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Was wird mit den Gas-Pipelines der Ukraine?

Nik Martin
18. Juli 2024

Die EU denkt darüber nach, Gas aus Aserbaidschan statt aus Russland zu beziehen. Gleichzeitig fragen sich viele, wie ukrainische Pipelines genutzt werden können, wenn Kiews Gas- und Ölverträge mit Moskau auslaufen.

Boyarka in der Ukraine: Ventile an der Kompressorstation einer Gaspipeline
Boyarka in der Ukraine: Ventile an der Kompressorstation einer Gaspipeline Bild: Imago/Zuma

In der ukrainischen Erde liegen tausende Kilometer Röhren, durch die russisches Erdgas nach Westeuropa fließt. Bevor Moskau die Ukraine überfallen hat, wurden jährlich fast 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die noch von der Sowjetunion gebauten Pipelines gepumpt.

Seit Kriegsbeginn haben die EU-Staaten ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland reduziert, während Moskau seine Gaslieferungen durch die Ukraine von 40 Milliarden Kubikmeter, worauf sich beide Seiten 2019 geeinigt hatten, auf rund 15 Milliarden Kubikmeter heruntergefahren hat.

Der für fünf Jahre abgeschlossene Vertrag mit dem staatlichen russischen Energiekonzern Gasprom, der die Rolle der Ukraine als Gastransitland festschrieb, läuft Ende dieses Jahres aus. Dieser Vertrag ist die einzige noch bestehende politische und wirtschaftliche Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew.

Man redet miteinander: Von der Leyen und Aserbaidschans Präsident Aliyev einigen sich auf GaslieferungenBild: Aserbaidschanische Präsidialverwaltung/Xinhua News Agency/picture alliance

Moskau ist offen für neuen Vertrag

Die EU und die Ukraine haben die Aussicht auf einen neuen Vertrag heruntergespielt, weil die diplomatischen Kanäle durch den Krieg beschädigt sind.

In Brüssel heißt es, die Staaten, die am meisten auf russisches Gas aus ukrainischen Pipelines angewiesen sind (Österreich, die Slowakei, Ungarn und Italien), könnten ihre Gas-Importe aus anderen Quellen über Pipelines, die ebenfalls in Länder der EU münden, ausweiten.

Moskau aber ließ in der vergangenen Woche wissen, es sei bereit, den Vertrag zu verlängern. "Der Transit durch ihr Land hängt von der Ukraine ab. Die haben ihre eigenen etablierten Regeln", zitieren staatliche russische Nachrichtenagenturen den stellvertretenden Premierminister Alexander Novak. "Es hängt von ihnen ab. Russland ist bereit zu liefern."

Baku statt Kiew?

Die EU hat unterdessen Verhandlungen mit Aserbaidschan aufgenommen, um mehr des dort geförderten Erdgases zu importieren. Das könnte möglicherweise durch ukrainische Pipelines gepumpt werden und so die Rolle des kriegsverwüsteten Landes als Gastransitweg zu sichern helfen.

Aserbaidschan hat seine Gasexporte nach Europa im ersten Kriegsjahr um 56 Prozent erhöht und will sie bis 2027 sogar verdoppeln. Wenn die Exporte weiter so steigen wie im ersten Halbjahr 2024, könnten bis zum Ende des Jahres etwa 12,8 Milliarden Kubikmeter geliefert werden.

Hikmet Hajiyev, Berater des aserbaidschanischen Präsidenten, sagte im vergangenen Monat der Agentur Reuters, dass sowohl Brüssel als auch Kiew Aserbaidschan aufgefordert hätten, Gespräche mit Russland zu unterstützen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selensky bestätigte Bloomberg News in der vergangenen Woche, dass Verhandlungen vorbereitet würden.

Über die transadriatische Pipeline (hier eine Verdichterstation n Griechenland) kann Gas nach Westeuropa fließenBild: Trans Adriatic Pipeline

Kommt ein Deal mit Aserbaidschan?

Laut Energieexperten hat Aserbaidschan - das Land ist Gastgeber der COP29 Klimagespräche im November - die nötigen Gasvorräte kurzfristig gar nicht, um den Export nach Europa weiter zu steigern.

"Aserbaidschan fördert gar nicht so viel Gas", sagt Aura Sabadus vom Zentrum für europäische Politik-Analyse (CEPA) zur DW. "Das Land braucht selbst viel Gas und exportiert bereits Gas nach Georgien, in die Türkei und nach Europa."

Laut Experten müsse Baku noch viel Geld investieren, um seine Gas-Exporte erhöhen zu können und dass das Zeit kosten werde. Gleichzeitig versuchen viele EU-Staaten ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zugunsten Erneuerbarer Energien zu reduzieren, daher werde Brüssel wohl nicht gern einen längerfristigen Vertrag abschließen wollen.

Oleksandr Sukhodolia, Experte für Energie-Sicherheit und Schutz kritischer Infrastruktur beim Nationalen Institut für strategische Studien der Ukraine, sagte DW, dass ein Abkommen mit Aserbaidschan "der Ukraine helfen werde, größere Gasmengen nach Europa zu pumpen in einer Zeit, in der das Land bereits seinen Gasmarkt in den europäischen Markt integriert".

Aura Sabadus verweist darauf, dass das Gas aus Aserbaidschan durch das russische Pipeline-System durch die Türkei, Moldawien und Rumänien fließen müsse, weil Aserbaidschan keine gemeinsame Grenze mit der Ukraine hat. Doch, so Sabadus zu DW, wären die Transitkosten über die südlichen Pipelines "exorbitant" und diese Route käme wohl nicht in Frage.

Wie könnte ein Vertrag aussehen?

Eine Option wäre, dass Gasversorger aus Aserbaidschan ihr Gas über Russland verkauften und damit dem russischen Energie-Monopolisten Gasprom und anderen russischen Firmen erlaubten, an den Transitgebühren zu verdienen.

In diesem Jahr hatte Gasprom seinen ersten Verlust seit 1999 melden müssen, als das Unternehmen darum kämpfte, den Verlust seiner europäischen Exporte durch Verträge mit der Türkei und China zu ersetzen.

Die Ukraine hat die größten unterirdischen Lagerkapazitäten für Gas in Europa. Sie befinden sich hauptsächlich im Westen des Landes. Schon vor dem Krieg hatte Kiew in Moskau angefragt, ob es Gas von Aserbaidschan und Turkmenistan nach Europa leiten dürfe. Das hatte der Kreml abgelehnt, daher kommt diese Alternative kaum in Frage.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, das die Russen ihre Grenzen für Gas aus Nachbarländern öffnen würden", so Sabadus. "Das würde bedeuten, dass sie die Kontrolle über ihr Leitungssystem aufgäben, das sie als strategisches Gut betrachten."

Aserbaidschan importiert bereits Gas aus Russland und Turkmenistan. Das, so Kritiker, erlaube den Re-Export russischen Gases nach Europa "durch die Hintertür". Baku bestreitet diesen Vorwurf.

Eine andere Lösung könnte eine Art "Gas-Tausch" sein. Moskau und Baku würden Brennstofflieferungen austauschen, bevor sie sie weiter transportierten.

"Das würde bedeuten", so Sabadus, "dass Aserbaidschan russisches Gas an der russisch-ukrainischen Grenze kaufte, um es dann über die Ukraine nach Wesen zu liefern." Und er fügt hinzu, dass das für europäische Käufer wohl zu riskant wäre, weil die ukrainischen Pipelines immer noch im Bereich russischen Feuers lägen.

Wie gefährdet Ukarinische Pipelines sind, zeigt dieser russische Angriff auf Kiew am 2. JanuarBild: Kotenko Yevhen/Ukrinform/picture alliance

Wie profitabel ist der Gas-Transit?

Kiew hat 2021 rund eine Milliarde US-Dollar an Transit-Gebühren für russisches Gas eingenommen, das entspricht etwa 900 Millionen Euro. Doch seit Kriegsbeginn und dem reduzierten Import russischen Gases in Europa sind die Einnahmen auf etwa 700 Millionen US-Dollar gesunken.

"Es ist nur wenig Gas", so Energieexperte Sukhodolia, "und auf diesem Level ist es für die Ukraine nicht profitabel."

Der größte Teil der Gebühren geht für den Betrieb drauf, einschließlich den Unterhalt der Pipelines. Jeder neuer Vertrag müsse daher einen deutlichen Zuwachs an Gaslieferungen bringen, um Kiews Budget-Nöte lindern zu helfen.

Sabadus dazu: "Wenn ein erneuerter Transit-Vertrag nicht mit einem sehr hohen Anstieg des Liefervolumens einhergeht, werden die Ukrainer überhaupt kein Geld verdienen."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

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