1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Hannah Arendt, Trump und die totale Herrschaft

Elizabeth Grenier
3. Februar 2017

"Alternative Fakten" aus dem Weißen Haus - und plötzlich werden nicht nur Klassiker der Weltliteratur wie George Orwells "1984" zu Bestsellern. Auch Hannah Arendts Essays zum Totalitarismus sind wieder in.

Wissenschaft des Judentums
Bild: Leo Baeck Institute

Hannah Arendt wird 1906 in Deutschland als Tochter jüdischer Eltern geboren. 1933 flieht sie vor den Nazis, erst für einige Jahre nach Frankreich, wo sie wochenlang unter dem Vichy Regime in einem Auffanglager interniert wird; 1941 emigriert Arendt in die USA, und erhält zehn Jahre später die US-Staatsbürgerschaft.

Die gesellschafts- und politikwissenschaftliche Theoretikerin - die den Beinahe-Kollaps einer Zivilisation hautnah miterlebt hatte - ist eine der ersten, die untersuchte, wie es zum Aufstieg totalitärer politischer Systeme im frühen 20. Jahrhundert kommen konnte.

Arendts Totalitarismus-Theorie wird 2017 zum Bestseller 

1951 veröffentlicht Arendt mit "The Origins of Totalitarianism" eines ihrer Hauptwerke. Sie beschreibt die Entwicklung des Antisemitismus im 18. und 19. Jahrhundert, das Aufkommen des Rassismus' und des Imperialismus' im 19. und frühen 20. Jahrhundert, und erstellt eine umfassende Theorie des Totalitarismus basierend auf dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus. Die deutsche Übersetzung ("Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft") folgt vier Jahre später.

Der 500-Seiten-Wälzer ist auch heute noch auf Leselisten in politikwissenschaftlichen Seminaren zu finden, aber das Zeug zu einem Bestseller hatte das Werk nicht - bisher. In den USA war "The Origins of Totalitarianism" seit Donald Trumps Amtseinführung bei dem Online-Versandhändler Amazon zeitweise vergriffen.

Wie totalitär ist Trump?

Die vielen neuen Arendt-Fans versuchen womöglich zu verstehen, wohin die Präsidentschaft eines Donald Trump führen kann. Nach Arendts Interpretation des Begriffs sei Trump allerdings nicht totalitär, meint Roger Berkowitz vom "Hannah Arendt Zentrum für Politik und Menschlichkeit" am Bard College in New York. "Er zeigt lediglich, was sie 'Elemente' des Totalitarismus nennt", erklärt der Professor im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Aber die deutsch-amerikanische Philosophin war auch der Meinung, dass "eine Bewegung Kernbestandteil" des Totalitarismus sei - und Trump habe sich ausdrücklich als Sprachrohr einer Bewegung bezeichnet. "Das ist für einen Politiker eine sehr gefährliche Position", so Berkowitz.

Simple Lösungen in Zeiten weltweiter Unruhe

Arendts Analysen der politischen Gegebenheiten ihrer Zeit können nicht eins zu eins auf die komplexe heutige Situation übertragen werden, aber viele Beobachtungen sind auch heute relevant und geben Einblick in die Mechanismen, die es so vielen Menschen möglich machen, Lügen in Zeiten globaler Unsicherheiten zu akzeptieren.

Renommierte US-Zeitungen wie die "New York Times" oder "Washington Post" greifen Arendts Gedanken auf. In den sozialen Medien wird folgendes Zitat immer wieder gepostet: "Alles ist möglich, nichts ist wahr".

In solch einem Kontext werden vereinfachte und falsche Stories zigfach wiederholt, ein Schuldiger wird immer gefunden, genauso wie einfache Lösungen - bloß keine tiefgründige Analyse, die es den Menschen erlauben würde, sich eine fundierte Meinung zu bilden. So machten es auch totalitäre Herrscher wie Adolf Hitler, schreibt Arendt. Den Mexikanern und Muslimen die Schuld an Terrorismus, Verbrechen und Arbeitslosigkeit zuzuschieben, Reiseverbote zu verhängen und lauthals den Bau einer Mauer zu propagieren sind einfache Lösungen - Trumps Strategie ist keineswegs neu.

"Alternativen Fakten" verdrehen die Wahrheit

 

Laut Arendt basiert die Propaganda totalitärer Führer am Anfang des 20. Jahrhunderts auf folgender Gewissheit: Sie konnten den Menschen die abstrusesten Aussagen glauben lassen und diese am nächsten Tag unwiderlegbar als Lügen hinstellen. Das Volk würde die Führer immer für ihre Weitsicht und taktische Klugheit bewundern.

Donald Trump hat diese Strategie auf die Spitze getrieben. Fakten-Checker durchleuchten jede Äußerung des Präsidenten auf ihren Wahrheitsgehalt, aber Trump dreht einfach den Spieß um und diskreditiert die Prüfer als Teil der "Lügenpresse". Die Theorien seiner Bewegung werden mittlerweile von alternativen Quellen gestützt und verbreitet.

 

Die Banalität des Bösen

Als Berichterstatterin für die Zeitschrift "New Yorker"  reist Hannah Arendt 1961 nach Jerusalem zum Prozess gegen Adolf Eichmann, ehemaliger SS-Obersturmbannführer und einer der meistgesuchten Kriegsverbrecher. Sie berichtet in einer Artikelserie über die "Banalität des Bösen", und veröffentlichte kurz darauf "Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil", ein Buch über eine Normalität, "viel erschreckender als all die Gräuel zusammengenommen."

Arendt beschreibt eine "seltsame Wechselbeziehung zwischen Gedankenlosigkeit und dem Bösen." Das Phänomen Gedankenlosigkeit beleuchtet sie schon Jahre vorher im 1958 erschienen "The Human Condition" - und ihre Interpretation passt haargenau zum Verhalten Donald Trumps, zu den hastig verkündeten Exekutiv-Dekreten und den Versuchen, diese zu rechtfertigen. "Gedankenlosigkeit", resümiert Arendt, "scheint eine der herausragenden Merkmale unserer Zeit zu sein."

Zitate, meist aus dem Kontext gerissen, lassen sich leicht über soziale Medien verbreiten und teilen, aber sie sind eben nur einzelne Gedanken. Wer hofft, Antworten auf alle Fragen in "The Origins of Totalitarianism" zu finden, wird wohl enttäuscht werden. Den Titel übrigens wählte nicht die Autorin, sondern der Herausgeber, erzählt Berkowitz vom Hannah Arendt Zentrum. Arendt habe die Welt als viel zu komplex und chaotisch empfunden, um die Wurzeln des Totalitarismus zu lokalisieren. 

Mit einem Blick auf die USA dürfte allerdings eine andere Beobachtung der Autorin beruhigend sein.

Ziviler Ungehorsam sei ein wesentlicher Teil des dortigen politischen Systems, meinte Arendt. Die Massenproteste scheinen ihr recht zu geben.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen