Wasserkraft für Energiewende?
30. April 2013Die Wasserkraft war Motor der Industrialisierung und Anfang des letzten Jahrhunderts in Deutschland noch die wichtigste Energiequelle: Über 100.000 Wasserkraftwerke gab es damals. Heute sind es dagegen nur noch rund 7500, die etwa drei Prozent des deutschen Stroms liefern.
Nach Einschätzung von Experten könnte der Anteil der Wasserkraft in Deutschland um 50 Prozent steigen, wenn knapp 20.000 ältere und kleinere Wasserkraftstandorte wieder in Betrieb genommen würden.
Gewässerschutz kontra Wasserkraft?
Diese Wiederbelebung des alten Wasserkraftpotenzials ist in Deutschland jedoch umstritten. Wasserbehörden, Fischer und Naturschützer äußern häufig Bedenken und wollen möglichst wenige Staustufen für die Stromgewinnung in den Flüssen. Sie fürchten, dass die Fischbevölkerung in den Flüssen unter den Wasserwerken leidet.
Die Wiederansiedlung von Wanderfischen sei nur möglich, wenn Flussläufe so weit wie möglich renaturiert würden. Das sieht auch eine EU-Wasserrahmenrichtlinie vor, die das Ziel vorgibt, dass alle Bäche und Flüsse bis 2015 für alle Lebewesen durchgängig sein müssen. Auch die Wiederherstellung von Überflutungsgebieten und Auenwäldern, die wichtige Laichgebiete sind, gehört dazu.
Wanderfische wie Meeresforelle oder Lachs schlüpfen in den Oberläufen der Flüsse und wachsen dann im Meer heran. Wenn sie geschlechtsreif sind, ziehen sie wieder in die Flüsse zurück um zu laichen. Der Aal ist ein nach dem Artenschutzabkommen stark gefährdeter Wanderfisch mit einem umgekehrten Lebenszyklus. Er schlüpft und laicht im Atlantik, verbringt fast das ganze Leben in den Flüssen und muss dann zur Fortpflanzung zurück ins Meer. Der Lebenszyklus eines Lachses dauert mindestens fünf Jahre, der eines Aales etwa 15 Jahre. Deshalb dauern Wiederansiedlungsmaßnahmen auch sehr lange.
Befürworter der Wasserkraft argumentieren, dass die Fischpopulation in den deutschen Gewässern vor 100 Jahren zehnmal höher war als heute - trotz einer zehnfachen Wasserkraftnutzung. Sie sehen vor allem Pestizide und Dünger aus der Landwirtschaft, Chemikalien und Medikamente im Abwasser als größte Bedrohung für die Fische.
Vorhandene Ressourcen für Energiewende nutzen
Klimaschützer fordern ein Umdenken und eine Abwägung der widerstreitenden Umweltinteressen. "Viele Wehre sind schon seit Jahrhunderten da, die sollten möglichst genutzt werden, um Strom für die Energiewende zu haben", sagt Rolf Ahlers, vom Bund für Umwelt- und Naturschutz, BUND. Im DW-Interview betont Ahlers: "Wir müssen den Klimaschutz voranbringen, denn ohne Klimaschutz wird es auch keinen Naturschutz geben."
Axel Berg, Vorsitzender von Eurosolar, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien, wirft den Fischereiverbänden sogar vor, die Wasserkraftnutzung mit unsachlichen Argumenten zu behindern. "Die Flussfischer versuchen uns weiszumachen, dass die ausgesetzten Zuchtfische in den Gewässern besonders ökologisch seien, um damit ihr Hobby zu retten, das können wir uns aber nicht leisten, weil das Klima kippt", so der SPD-Politiker.
Er will die naturnahe Wasserkraftnutzung in Deutschland ausbauen. "80 bis 90 Prozent der Fische in unseren Flüssen sind Zuchtfische, also keine heimischen Fische. Die werden im Frühjahr von den Fischern und Anglern in die Gewässer gesetzt, im Herbst geangelt und dann landen sie im Kochtopf", so Berg im Gespräch mit der Deutschen Welle. Kostenaufwendige Fischtreppen, die neben den Wasserkraftwerken für Wanderfische eingerichtet werden, hält er nicht in jedem Fluss für erforderlich, sondern nur dort, wo es diese Wanderfischarten überhaupt noch gebe.
Energieerzeugung unabhängig von Sonne und Wind
Wasserkraftbefürworter gestehen ein, dass die Stromerzeugung aus Wind- und Sonne auch in Zukunft die wichtigste und günstigste Form der erneuerbaren Stromerzeugung in Deutschland sein wird. Trotzdem halten sie den Ausbau der Wasserkraft im Strommix für sinnvoll, weil Wasserkraftwerke vor allem im Winter Strom produzieren und auch dann, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Darüber hinaus könne Wasserkraft hervorragend gespeichert werden und stehe immer dann zur Verfügung, wenn sie gebraucht wird. "Das ist günstig", betont Harald Uphoff, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Wasserkraftwerke gegenüber der DW. "Es ist eine elegante Ergänzung zur Photovoltaik und Wind."
Die Erzeugungskosten für Strom aus der Wasserkraft sind sehr unterschiedlich. Je größer die Wassermasse und das Wassergefälle, desto billiger wird die Erzeugung, erklärt Martin Weißmann, Dozent für Wassertechnik an der Hochschule Karlsruhe. Große Wasserkraftanlagen produzieren nach seinen Angaben in Europa eine Kilowattstunde Strom für drei bis fünf Euro-Cent, mittelgroße Anlagen (2000 bis 3000 kW) für rund zehn Cent und Anlagen an kleinen Gewässern für bis zu 20 Cent.
Auch wenn der Strom aus diesen sogenannten Kleinwasserkraftwerken teurer ist, hält Uphoff sie für sinnvoll. Sie sei eine gute Ergänzung für die dezentrale umweltfreundliche Stromversorgung und spare Kosten für den Leitungsausbau und umstrittene Umsiedlungen von ganzen Dörfern. Außerdem sieht er kleinere Wasserkraftwerke als besonders interessant für solche Regionen, die noch keinen Stromanschluss haben. "Schon mit einem kleinen Wasserwerk können sie verlässlich zwei oder drei Dörfer das ganze Jahr mit Strom versorgen."