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Politik

Was steht im umstrittenen Hongkonger Sicherheitsgesetz?

Chengxin Li
2. Juli 2020

Das kontroverse Sicherheitsgesetz für Hongkong ist in Kraft getreten. Kritiker befürchten, dass damit das Ende der Autonomie Hongkongs besiegelt ist. Die DW erklärt die Knackpunkte.

Hongkong |  Proteste gegen das nationale Sicherheitsrecht
Demonstranten in Hongkong gegen das SicherheitsgesetzBild: Reuters/T. Siu

Erst 60 Minuten vor Inkrafttreten erfuhr die ganze Welt den Wortlaut des neuen Sicherheitsgesetzes für Hongkong, den die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte. Das Gesetz hat sechs Paragrafen mit 66 Absätzen und sichert der Zentralregierung in Peking den absoluten Durchgriff in Hongkong.

Grundsätzlich gilt, dass der Gesetzestext nach Einschätzung von Experten an vielen Stellen vage formuliert ist, was den Sicherheitskräften viel Spielraum zu seiner Anwendung lässt.

Die wichtigsten Punkte im Überblick:

1.    Legale Auslieferung an die chinesische Justiz

Bisher war die Strafverfolgung in Hongkong autonom. Die unabhängige Justiz entschied nach Hongkonger Gesetzen, wie und unter welchen Umständen einem Tatverdächtigen der Prozess gemacht wird. 

Das neue Gesetz ermöglicht dem chinesischen Sicherheitsbüro in Hongkong, das seinen Betrieb schon am Mittwoch aufgenommen hat, bei "außergewöhnlicher Gefahrenlage" oder bei der "Beteiligung ausländischer Kräfte", nach der chinesischen Strafprozessordnung zu verfahren. Das bedeutet, dass letztlich die Staatsanwaltschaft in Peking die Ermittlungen führt und die Strafprozessordnung der Volksrepublik China gilt.

Die ursprünglichen Proteste der Hongkonger richteten sich gegen ein Auslieferungsgesetz, das den Zugriff Pekings allererst ermöglicht hätte. Das neue Sicherheitsgesetz ermöglicht nun genau das.

2.    Geltungsbereich

Das neue Sicherheitsgesetz wird auf alle Personen angewendet, die sich in Hongkong aufhalten, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Das bedeutet, Staatsbürgern demokratischer Länder könnte in Peking vor dem Obersten Gerichtshof der Prozess gemacht werden, wenn sie sich in Hongkong für die Unabhängigkeit der ehemaligen britischen Kolonie einsetzen. Auch Fluggäste, die lediglich am Flughafen in Hongkong umsteigen, könnten unter Umständen verfolgt werden. 

Ein Taxi in Hongkong überfährt die Nationalflagge ChinasBild: Reuters/Tyrone Siu

3. Unbegrenzte Haft für Tatverdächtige

Bisher durfte die Polizei in Hongkong Tatverdächtige maximal 48 Stunden festhalten.

Absatz 42 des Sicherheitsgesetzes sieht nun vor, dass Tatverdächtige so lange inhaftiert bleiben können, bis der Richter der "festen Überzeugung" ist, dass keine weiteren sicherheitsgefährdenden Aktivitäten von ihnen ausgehen. 

4.    Straftaten weit und breit definiert

Das Sicherheitsgesetz wird auf vier Straftatbestände angewendet: Spaltung des Staats, Untergrabung der Staatsgewalt, Terroraktivitäten und Gefährdung der Staatssicherheit unter Beteiligung ausländischer Kräfte. Das höchste Strafmaß: lebenslängliche Freiheitsstrafe.

Ungewöhnlich ist, dass lebenslange Haft von einer nur mit drei Richtern besetzten Strafkammer ohne Geschworene verhängt werden kann. Im angelsächsischen Justizsystem, auf dem der Hongkonger Rechtsstaat  basiert, eine ungewöhnliche Ausnahme. 

In der Praxis bedeutet das, wer friedlich auf der Straße eine Fahne mit der Inschrift "Unabhängigkeit für Hongkong" hisst, macht sich strafbar. Vandalismus oder das Besprühen von Wänden mit Slogans können als "Terrorismus" eingestuft werden. Wer einen vermeintlichen Terroristen im Auto mitnimmt, kann als Terrorunterstützer gelten. Ausländer, die sich kritisch gegenüber Peking äußern, müssen mit einer Befragung durch das Sicherheitsbüro rechnen.

Verwaltungschefin Carrie Lam auf der Feierlichkeit anlässlich 23 Jahre nach der Übergabe Hongkongs an ChinaBild: Reuters/cnsphoto

4.    Nicht öffentliche Sitzung

Nach Absatz 44 des neuen Sicherheitsgesetzes müssen Anhörungen nicht öffentlich sein. Die Begründung: Staatssicherheit Die Strafverfolgungsbehörden können also hinter verschlossenen Türen agieren.

5.    Sonderrechte für Sicherheitsbüro

Der rechtliche Status des neu geschaffenen Sicherheitsbüros in Hongkong ist nicht klar. Dieses soll unter "Aufsicht staatlicher Behörden" stehen. Allerdings ist es nicht klar, welche Behörde in Peking die Fach- und Rechtsaufsicht ausübt.

Das Büro wird von der Zentralregierung finanziert, die Mitarbeiter werden von Peking entsendet. Diese genießen eine Art "Immunität". Die Hongkonger Gesetze gelten nicht für sie bei ihren dienstlichen Aktivitäten. Die Polizei in Hongkong dürfen die Mitarbeiter und ihre Fahrzeuge nicht durchsuchen oder festhalten. 

Hongkonger Polizei bei einer Festnahme am 1. Juli 2020Bild: Reuters/T. Siu

6.    Grenzlose Befugnisse für Polizei

Wenn die Polizei in Hongkong im Fall einer sicherheitsgefährdenden Straftat ermittelt, darf ohne richterlichen Beschluss "Wohnungen, Fahrzeuge, Schiffe, Fluggeräte und elektronische Geräte" durchsuchen und beschlagnahmen. Als Voraussetzung reicht der Anfangsverdacht. Abhören darf die Polizei nach Zustimmung der Verwaltungschefin. Betroffene dürfen nicht ausreisen. Privateigentum darf unter bestimmten Voraussetzungen beschlagnahmt werden. 

7.    Nulla poena sine lege

Der einzige Lichtblick im Gesetzestext ist, dass es nicht rückwirkend gilt. Das Gesetzlichkeitsprinzip bedeutet nämlich: Keine Strafe ohne Gesetz. In Falle von Hongkong dürfen die Taten vor dem Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes am 1. Juli 2020 nicht rückwirkend verfolgt werden. Das sieht Absatz 39 vor.

8.    Denunziation erwünscht

Wer andere anzeigt und Strafverfolgungsbehörden entscheidende Hinweise liefert, erhält Strafminderung oder Straffreiheit. 

9. Werbeaktion in Schulen und sozialen Medien

Die Stadtverwaltung verpflichtet sich dazu in Schulen, bei den Sozialverbänden und in den sozialen Medien, umfassend für die Aufrechterhaltung der Staatssicherheit zu werben und die Bewohner für dieses Thema zu "sensibilisieren".

Der Hong Konger Anwalt und Autor Antony Dapiran sagte zur Einschätzung gegenüber der Deutschen Welle: "Ich denke, das Gesetz ist insbesondere für die junge Generation wirklich deprimierend. Was auch immer sie versuchen, sie werden von der Regierung ausgebremst. Es ist wirklich traurig für die politisch aktiven Jungen Hongkonger, die sich für die Zukunft engagieren und nun feststellen müssen, dass sie keine Chance haben."

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