Was können wir von Leibniz lernen?
14. November 2016Als Gottfried Wilhelm Leibniz 1646 in Leipzig als Sohn eines Professors geboren wurde, war das wissenschaftliche Verständnis unserer Welt noch recht übersichtlich. Es war durchaus möglich, dass man in der Zeit seines Lebens alles aus Büchern bekannte noch theoretisch erlernen konnte.
Es war die Zeit, in der es noch echte Universalgelehrte gab - Menschen wie Gottfried Wilhelm Leibniz, der - nachdem er mit 21 Jahren seinen Doktorgrad in Jura abgelegt hatte - auch noch als Historiker, Philosoph, Sprachwissenschaftler, Physiker und Mathematiker forschte und als Bibliothekar, Bergbau-Ingenieur, Diplomat, politischer Berater und Akademiegründer tätig wurde.
Die Ära solcher vielseitigen Genies ging ziemlich genau ein Jahrhundert nach ihm zu Ende. Einer der letzten seiner Zunft war Johann Wolfgang von Goethe, der neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Jurist und Politiker tätig war, aber eben auch in zahllosen Feldern forschte: von Geologie über Optik, Zoologie, Botanik und Meteorologie bis hin zur Philosophie.
Renaissance, Säkularisierung und Fokus auf Naturwissenschaften
Die Lust zur wissenschaftlichen Erkenntnis erwuchs aus der besonderen geschichtlichen Situation: Erst zu Leibniz Lebenszeit brach sich die Aufklärung langsam Bahn. Leibniz selbst war einer der wichtigsten Vorkämpfer.
Rationales Denken, Vernunft und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften gewannen Oberhand über Aberglauben und Alchemie. Die Renaissance überwand die Rückständigkeit des Mittelalters. Der aufgeklärte Absolutismus mit der Säkularisierung übernahm die Macht von Klerus und Lokalfürsten. Es entstand ein neues, umfassenderes Menschenbild - dies war eine Voraussetzung für die Abschaffung der Leibeigenschaft in vielen Ländern Europas.
Als Leibniz mit 70 Jahren starb, hinterließ er der Nachwelt ein reiches, intellektuelles Erbe aus seinem bewegten Leben: Mehr als 200.000 handschriftlich beschriebene Seiten lagern noch heute im Leibniz-Archiv in Hannover.
Viele seiner Ideen wirken noch heute nach. Hier einige Beispiele:
Rechtsprechung
Leibniz strebte eine Vereinheitlichung der Rechtssysteme der christlichen Welt an. Besonders wichtig war ihm eine Überwindung der Spaltung der Kirche - und auch der Frieden. Er war somit ein Vordenker des heutigen internationalen Rechts, der Menschenrechte und letztlich auch von internationalen Organisationen, wie UN oder EU.
Mathematik
Leibniz ist nicht nur Erfinder der Integral- und Differentialrechnung. Er hatte auch bereits das duale Zahlensystem beschrieben, welches heute Grundlage der digitalen Welt ist. Allerdings hatte er es anders interpretiert. Er strebte nach einer Synthese zwischen Wissenschaft und Religion. Für ihn war Gott die Eins, das Nichts die Null. Und auch eine mechanische Rechenmaschine hat Leibniz erfunden und gebaut. Unser Denken betrachtete er als Rechenvorgang. Heute wissen wir durch die modernen Neurowissenschaften, dass er im Prinzip Recht hatte.
Physik
Auf die Frage, ob der Raum absolut ist, muss man erst mal kommen. Leibniz hat sie sich gestellt. Heutige Beobachter sehen dies gerne als einen Vorgriff auf Einsteins Relativitätstheorie. In seiner Vorstellung, dass sich alle Begriffe auf einfache atomare Konzepte zurückführen lassen, klingt die Mühe heutiger Teilchenphysiker an - die auf der Suche nach den kleinsten Elementarteilchen sind und die Rätsel von dunkler Materie, dunkler Energie, Supersymmetrie und der Gültigkeit des physikalischen Standardmodells lösen wollen.
Psychologie
Schon Leibniz hatte erkannt, dass es in unserer Psychologie das Bewusste und das Unbewusste gibt. Er nannte es Perzeption und Apperzeption. Seine Vorstellung war, dass die Seelenvorgänge durch natürliche Einflüsse und Wirkursachen geprägt werden - und nicht etwa durch göttliche oder geisterhafte Faktoren. Das war der Beginn der modernen Psychologie.
Linguistik
Zu Leibniz' Zeiten entspann sich ein Streit über die Herkunft der germanischen Sprachen. Leibniz wandte sich gegen eine Theorie, dass sie von einer Urform des Schwedischen abstamme. Seine kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Sprache unterschied sich bereits damals von späteren nationalistisch geprägten Interpretationen. Außerdem erforschte er Sanskrit und das klassische Chinesisch.
Wissenschaftliche Methodik
Am wichtigsten für die Nachwelt ist aber wohl die Methodik von Empirie und Evidenz, also von Faktensammlung und Nachweis. Sie verdanken wir den Vordenkern der Aufklärung - wie eben Leibniz. Ohne Menschen wie ihn, die mit Leidenschaft und offenen Augen in einer unaufgeklärten Zeit die Forschung vorangetrieben haben, wären alle Fortschritte der Wissenschaft in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten kaum denkbar gewesen.