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Politik

"Abschiebeindustrie" - was steckt dahinter?

8. Mai 2018

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kassiert für seine Vorwürfe in Richtung der angeblich "aggressiven Anti-Abschiebeindustrie" Kritik aus dem eigenen politischen Lager. Ein Wortungetüm wandelt sich zur Worthülse.

Deutschland Protest gegen Sammelabschiebung nach Afghanistan in Düsseldorf
Bild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Existiert in Deutschland eine "aggressive Anti-Abschiebeindustrie"? Eine Definition des provokanten Begriffs von  CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt steht noch aus. Fest steht allerdings schon jetzt, dass selbst politische Unterstützer Korrekturbedarf anmelden.

"Ich würde eher von einer 'Anti-Abschiebe-Lobby' sprechen", erklärt der Hamburger CDU-Abgeordnete Christoph de Vries gegenüber der DW. Der Einsatz gegen die Durchsetzung der Ausreisepflicht sei mehr "gesinnungsmotiviert als profitorientiert".

Vries ist Mitglied im Innenausschuss des Bundestages, zu dessen Zuständigkeiten Flüchtlingspolitik, Ausländerrecht, Grenzsicherung und "Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern" gehören. In der Sache steht er hinter dem CSU-Politiker Dobrindt.

"Ausdehnung des Asylrechts"

"Es gibt eine breite Phalanx angefangen bei Politikern von Grünen und Linken, über Sozialarbeiter, Hilfsorganisationen bis hin zu Rechtsanwälten, die versuchen, das Asylrecht sehr weit auszudehnen und teilweise seine Grenzen auch nicht akzeptieren, wenn sie versuchen, die Vollstreckung von Abschiebebescheiden zu verhindern", sagt er.

In Böblingen protestierten im Oktober 2017 Asylbewerber und ihre Kinder gegen die geplante Abschiebung nach AfghanistanBild: Murteza

Diesen Vorwurf will Andreas Rottmann von der Flüchtlingshilfe Lippe nicht gelten lassen. "Es geht darum, die wenigen Anwälte, die sich tatsächlich im Asylrecht auskennen, und die Menschen, die in Beratungsstellen arbeiten, zu diffamieren", meint er. Es werde so getan, als ob die Hilfe für Flüchtlinge eine Industrie wäre.

Ausreisepflichtig, aber geduldet

Doch genau das Gegenteil sei der Fall, versichert Rottmann. Denn Flüchtlinge zu verteidigen, lohne sich finanziell einfach nicht. "Auch ich könnte Jobs machen, wo ich besser bezahlt werde. Ich bekomme auch keine Prämien dafür, wenn jemand nicht abgeschoben wird."

Laut Ausländerzentralregister waren zum Stichtag 31. März 2018 bundesweit insgesamt 231.933 Personen ausreisepflichtig. Davon 170.410 mit Duldung und 61.523 ohne Duldung.  

Doch die Zahlen sind umstritten. Nach Angaben des Mediendienst Integration handelt es sich nur bei etwa der Hälfte der Ausreisepflichtigen um abgelehnte Asylbewerber. Denn auch ausländische Studenten sowie Arbeitnehmer oder Touristen, deren Visum abgelaufen ist, zählten zu dieser Gruppe.

Bei einer Duldung wird nach deutschem Asylrecht die angeordnete Abschiebung vorübergehend ausgesetzt. Gründe für eine Duldung können unter anderem eine Krankheit sein, die im Heimatland nicht behandelt werden kann, oder das Recht, eine in Deutschland angefangene Ausbildung abzuschließen.

Weniger Asylanträge, weniger Abschiebungen

Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr knapp 24.000 Flüchtlinge abgeschoben (siehe Grafik), rund fünf Prozent weniger als im Vorjahr. Auch die Zahl der Asylanträge sank laut Bundesamt für Flüchtlinge und Migration deutlich. Stellten im Jahr 2016 noch 722.370 Flüchtlinge erstmals einen Asylantrag, so lag diese Zahl im vergangenen Jahr bei 198.317 Erstanträgen.

Andreas Rottmann, der seit zehn Jahren in der Flüchtlingshilfe arbeitet, bestätigt, dass ein ärztliches Attest einen Flüchtling vorübergehend vor einer Abschiebung bewahren kann. Doch die Hoffnung auf ein rettendes Attest erfülle sich in der Praxis eher selten. Der Grund: "Viele Ärzte haben eine abwehrende Haltung", so Rottmann.

"Fit to fly"

Er vermutet die "Industrie" eher im Lager der Abschiebebefürworter: "Es gibt auch Ärzte, die schreiben nur Atteste für Ausländerbehörden und bescheinigen den Asylbewerbern nach ein paar Minuten am Telefon, flugfähig zu sein, obwohl sie noch nicht einmal dieselbe Sprache sprechen", sagt er. "Auf der anderen Seite passiert genau das, was uns vorgeworfen wird."

Auf der "anderen Seite" steht auch Ansgar Graw, Chefreporter bei der Tageszeitung "Die Welt". Es müssten viel mehr Menschen ohne Anrecht auf Asyl abgeschobenwerden, pflichtet er Dobrindt bei. Doch er rät dem CSU-Landesgruppenchef, Politik zu machen statt zu polemisieren.

Lob auf politische Lobbyarbeit

"Es ist  im Rechtsstaat ausdrücklich erwünscht, dass Bürger im Rahmen der Gesetze für ihre Überzeugungen streiten", stellt er fest. "Wenn die Anti-Abschiebe-Lobby mit rechtsstaatlichen Instrumenten Abschiebungen zu verhindern versucht, ist dies systemkonform", kommentiert Graw.

Vermutet hinter den Protesten gegen Abschiebungen eine "agressive Anti-Abschiebeindustrie". CSU Landesgruppenchef Alexander Dobrindt Bild: picture-alliance/dpa/A. Geber

Er fordert Dobrindt auf, "Gleichgesinnte in der Politik zu sammeln, damit Verfahren beschleunigt und Gesetze geändert werden". Graw: "Falls er nochmals provozieren will, sollte er seine Initiative als Pro-Abschiebe-Lobby bezeichnen."

Alexander Dobrindt selbst hat seinen eigenen Begriff bisher noch nicht genau definiert. Anfragen der Deutschen Welle zur Erläuterung seiner Wortschöpfung ließ er bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

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