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Politik

Was will Russland auf dem Westbalkan?

Marion Kraske
22. April 2021

Moskau weitet seinen Einfluss auf die instabilen Gesellschaften Südosteuropas aus, indem es Akteure fördert, die Demokratisierungsprozesse gezielt hintertreiben. Ziel ist es, eine EU-Integration der Region zu verhindern.

Serbien - Gazprom Werbung
"Partnerschaft für die Zukunft": Werbeplakat des russischen Konzerns Gazprom in der serbischen Hauptstadt BelgradBild: picture-alliance/dpa

Die Versammlung im bosnischen Višegrad glich einer Provokation: Ein Dutzend Männer kam in der zweiten Aprilwoche 2021 in der Stadt zusammen, in der der Jahrhundertroman "Die Brücke über die Drina" des Literatur-Nobelpreisträgers Ivo Andrić spielt, um russischer "Freiwilliger" zu gedenken, die im Bosnienkrieg 1992-95 die serbischen Verbände unterstützt hatten und dabei umkamen. Ein russisch-serbischer Verein hatte die Kranzlegung organisiert.

Angesichts der zahlreichen von Serben begangenen Verbrechen in Bosnien sprachen Überlebende von einer neuerlichen Verletzung der Opfer, 26 Jahre nach Kriegsende. Statt die russischen Kriegsfreiwilligen zu feiern, sollte vielmehr deren Verwicklung in Kriegsverbrechen untersucht werden, so die Forderung eines Frauen-Opferverbandes.

Der Vorfall ist derzeit keineswegs das einzige Störfeuer auf dem Balkan mit russischer Handschrift: Gezielt ist Moskau bemüht, seinen Einfluss auszuweiten. Mit hybrider Vorgehensweise nutzt man dabei die instabilen Gesellschaften der Länder auf dem Westbalkan aus, um eigenes Terrain abzustecken und Akteure zu fördern, die Demokratisierungsprozesse gezielt hintertreiben.

Russlands Außenminister Lawrow (l.) mit Milorad Dodik (r.) vergangenen Dezember in SarajevoBild: Elvis Barukcic/AFP

Im fragilsten Land der Region, Bosnien und Herzegowina, stützt Russland tatkräftig serbische und kroatische Politiker, die alles daran setzen, die geltende Friedensordnung zu torpedieren. Milorad Dodik, serbischer Vertreter im bosnischen Staatspräsidium, droht regelmäßig mit Sezession.

Ein alter Traum

Vor wenigen Tagen wartete Dodik mit einem neuen Vorschlag auf: Es müsse eine "friedliche Auflösung" Bosniens geben, tönte er, und nahm damit eine Idee auf, die Medienberichten zufolge aus der Feder von Sloweniens Premier Janez Janša stammt. In einem "Non-Paper" soll Janša, ebenfalls mit Kontakten nach Russland, die Neustrukturierung der Balkanstaaten nach ethnischen Kriterien fordern. Seither mehren sich mahnende Stimmen, die eindringlich warnen: Durch derartige Vorstöße würden neue kriegerische Auseinandersetzungen provoziert.

Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša in BrüsselBild: Olivier Hoslet/Pool/REUTERS

Zweifelsfrei ist die Diskussion um neue Grenzziehungen auf dem Westbalkan Wasser auf die Mühlen all jener, die mit Unterstützung Belgrads und Moskaus einen alten Traum verwirklichen wollen: Die Vereinigung der Serben in einem gemeinsamen Staat. Es waren eben diese Ideologien ethnisch reiner Territorien, die zu den blutigen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien 1991-95 führten.

Unterstützung für Extremisten

Mit seinem damaligen Kollegen Franjo Tudjman, Präsident der Republik Kroatien, einigte sich der serbische Machthaber Slobodan Milošević im Verlauf des Zerfalls Jugoslawiens auf eine Aufteilung Bosniens. Es folgten Kriegsverbrechen, Vertreibungen und Massenvergewaltigungen, um ein Groß-Serbien und ein Groß-Kroatien aus der Taufe zu heben.

Kroatiens Präsident Franjo Tudjman (l.) und sein serbisches Pendant Slobodan Milošević in Dayton/OhioBild: picture-alliance/dpa/J. Marquette

Dass die Ideologien von einst nun ein Revival erfahren - daran ist Moskau mit seiner Unterstützung für Extremisten á la Dodik alles andere als unschuldig. Während die EU in evidenter Weise seit Jahren darin versagt, der Region eine klare Beitrittsperspektive zu vermitteln, macht Moskau unmissverständlich klar, was seine Mission ist: gezielte Destruktion.

Die Fehler der EU

Dabei nutzt Russland die strategischen Fehler der EU aus, die seit Jahren auf eine krude Appeasement-Politik mit den korrupten Eliten der Westbalkanstaaten setzt. Auf diese Weise wurden "Stabilokratien" mit autoritär agierenden Politikern befördert. Nachhaltige demokratische Reformen dagegen blieben auf der Strecke.

Die Länder auf dem Westbalkan sind heute, mit wenigen Ausnahmen, eher Eldorado für Radikalisierungen denn Schauplatz einer kohärenten Westanbindung. Als Folge wird Brüssel von vielen demokratisch gesinnten Akteuren kaum noch als strategischer Partner wahrgenommen. Zivile Aktivisten und Menschenrechtler monieren, sie würden im Kampf gegen die kriminellen Clans seitens der EU im Stich gelassen - ein erheblicher Reputationsverlust für Brüssel, der sich in der Corona-Krise noch weiter verschärft.

Sputnik als Retter in der Pandemie

Nicht zuletzt angesichts der desolaten Impfpolitik der EU vermag es Russland, sich in der Krise als potenter Player zu profilieren. Serbiens autoritärer Machthaber Aleksandar Vučić, wichtigster Brückenkopf Wladimir Putins in der Region, nutzt das gute Verhältnis, um nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch Impftouristen aus den Nachbarstaaten mit Impfdosen zu versorgen.

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić lässt sich in Belgrad mit dem chinesischen Vakzin Sinopharm impfenBild: ZORANA JEVTIC/REUTERS

Moskaus Sputnik-Impfstoff erhält auf diese Weise eine geopolitische Bedeutung. Und auch China wird von Vučić demonstrativ als treuer Partner in der Not präsentiert - mit Seitenhieben auf die säumige EU.

Wahl-Engineering in Montenegro

Während Moskau vor den Toren der Ukraine Truppen aufmarschieren lässt, setzt man auf dem Westbalkan noch auf subtilere Manöver. So schlug die Regierung von Montenegro jüngst eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts vor, nach der permanent im Land gemeldete Ausländer schneller montenegrinische Staatsbürger werden können - darunter Serben und Russen.

Der montenegrinische Analyst Zlatko Vujović, hier bei einer Diskussion über die Wahlen in dem Westbalkanland 2018Bild: privat

Auf diese Weise würde es zu massiven Veränderungen der Bevölkerung und der politischen Ausrichtung kommen, warnt der Analyst Zlatko Vujović, die pro-westliche Mehrheit Montenegros wäre handstreichartig eliminiert. Ganz "legal" wären so anti-westliche und pro-russische Kräfte gestärkt worden. Nach massiven Protesten gegen das offensichtliche Wahl-Engineering legte die Regierung in Montenegros Hauptstadt Podgorica die Pläne jedoch erst einmal auf Eis.

Russische Niederlagen

Bereits 2016 hatte Moskau in Montenegro allem Anschein nach Fakten schaffen wollen: Mit Hilfe eines Spezialkommandos sollte der langjährige Präsident des Landes, Milo Djukanović, der sich für eine NATO-Mitgliedschaft stark gemacht hatte, aus dem Weg geräumt werden. Das Komplott - organisiert wohl mit Beteiligung serbischer und russischer Geheimdienstler - flog jedoch auf, Montenegro wurde trotz der Interventionen Moskaus als Voll-Mitglied in die Militärallianz aufgenommen.

Nikola Gruevski, Ex-Premierminister der ehemaligen jugoslawischen Republik MazedonienBild: Getty Images/AFP/R. Atanasovski

Auch im Nachbarland Nord-Mazedonien erweist sich Russland schon jetzt als explosive Kraft: Es ist kein Geheimnis, dass die Partei des nach Ungarn geflohenen Ex-Premiers Nikola Gruevski, VMRO-DPME, aufs Engste mit dem Kreml verbunden ist. Dass das Land im März 2020 ebenfalls in die Nato aufgenommen wurde, stellte eine weitere Niederlage für die russischen Balkan-Bestrebungen dar.

Gegen Zivilgesellschaft und EU

Nicht von ungefähr setzen pro-russische Kräfte seither alles daran, die europafreundliche Regierung des sozialdemokratischen Premiers Zoran Zaev zu schwächen. Medieninvestments werden gezielt genutzt, um Russland-freundliche und national-chauvinistische Propaganda zu verbreiten. In der Corona-Krise kursieren mit Bedacht gestreute Fake-News, die die Glaubwürdigkeit der Regierung Zaev unterminieren sollen.

Goebbels-Vergleich: Der NS-Propagandist und NGO-Aktivist Deralla auf einem nordmazedonischen InternetportalBild: antropol.mk

Derweil werden zivile Akteurinnen und Akteure, die sich für demokratische Reformen stark machen, bedroht. Einer von ihnen ist Xhabir Deralla von der NGO Civil. Immer wieder wird der Menschenrechtsaktivist als Verräter diffamiert, einschlägige Portale verbreiten Goebbels-Vergleiche.

"Es geht diesen Kreisen in erster Linie um die Torpedierung der EU-Integration", konstatiert Deralla. Die Intensität der Angriffe auf ihn hätten in letzter Zeit eine neue Qualität bekommen, begleitet von massiven Cyberattacken auf die Internet-Seiten seiner Organisation. Technische Analysen, so Deralla, hätten gezeigt: Die jüngsten Attacken kamen direkt aus Russland.

Die Politologin und Journalistin Marion Kraske leitete von 2015 bis 2021 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung für Bosnien-Herzegowina, Nord-Mazedonien und Albanien mit Sitz in Sarajevo.

Marion Kraske Politologin und Journalistin, 2017-2021 Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung Sarajevo.