Über 53.000 Soldaten starben in der Schlacht bei Waterloo, aber seltsamerweise wurden bis heute kaum Überreste gefunden. Laut einem britischen Archäologen könnten die Knochen zu Dünger verarbeitet worden sein.
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Es war einer der blutigsten Schicksalsschlachten in Europa: Am 18. Juni 1815 verlor die französische Armee unter Napoleon Bonaparte den entscheidenden Kampf gegen alliierte Truppen unter dem britischen Duke of Wellington und dem preußischen Feldmarschall Fürst Blücher. Am Ende lagen in dem kleinen Ort Waterloo, südlich von Brüssel, über 53.000 Männer tot auf dem Schlachtfeld.
Über 200 Jahre später hat ein Team um den britischen Archäologen Professor Tony Pollard jetzt ein vollständig erhaltenes Skelett in der Nähe eines ehemaligen Feldlazaretts auf dem historischen Schlachtfeld gefunden. Außerdem wurden die Überreste mehrerer amputierter Gliedmaßen entdeckt.
Der Fund ist erstaunlich, weil bei Ausgrabungen bisher nur wenige sterbliche Überreste gefunden wurden. Von Massengräbern fehlt jede Spur.
Professor Tony Pollard hat anhand von Briefen, Gemälden, Zeitungsartikeln und persönlichen Beschreibungen von zeitgenössischen Schriftstellern und Dichtern, Malern, Diplomaten und Schaulustigen rekonstruiert, was in den Tagen und Wochen nach der Schlacht in Waterloo geschah.
Bereits wenige Tage nach der Schlacht, so Pollard, "sobald sich der Schmauch gelegt hatte", kamen die ersten Schaulustigen und Plünderer nach Waterloo.
In den bedrückenden Schilderungen berichten viele Zeitzeugen, dass auch die lokale Bevölkerung viele Tote vor dem Vergraben ihrer Kleider und Gegenstände beraubt hätte. "Viele kamen, um die Habseligkeiten der Toten zu stehlen, einige stahlen sogar Zähne, um sie zu Prothesen zu verarbeiten, andere kamen einfach, um zu beobachten, was passiert war", erklärt Pollard.
Unter den Besuchern waren laut Pollard auch zahlreiche Knochenhändler. "Die Schlachtfelder Europas waren günstige Bezugsquellen für Knochen", so der Direktor des Zentrums für Schlachtfeldarchäologie an der Universität Glasgow im Fachblatt "Journal of Conflict Archaeology".
Knochen als begehrte Düngemittel in der Landwirtschaft
"In mindestens drei Zeitungsartikeln aus den 1820er Jahren wird die Einfuhr menschlicher Knochen von europäischen Schlachtfeldern zur Herstellung von Dünger erwähnt", so der Archäologe Pollard.
"In den zwei Jahrzehnten nach der Schlacht von Waterloo lieferten die europäischen Schlachtfelder einen reichen Vorrat an Knochenmaterial, das zu Knochenmehl zermahlen werden konnte", so Pollard. "Dieses Knochenmehl diente vor der Entdeckung der Superphosphate in den 1840er Jahren als Dünger."
Ähnlich verfuhr man offenkundig auch mit den Gefallenen der "Völkerschlacht bei Leipzig", bei der 1813 eine Allianz aus Truppen von Preußen, Österreich, Schweden und Russland über Napoleon Bonaparte gesiegt hatte. Bei dieser "Völkerschlacht" fielen rund 92.000 der etwa 600.000 beteiligten Soldaten.
Eine englische Zeitung berichtete im November 1829, dass ein schottischer Landbesitzer einen ganzen Frachter, beladen mit Knochen vom Leipziger Schlachtfeld, erworben hatte, um sie zu Knochenmehl-Dünger verarbeiten zu lassen.
Detaillierte Augenzeugenberichte
Vor allem viele Engländer zog es zu dem berühmten Schlachtfeld, wo Napoleon Bonaparte seine vernichtende Niederlage erlitten hatte, die zu seiner Abdankung und zum Ende des Französischen Kaiserreichs führte. "Sein Waterloo erleben" - diese Redewendung steht bis heute als Synonym für eine totale Niederlage.
In den detaillierten Aufzeichnungen, Schilderungen und Gemälden, die Schriftsteller und Dichter, Maler, Diplomaten und Schaulustige vom Schlachtfeld in Waterloo anfertigten, berichteten die Zeitzeugen von gewaltigen Leichenbergen, die kaum zu bewältigen waren. Wo es ging, wurden die Gefallenen in Massengräbern oder in vorhandenen Gräben auf dem Schlachtfeld begraben.
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Riesige Leichenberge
Oftmals aber wurden die Leichen wohl verbrannt. So berichtete die Engländerin Charlotte Eaton, dass die ausgehobenen Massengräber gar nicht für all die Leichen ausreichten: "Die Gruben waren gegraben, aber ihre Füllung ragte über die Bodenoberfläche hinaus", schrieb Eaton, die selbst 1815 in Brüssel lebte. "Diese entsetzlichen Haufen wurden daher mit Holz bedeckt und angezündet."
Dass viele Leichen eher verbrannt als begraben wurden, schilderte auch der schottische Kaufmann James Ker, der von seiner Wahlheimat Brüssel aus Waterloo unmittelbar nach der Schlacht besuchte: "Auf der französischen Seite des Felds war der Gestank so schlimm, dass man es für vernünftig hielt, die Toten, Männer und Pferde, aus Mangel an Zeit und Helfern zu verbrennen statt sie zu begraben."
Wurden die Massengräber später geplündert?
Archäologe Pollard hält es für unwahrscheinlich, dass noch Massengräber gefunden werden. "Ungeachtet der künstlerischen Freiheit und der Übertreibung bei der Zahl der Leichen in den Massengräbern wurden die Körper der Toten eindeutig an zahlreichen Orten auf dem Schlachtfeld entsorgt, so dass es einigermaßen überraschend ist, dass es keine verlässlichen Aufzeichnungen über die Entdeckung eines Massengrabs gibt", erklärt Archäologe Pollard.
Anhand der Augenzeugenberichte und Bilder lassen sich die mutmaßlichen Massengräber eigentlich gut lokalisieren: In Frage kommen das Gebiet um Hougoumont, ein Gebiet nahe La Haye Sainte und eine Sandgrube bei La Belle Alliance.
Allerdings wurden diese Stellen bereits von Archäologen ausführlich mit Testgrabungen und Bodenradar untersucht - vergeblich. Massengräber oder Verbrennungsstätten wurden nicht gefunden. "Insgesamt haben die Untersuchungen keine Belege für Grabgruben zeigen können, weder in Form menschlicher Relikte wie Knochen noch von erkennbaren Gruben", schreibt Pollard. "Ein Grund für diesen Mangel an Gräbern kann die Verbrennung der Toten sein, aber selbst dies kann nur einen Teil der unzähligen verschwundenen Relikte erklären."
Nach Ansicht des britischen Archäologen ist es durchaus möglich, dass Ortsansässige den Knochenhändlern die Lage der Massengräber gezeigt und ihnen auch beim Abtransport geholfen hätten. "Einheimische hätten den Agenten die Standorte der Massengräber zeigen können, da sich viele von ihnen lebhaft an die Bestattungen erinnern oder sogar bei den Ausgrabungen geholfen haben könnten."
Schließlich war der Handel mit Knochen ein lukratives Geschäft, kamen die Knochengräber doch in den Massengräbern vergleichsweise einfach an sehr viele Knochen.
Suche wird fortgesetzt
Aus heutiger Sicht ist es allerdings sehr verwunderlich, dass eine derart pietätlose Störung der Totenruhe einfach hingenommen oder einfach totgeschwiegen wurde. Laut Pollard sei in den Aufzeichnungen "nirgendwo eine Aushebung der Massengräber in großem Stil kommentiert worden".
Klarheit wird es wohl erst geben, wenn die beschriebenen Massengräber oder zumindest Spuren davon gefunden werden. "Wenn menschliche Überreste in dem vermuteten Umfang entfernt wurden, sollten in einigen Fällen noch archäologische Beweise für die Gräber vorhanden sein, aus denen sie entnommen wurden", so Pollard.
"Als Nächstes geht es zurück nach Waterloo", erklärt der Direktor des Zentrums für Schlachtfeldarchäologie an der Universität Glasgow. Der Archäologe will dort auf Grundlage der zeitgenössischen Aufzeichnungen, mit eigenen Ausgrabungen und Bodenmessungen noch vorhandene Grabstätten finden. Vielleicht bringt dies ja Gewissheit, was mit den vielen Gefallenen von Waterloo tatsächlich geschah.
Aktualisiert am 15.07.2022
Wer war Napoleon Bonaparte?
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Inszenierung eines Mythos
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Napoleons große Liebe
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1798, zwei Jahre nach der Hochzeit, bricht Napoleon auf Befehl der Revolutionsregierung zur "Ägyptischen Expedition" auf. Der Feldzug an den Nil wird zum Triumph: Er schafft es, das Land dem Osmanischen Reich zu entreißen. Im Gefolge hat er auch Wissenschaftler und Künstler, die die Geschichte der alten Pharaonen erforschen und in Europa einen Boom auslösen.
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Rückkehr in die Heimat
Wegen der Misswirtschaft der Pariser Regierung und militärischen Scharmützeln der besiegt geglaubten Österreicher in der Heimat kehrt Napoleon 1799 unaufgefordert nach Frankreich zurück. Das Kommando in Ägypten übergibt er seinem dienstältesten General Kléber. Man könnte ihm Fahnenflucht vorwerfen, doch das Volk liebt ihn. Für seine Landsleute ist er der siegreiche Feldherr und strahlende Held.
Für das Volk ist Napoleon der starke Mann, der Frankreich vor der Misswirtschaft retten soll. 1799 übernimmt er per Staatsstreich die Macht und erklärt die Revolution für beendet. Er lässt sich für zehn Jahre zum obersten von drei Konsuln wählen und leitet Reformen der Justiz, des Militärs und der Bildung ein. 1804 veröffentlicht er den "Code civil", das erste bürgerliche Gesetzbuch Frankreichs.
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Die Krönung
Erster Konsul zu sein reicht Napoleon nicht, 1804 wird er Kaiser. In der Pariser Kathedrale Notre-Dame entreißt er dem Papst sogar die Krone und setzt sie sich kurzerhand selbst aufs Haupt. Seine Vorbilder: Alexander der Große und Cäsar. Er will die Welt beherrschen. Seine Geschwister wird er später als Staatsoberhäupter in den Ländern einsetzen, die er besiegt.
Napoleons Kriegszüge spülen Geld in die französische Staatskasse. Und bis 1815 führt er fast nur Kriege - gegen die Österreicher, die Preußen, die Russen, die Briten und ihre Verbündeten. Ganz Europa krempelt er um. Das 900-jährige Heilige Römische Reich kollabiert, Städte wie Rom oder Köln werden französisch. "Der Korse und seine Bluthunde" titelt diese zeitgenössische Karikatur.
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Spartanische Bleibe
Luxus ist Napoleon fremd, auf dem Schlachtfeld ist sein Zelt nach Soldatenmanier spartanisch eingerichtet. Bei seinen Feldzügen sterben hunderttausende Soldaten und Zivilisten, ganze Landstriche werden verwüstet. Die Zahl der Niederlagen, die er seinen Gegnern zufügt, ist riesig - trotzdem verspotten sie ihn gern als "kleinen Korsen". Dabei war er mit 1,68 m für seine Zeit gar nicht klein.
Bild: La Villette
Flüchtiges Familienidyll
Privat hadert Napoleon damit, dass Joséphine ihm keinen Thronerben schenkt. Sie gibt ihm die Schuld, hat sie doch zweimal Nachwuchs aus erster Ehe. Doch Napoleon hat zwei seiner Mätressen geschwängert, an ihm kann es also nicht liegen. 1810 lässt er sich scheiden und nimmt die österreichische Kaisertochter Marie-Louise zur Frau. Mit ihr zeugt er seinen einzigen legitimen Sohn, Napoleon II.
Bild: akg-images/VISIOARS/picture-alliance
Vernichtende Niederlage
1812 marschiert Napoleon in Russland ein und besiegelt damit seinen Untergang. Seine Truppen erreichen Moskau, doch dann geht die Grande Armée im eiskalten Winter zugrunde. Nur wenige Soldaten schaffen es aus Russland zurück. Der Zar verbündet sich mit Preußen und Österreich. Bei der "Völkerschlacht" von Leipzig 1813 treffen die Heere aufeinander - und Napoleon muss sich geschlagen geben.
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Verwaister Thron
Im März 1814 erobert die antinapoleonische Allianz Paris. Der Kaiser muss abdanken und wird nach Elba ins Exil geschickt. Auf der Mittelmeerinsel lebt er in einem Palast mit einer fürstlichen Jahresrente. Aber er will zurück nach Frankreich und bereitet 1815 ganz offen die Rückkehr vor. Dort sammelt er Truppen um sich und ergreift erneut die Macht. Doch diese Herrschaft soll nur 100 Tage dauern.
Bild: La Villette
Napoleons Waterloo
Nach Napoleons Niederlage hatten die Siegermächte den Wiener Kongress einberufen, um Europa neu zu ordnen und ein Gleichgewicht der Mächte zu schaffen. Doch plötzlich taucht der Franzose wieder auf, und man setzt 133.000 Mann gegen ihn in Marsch. Die erste Schlacht gewinnt er, doch in Waterloo wird er von den Truppen des englischen Generals Wellington vernichtend geschlagen.
Bild: Olivier Hoslet/dpa/picture alliance
Exil auf St. Helena
Diesmal soll der Franzose keine Möglichkeit haben, die Alliierten erneut zu überraschen. Die Briten verbannen ihn mitten in den Südatlantik auf die Insel St. Helena. Dort stirbt Napoleon am 5. Mai 1821. Man vermutet, dass er an Magenkrebs litt. Der Mann, der Europa mit Krieg überzogen und gleichzeitig fortschrittliche Reformen angestoßen hat, ist gerade einmal 51 Jahre alt geworden.
Bild: Sampers Erik/ABACA/picture alliance
Letzte Ruhestätte
1840 lassen die Franzosen Napoleons Gebeine im Pariser Invalidendom aufbahren. Unter der vergoldeten Kuppel ruht der Korse im 13-Tonnen-Sarkophag. Bis heute genießt er nicht nur unter seinen Landsleuten Kultstatus. Heinrich Heine schrieb einst: "Napoleon ist nicht von dem Holz, woraus man Könige schnitzt - er ist von jenem Marmor, woraus man Götter macht."