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Politik

Was wusste Berlin vom Diesel-Kartell?

Heiner Kiesel
25. Juli 2017

Der Ruf der deutschen Industrie ist bereits schwer angeschlagen - dabei laufen die Kartell-Ermittlungen gegen die Autobauer noch. Wusste Berlin von den Absprachen? Der Skandal setzt die Regierung zunehmend unter Druck.

Deutschland Deutsche Autobauer unter Kartellverdach
Deutsche Prestigeunternehmen unter Verdacht: BMW, Daimler, Audi, Porsche und VWBild: picture alliance/dpa

Der Schaden ist schon eingetreten, obwohl die Kartell-Vorwürfe an die deutschen Autobauer noch gar nicht erwiesen sind. Die Aktien von BMW, Daimler, VW knicken ein, weltweit leidet das Image der gesamten deutschen Industrie. Dabei haben die Autobauer – so verdichtet sich der Eindruck – auch bei den mutmaßlich illegalen Absprachen  deutsche Tugenden zur Anwendung gebracht. "Was den Umfang und auch die Dauer angeht, scheint das von den Fahrzeugherstellern mit deutscher Gründlichkeit durchgeführt worden zu sein", konstatiert Justus Haucap, Professor für Wettbewerbsökonomie an der Universität Düsseldorf.

Nach Berichten des Spiegel sollen die in Verruf geratenen Unternehmen über 20 Jahre hindurch bis zu 60 Arbeitskreise organisiert haben, in denen dann Absprachen getroffen wurden, wie die zu kleine Dimensionierung der Tanks des Abgasreinigers Adblue. Laut Kartell-Experte Haucap haben die Kartell-Vorwürfe das Potenzial, sich "zum größten Kartellfall zu entwickeln, mit dem bundesdeutsche Behörden je zu tun hatten". Wäre das der Fall, könnten auf die Unternehmen empfindliche Strafen in Milliardenhöhe zukommen. "Außerdem müssten die Autobauer mit einer Flut von Schadensersatzklagen von Kunden und Zulieferern rechnen", führt Haucap aus.

Justus Haucap lehrt Wettbewerbsökonomie an der Universität DüsseldorfBild: Universität Düsseldorf

Wo war Verkehrsminister Dobrindt? 

Bei diesem Ausmaß wundert es wenig, dass im Berliner Regierungsviertel intensiv gerätselt wurde, in wieweit und wie lange die Bundesregierung über das mutmaßliche Kartell bereits Bescheid wusste. Die Antwort von Sprechern des Kanzleramts sowie des Wirtschafts- und Finanzministeriums lautete in etwa gleichlautend: Wir haben das aus den Medien erfahren.

Das erscheint dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, fragwürdig. "Wir haben schon vor einigen Monaten eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, als es erste Gerüchte zu dem Thema gab", sagt der Grünen-Politiker im Gespräch mit der DW. Er könne sich kaum vorstellen, dass es keinen Verdacht in den Behörden gegeben habe. "Schon gar nicht, wenn man sieht, wie nah zum Beispiel das Kraftfahrtbundesamt an den Autobauern dran ist."

Unzufrieden mit der Aufklärung durch die Bundesregierung: Grünen-Fraktionschef Anton HofreiterBild: picture-alliance/dpa

Der angehende Skandal hat das Zeug dazu, Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) nachhaltig zu beschädigen. Der machte schon bei der Aufklärung des Diesel-Skandals einen eher zurückhaltenden Eindruck. So setzte er sich nicht für die Bestrafung der Autobauer ein, sondern gab sich mit deren freiwilligen Rückrufaktionen zufrieden. "Verkehrsminister Dobrindt hat sich lieber um Absurditäten wie die Ausländer-Maut gekümmert, als um die Skandale in der Automobilindustrie", ärgert sich Grünen-Fraktionschef Hofreiter. Er fände es richtig, wenn dem CSU-Politiker jetzt die Zuständigkeit für die Aufklärung entzogen würde, "weil er kann es nicht".

Hofreiter fordert: Die Aufklärung muss endlich zur Chefsache der Bundeskanzlerin werden". Zudem sähe Hofreiter am liebsten das Umweltbundesamt mit den Abgasmessungen und deren Veröffentlichungen betraut, statt des Kraftfahrtbundesamtes – das dem Verkehrsminister untersteht.

Dobrindt selbst gibt sich derzeit jedoch aktiv in der Sache. Zuletzt erklärte er in Berlin, er wolle sich bei der EU-Kommission über mögliche Erkenntnisse zu den Kartellvorwürfen erkundigen. Am 2. August steht ihm ein großes Treffen mit Vertretern der Automobilindustrie bevor – der Diesel-Gipfel. Dabei sollten eigentlich Maßnahmen besprochen werden, wie Dieselfahrzeuge abgasärmer werden könnten. Der Verkehrsminister muss sich jetzt fragen, ob er seinen Gesprächspartnern bei BMW, Audi, VW, Porsche und Daimler überhaupt noch trauen kann.

Auf Kosten der Kunden

Die Vorwürfe werfen nicht nur Fragen nach den engen Verflechtungen zwischen Bund, Ländern, Behörden und Autoindustrie auf – sondern auch nach der möglicherweise zweifelhaften Unternehmenskultur bei den beschuldigten Herstellern.

Wenn sich herausstellen sollte, dass sich die Hersteller zu einem langjährigen, breit organisierten Kartell zusammen geschlossen hätten, hätte den an der Organisation beteiligten Mitarbeitern durchaus bewusst sein können, dass sie damit die wirtschaftlichen Interessen von Zulieferern, Rechte von Kunden und die Gesundheit der Bevölkerung schädigten, meint Wettbewerbsökonom Haucap. "Aber wie jemand das auf der individuellen Ebene vor sich rechtfertigt, das müssen Sie einen Psychologen fragen", fügt er hinzu.

Dass die Vorwürfe jetzt öffentlich geworden sind, liegt offenbar auch eher nicht daran, dass sich jemand des Unrechts bewusst war und sich ehrlich machen wollte. Nach Medienberichten mussten einige Autobauer davon ausgehen, dass ihr Kartell aufgedeckt wird, und sie wandten sich mit Selbstanzeigen an die Behörden – wahrscheinlich mit der Hoffnung, durch eine Kronzeugenregelung der Strafe zu entgehen.

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