziert. Nun zieht sich Moskau ganz aus dem UN-Gerichtshof zurück. Der ICC sei ineffektiv und voreingenommen, sagte dazu Leonid Slutzkij, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament. Ähnlich äußerte sich am Donnerstag die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa.

In westlichen, aber auch in ukrainischen Medien wird spekuliert, ob diese Entscheidung Moskaus mit den jüngsten Nachrichten aus Den Haag zu tun haben könnte. Im Zuge von Vorermittlungen teilte die ICC-Chefanklägerin am Montag mit, die Annexion der Krim 2014 deute auf einen bewaffneten internationalen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hin. Das gelte teilweise auch für den Krieg in der Ostukraine. Es ist wohl das erste Mal, dass eine internationale Instanz diesen Konflikt als eine kriegerische Konfrontation einstuft.

Der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs in Den HaagBild: Imago

Gefahr für Putin und seine Minister?

In der Ukraine mache sich Russland der Aggression schuldig, glaubt der Ostrechtsexperte Otto Luchterhandt. Dieser Straftatbestand sei erst 2010 in einem Artikel des Römischen Statuts konkretisiert worden und werde ab 2017 faktisch in Kraft treten. "Jedenfalls haben wir es (in der Ukraine) mit Vorgängen zu tun, die nach objektiver juristischer Einschätzung als eine Realisierung des Verbrechens der Aggression durch die Russische Föderation qualifiziert werden müssen", sagt Luchterhandt. Es sei möglich, dass Russland in absehbarer Zeit vor den ICC hätte "gezerrt" werden können.

Der Experte verweist darauf, dass das Römische Statut explizit auch die Verantwortung der Amtsträger für eine Aggression vorsieht. In diesem Fall seien es der Präsident, der Ministerpräsident, der Verteidigungsminister oder der Generalstabschef. Nach Moskaus Ankündigung sei jedoch deren Verurteilung von dem ICC in Den Haag "definitiv ausgeschlossen", so Luchterhandt.

Pierre Thielbörger vom IFHV in Bochum sieht nur eine verbleibende Möglichkeit, wie sich russische Staatsbürger doch noch vor dem ICC verantworten könnten. Der mögliche Anknüpfungspunkt sei, dass die mutmaßlichen Verbrechen auf dem Territorium der Ukraine geschehen seien. "Zwar hat die Ukraine auch selbst das Rom-Statut nicht ratifiziert, aber die Ukraine hat dem ICC durch eine Erklärung eine limitierte Ermächtigung erteilt, die Sache zu untersuchen. Wenn dieser Weg weiter verfolgt wird, könnte das unter Umständen irgendwann auch russische Staatsbürger betreffen", meint Thielbörger. Dann allerdings würde sich der ICC in ein politisches Minenfeld begeben. "Es darf mit Spannung erwartet werden, ob und wie das tatsächlich geschieht", sagt der Völkerrechtsexperte aus Bochum.

Die Ukraine, Syrien, Georgien

Der Konflikt in der Ukraine ist nicht der einzige Anlass, warum sich Russland vor dem ICC hätte verantworten können, meint Luchterhandt. Er erinnert an den aktuellen militärischen Einsatz Russlands in Syrien und Vorwürfe der Kriegsverbrechen dort, die im Oktober unter anderem vom französischen Präsidenten Francois Hollande oder dem britischen Außenminister Boris Johnson ausgesprochen wurden. Es gebe in Syrien Vorgänge, die man als Kriegsverbrechen und als Verstoß gegen das Römische Statut einstufen könnte, sagt Luchterhandt: "Hier geht es insbesondere um das Bombardement der Zivilbevölkerung und ziviler Einrichtungen."

Schließlich gibt es noch einen weiteren militärischen Konflikt mit russischer Beteiligung, der fast vergessen scheint: den Krieg zwischen Russland und der früheren Sowjetrepublik Georgien 2008. Auch dazu laufen beim ICC Vorermittlungen. 

Auf den Spuren der USA

Russland ist nicht das einzige Land der Welt, das die Zusammenarbeit mit dem ICC verweigert. Das gilt auch für Moskaus Erzrivalen auf der internationalen Bühne, die USA. Neulich haben einige afrikanische Staaten angekündigt, sich aus dem ICC zurückzuziehen. Selbst das ukrainische Parlament hat das Römische Statut bis heute nicht ratifiziert und wird dafür im eigenen Land kritisiert.

Wenn sich Russland mit den USA vergleicht, scheinen die Machthaber in Moskau zu vergessen, wie sehr der Ruf Washingtons nach seinen international umstrittenen Entscheidungen wie etwa beim Einmarsch im Irak (2003) gelitten hatte, sagt der russische Publizist Iwan Preobraschenskij. Wenn Russland so weitermache, könne es den Bezug zum Völkerrecht ganz verlieren, gibt er zu bedenken. Auch eine internationale Isolation wäre dann möglich.

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