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Gesellschaft

Wassernotstand in Deutschland

Wolfgang Dick
24. August 2020

Klimawandel, wenig Niederschlag im Winter, gestiegener Wasserverbrauch von Bürgern, Landwirten und Industrie lassen den Grundwasserspiegel sinken und Trinkwasser knapp werden. Ein Besuch in einer betroffenen Stadt.

Ulrichstein Wassermangel
Bild: Stadt Ulrichstein

Ulrichstein ist Hessens höchstgelegene Stadt, 614 Meter über dem Meeresspiegel. Die sanfte, grüne Umgebung lässt kaum erahnen, dass es hier massive Probleme mit der Wasserversorgung gibt.

Die Idylle der Kommune im Vogelsbergkreis wird nun wochenlang unterbrochen. Von mächtigem Bohr- und Baugerät. Eine Spezialfirma, die auch schon in vielen anderen Regionen der Welt Wasserquellen erschlossen hat, versucht, neue unterirdische Vorkommen zu erschließen. Das Projekt ist umstritten.

Unsicherheiten und großer Aufwand

Geologen sagen: Dort in Ulrichstein, wo jetzt gebohrt wird, gibt es niemals Wasser! Die Fachfirma hält dagegen und meint: Doch! Die Situation bereitet Bürgermeister Edwin Schneider (58) Sorgen. "Ich hätte nie gedacht, dass es uns einmal so trifft." Von Wassernotständen in einigen anderen Orten im Taunus, wie Schmitten, Weilrod, Kronberg oder Oberursel, hatte Schneider schon gehört. Auch von Problemregionen in Niedersachsen und Ostdeutschland.  

Ulrichstein liegt auf mehr als 600 Metern HöheBild: DW/W. Dick

Das Problem in Ulrichstein: Die sechs Schürfquellen, die die knapp 3000 Einwohner seit rund 100 Jahren aus dem Oberwald mit Trinkwasser versorgen, sind nur zwei bis drei Meter tief und versiegen zunehmend. Sie liefern nur noch vier Kubikmeter Wasser pro Stunde. Benötigt wird aber mindestens die doppelte Menge. Talsperren, aus denen in Deutschland 30 Prozent des Trinkwassers gewonnen werden, stehen nicht zur Verfügung. Es bleibt – wie in 70 Prozent aller Kommunen – nur das Grundwasser.

Ulrichsteins Bürgermeister Edwin Schneider an einer der SchürfquellenBild: DW/W. Dick

Die Gründe für die Wassernot

Bürgermeister Edwin Schneider (parteilos) kann die Ursachen der Lage schnell zusammenfassen. Ulrichstein liegt an der Wasserscheide Rhein-Weser. "Da läuft das Wasser schlicht weg, und starke Winter gibt es in unserer Region auch immer weniger." So könne sich der über den Sommer gesunkene Grundwasserspiegel auch über die Wintermonate nicht mehr erholen. Hinzu komme: Rund ein Drittel des Wasser-Gesamtbedarfs hole sich die Stadt Frankfurt vom Vogelsberg. Immerhin 40 Millionen Kubikmeter. "Als dann Frankfurt seine Bürger bat, die dürstenden Bäume der Stadt im Hitzesommer zu gießen und die Leute dazu das Nass aus den Wasserleitungen nutzten, bin ich wirklich ärgerlich geworden", berichtet Schneider offen.

Zum gleichen Zeitpunkt erreicht ihn die Nachricht, was eine Bohrung in Ulrichstein bis in eine Tiefe von 120 Metern erbracht hat: nichts. Kein Wasser. Das Bittere daran: Für diese Bohrung, die 150.000 Euro kostet, gibt es keine finanziellen Zuschüsse. Weder vom Land noch vom Bund. Ulrichstein muss die Kosten auf den Wasserpreis für die Bürger aufschlagen.

Poröser Aushub: ein Grund für die Wasserprobleme Bild: Stadt Ulrichstein

"Auch als parteiloser Bürgermeister hat es mir nie an politischer Unterstützung gemangelt", sagt Edwin Schneider. Der Stadtrat prüft also weitere Möglichkeiten. Mit einer 4,5 Kilometer langen Wasserleitung könnte noch Trinkwasser über einen Berg gepumpt werden. Für den Leitungsbau würden zusätzliche Kosten von 650.000 Euro anfallen. Man zögert. Doch die Zeit drängt. Auch in die Abwasserreinigung musste in den vergangenen beiden Jahren erheblich investiert werden. Die Stadt hat zwei der insgesamt acht Klärwerke umbauen und modernisieren lassen. Für 2,3 Millionen Euro. Wenigstens hier hat das Land einen Zuschuss von 45 Prozent gewährt. 

Mit Milchwagen wurde Wasser an die Versorgungsstelle transportiertBild: Stadt Ulrichstein

Eine Notlösung

Schließlich bittet man ein Transportunternehmen um einen Milchwagen. In ihm werden sechsmal am Tag rund 60.000 Liter Wasser angeliefert und in einen Hochbehälter in Ulrichstein gefüllt. Ein halbes Jahr geht das so. Schon im ersten Dürrejahr 2018. Zusätzlich werden die Bürger von Ulrichstein gebeten, Wasser zu sparen. Kein Wasser für den Rasen, kein Wasser für Dinge, die nicht unbedingt notwendig sind.  

Hoher Wasserpreis – Unmut regt sich

Klaus Kraft trifft es besonders. Er betreibt seit vielen Jahren eine Wäscherei in Ulrichstein und benötigt am Tag ungefähr zwölf Kubikmeter Wasser, früher waren es sogar dreißig. Die Konkurrenz ist hart. "Ich kann die Kostensteigerungen deshalb leider nicht auf meine Preise aufschlagen." Derzeit liegt der Preis für einen Kubikmeter Frisch- und Abwasser bei rund zehn Euro. Das ist zwei bis beinahe dreimal so viel wie in anderen Städten. 

Klaus Kraft betreibt eine Wäscherei in UlrichsteinBild: DW/W. Dick

Eine Nachbarin, die schon sehr lange in Ulrichstein ansässig ist, berichtet, dass es die Probleme erst seit drei Jahren massiv gibt."Plötzlich war auch kein Druck mehr auf der Leitung." Die von der Stadt ausgesprochenen Regeln für den Umgang mit Wasser würden aber bis auf wenige Ausnahmen eingehalten. Die neue Herausforderung seien jetzt Pools, die sich viele im Garten bauten. "Das werden immer mehr." Den Eindruck der Ulrichsteinerin bestätigt der Bundesverband Schwimmbad und Wellness auch für das gesamte Bundesgebiet. Die Nachfrage sei während der Corona-Krise um fast 3000 Prozent angestiegen. Die Menschen, die weniger verreisen, wollten es zuhause eben schön haben. Das treibt auch den Wasserverbrauch.   

Anwohnerin: Es gibt immer mehr PoolsBild: DW/W. Dick

Die Aussichten für die Zukunft

Schließlich führt eine noch tiefere Bohrung in Ulrichstein doch noch zu einem Teilerfolg. Aus 200 Metern Tiefe kommt jetzt zwar nicht so viel Wasser, wie man sich erhofft hatte, aber es reicht zunächst einmal für eine Übergangszeit. Wie viele Jahre die 800.000 Euro-Brunnen-Investition wirklich das Problem löst, vermag in Ulrichstein niemand zu sagen. Der Blick der Menschen dort richtet sich auf die Prognosen der Wasserexperten.

Erst nach großem Aufwand zeigt sich der Bohrungserfolg in UlrichsteinBild: Stadt Ulrichstein

Man müsse sich auf weitere Wasserknappheit in Deutschland einstellen, erklärt Biologe Karsten Rinke vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Technische Innovationen und die Sparanstrengungen seit den 1990er-Jahren hätten immerhin den durchschnittlichen Wasserverbrauch eines Deutschen von 147 auf 123 Liter pro Tag gesenkt. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verweist auf die aktuellen Klima-Risikoanalysen und sieht "Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser". Nicht bundesweit, aber für einige Regionen in West- und Ostdeutschland.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) beabsichtigt, im Frühjahr 2021 mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen in einem "Wasserdialog" zu besprechen, wie die Trinkwasserversorgung gesichert werden kann. Eine umfassende "Wasserstrategie" soll vorgelegt und diskutiert werden.

 

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