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Panik vor der Pleite

Antje Passenheim, Washington15. Oktober 2013

Im US-Haushaltsstreit tickt die Uhr: Die Partei-Spitzen im Senat suchen fieberhaft nach einer Lösung im Streit um Schuldenlimit und laufenden Etat. In der Bevölkerung steigen hingegen Angst und Wut.

Mason Palmer, 10 Monate alt, von seinem Vater vor demonstrierenden Bundesangestellten fotografiert. (Foto: REUTERS/Jonathan Ernst)
Bild: Reuters

Truckerdemo gegen Regierungsblockade: Mit wehenden US-Fahnen ziehen Monstertrucks Dauerschleifen auf dem Autobahngürtel um die Hauptstadt Washington. Aus ihren Hupen werden Protesthörner. "Wir haben genug von einer Regierung, die sich nicht an die Verfassung hält", schimpft ein Fernfahrer aus dem Bundesstaat Virginia. "Sie halten sich nicht an den Eid, den sie geschworen haben, so wie ich, als ich in die Armee eingetreten bin."

Die Trucker protestieren gegen die Regierung, deren Haushaltsstreit zum Stillstand in Washington geführt hat. Doch im Kongress hört keiner ihre Hupen, denn die Büros der Abgeordneten sind leer. Zwei Wochen schon liegen weite Teile der Verwaltung lahm, weil Demokraten und Republikaner nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Einigen sich die Streithähne nicht bis zum Donnerstag (17.10.2013), droht auch noch die Staatspleite. In der Bevölkerung wächst die Wut über das Politdrama.

"Man sollte sie alle feuern und ersetzen", schimpft ein Rentner vor dem leeren Kapitol. "Geisterhaus" nannte eine Zeitung das menschenleere Gebäude. Wie der Rentner aus Kentucky fürchten sich viele Menschen vor dem Tag, an dem der größten Volkswirtschaft der Welt die Zahlungsunfähigkeit droht. "Vielleicht werden wir dann wie Griechenland", meint der Mann, und eine Passantin stimmt ihm zu. "Das ist eine furchtbare Art, ein Land zu führen. Und es ist genauso furchtbar, eine Wirtschaft zu haben, in der sich nichts planen lässt", sagt die Mitarbeiterin im Gesundheitssektor. Sie weiß von zahlreichen Organisationen, die fürchten, dass Millionen ärmere Amerikaner die eigentlichen Verlierer im Haushaltspoker sein werden. "Medikamente, Lebensmittelhilfe, Pflege- und Obdachlosenprogramme - das alles ist nun von der Streichung bedroht", sagt sie.

"Geisterhaus": das Kapitol in WashingtonBild: Reuters

Die Angst wächst

Vor dem Weißen Haus bangt ein älterer Mann um sein Auskommen. "Ich bin ein pensionierter Regierungsmitarbeiter und fürchte um meine Sozialversicherung und meine Rente." Jeder sei auf irgendeine Weise von der Krise betroffen, wenn sie nicht bald gelöst werde.

Vor allem sind es Hunderttausende öffentliche Bedienstete, die in den Zwangsurlaub geschickt wurden, weil die Regierung seit dem 1. Oktober keinen Haushalt hat. Emily Dougherty wird den Tag nie vergessen, an dem sie für eine Stunde an ihren Arbeitsplatz in einer Regierungsbehörde gerufen wurde - nur um ihn zu räumen und den Anrufbeantworter zu besprechen: "Ich werde nicht an meinem Schreibtisch sein, um Ihren Anruf zu beantworten und rufe zurück, wenn der Shutdown vorüber ist", zitiert sie sich selbst. Dann gaben alle ihre Diensthandys und Schlüssel ab. "Viele haben geweint", erzählt die 25-Jährige. Auch sie sei deprimiert.

"Dass sie auf uns verzichten können, zeigt uns, wie wenig sie unsere Arbeit anerkennen, für die wir uns so einsetzen", meint sie. Der Zwangsurlaub kratze bereits an ihrem Budget. "Ich gebe kein Geld in Restaurants aus und schiebe spezielle, teure Arztbesuche auf." Ihren Kollegen mit Familien, die hohe Rechnungen und Raten von Hauskrediten begleichen müssten, gehe es noch schlimmer. Niemals hätte Emily sich träumen lassen, dass sie länger als ein paar Tage von ihrem Arbeitsplatz verbannt bleiben würde. "Nun geht es schon in die dritte Woche!"

Angst und Wut bei den BetroffenenBild: Jewel Samad/AFP/Getty Images

Als alles begann

Emily erinnert sich an den Tag, an dem alles begann. "Da wachte ich auf und hatte das Gefühl: Meine bisherige Vorstellung von unserer Regierung stimmt nicht mehr. Die habe ich immer als großes Schiff betrachtet, das uns ruhig durch alles durchbringt. Jetzt habe ich das Gefühl, wir sind auf Grund gelaufen."

Wenn sich der Kongress nicht darauf einigt, die Schuldenobergrenze von derzeit 16,7 Billionen Dollar anzuheben, können die USA keine neuen Schulden aufnehmen. Spätestens Anfang November fehlt Washington nach Expertenschätzung das Geld, um größere Rechnungen zu begleichen.

"Diese Vorstellung ist doch wahnwitzig", sagt ein Tourist aus Tennessee. Ein Wort, das an diesem Morgen häufig in der Gruppe der Menschen fällt, die sich vor dem Zaun des Weißen Hauses versammelt haben. "Das hätte verheerende Auswirkungen für die Wirtschaft unseres Landes und unter Umständen für die ganze Welt."

Reaktiviert unseren öffentlichen Dienst! Eine Frau unterschreibt einen ProtestbriefBild: Antje Passenheim

Die Angst vor der Pleite trifft nicht nur Unternehmen. Auch Kleinanleger wappnen sich, wie etwa Robert. Der Mitarbeiter eines Reisebüros erhielt bereits einen Anruf von seinem Bankberater: "Er empfahl mir, dass ich meine Anlagen verteile und besser in Gold oder andere Metalle investiere - nur als Sicherheit, für den Fall, dass die Regierung zahlungsunfähig wird", erzählt Robert. Viele fürchteten dann auch lange Schlangen vor den Geldautomaten. "Wenn die Panik steigt, könnte das Bargeld knapp werden", so Robert. "Ich habe mich vorsorglich schon einmal mit ein paar 100-Dollar-Noten eingedeckt."

Vorsichtige Annäherung

Am Dienstag nährten die Spitzen im Senat allerdings die Hoffnung, dass dieser Supergau nicht eintreten wird. Der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid und sein konservativer Gegenspieler Mitch McConnell arbeiteten auf Hochtouren an einem Kompromissvorschlag, um das Haushaltsfiasko in letzter Minute abzuwenden. Der jüngste Vorschlag sieht nach US-Medienberichten vor, die Regierung bis zum 15. Januar zu finanzieren. Das Schuldenlimit soll demnach bis zum 7. Februar angehoben werden. Dazu soll es in beiden Lagern Budgetverhandlungen über die als "Sequester" bekannten, flächendeckenden Kürzungen geben, die mit dem Streit verknüpft werden. Zudem würde es kleinere Änderungen an der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama geben.

"Ich bin optimistisch", meint die zwangsbeurlaubte Regierungsmitarbeiterin Emily Dougherty. Dennoch verfolgen sie und ihre Leidensgenossen das Tauziehen nervös: "Das Gerangel um die Schuldengrenze beunruhigt mich. Nicht nur als Mitarbeiterin der Regierung, sondern als Amerikanerin." Die junge Frau setzt hinzu: "Wir sind die nächste Generation, wir müssen die Konsequenzen ausbaden."

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