Weg vom Mutterland Spanien
26. November 2012Wenn vor einem Fußball Länderspiel die spanische Nationalhymne ertönt, bleibt es auf den Rängen meist ruhig. Allenfalls ein "La-la-la" in der Melodie der Hymne ist zu vernehmen. Das liegt daran, dass die spanische Hymne keinen offiziellen Text hat. Spanien ist ein Land mit großen unterschiedlichen Volksgruppen, die jeweils ihre eigene Sprache sprechen. Auch wenn Spanisch offiziell die Nationalsprache ist, so spielt sie auf regionaler Ebene oft nur eine untergeordnete Rolle.
In Katalonien, einer der wirtschaftlich stärkeren Regionen im durch die Finanzkrise gebeutelten Spanien, waren die Menschen am vergangenen Sonntag (25.11.2012) zur Parlamentswahl aufgerufen. Ministerpräsident Artur Mas, ein konservativer Separatist, hatte die Wahl um zwei Jahre vorverlegt, um seine Regierungsmehrheit auszubauen und so gestärkt die Bemühungen um eine Loslösung vom Mutterland Spanien in Angriff zu nehmen. Die Rechnung ging jedoch nicht auf. Seine Partei, die CiU, kam nur noch auf 50 der 135 Sitze im Regionalparlament. Damit blieb sie zwar stärkste Kraft, verlor aber zwölf Mandate.
Plädoyer für die Unabhängigkeit
Berthold Rittberger, Professor für Politikwissenschaften an der Universität München und Spezialist für regionale Integration, sieht im Wahlausgang in Katalonien dennoch kein Votum der Bevölkerung gegen die Autonomiebestrebungen, sondern ein Abstrafen der Regionalregierung für ihre Politik in anderen Bereichen. "Die Wahl zeigt schon, dass man mit einer Agenda des Separatismus Stimmen gewinnen kann, aber das heißt nicht automatisch, dass die Wähler dann auch sagen, dieses Thema dominiert alles", sagte Rittberger im Interview mit der DW.
Sitze hinzugewonnen haben nämlich auch die linksorientierten Autonomiebefürworter der ERC, die ihren Stimmenanteil verdoppeln konnten. Mas beeilte sich denn auch zu verkünden, dass er am Plan eines Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien festhalten wolle.
Wirtschaftskraft entscheidender Faktor
Eine Autonomie von Katalonien, gegen den Widerstand der spanischen Regierung in Madrid, wäre ein Novum für ein demokratisches Land in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Die Aufspaltung der Tschechoslowakei in die Tschechische Republik und die Slowakei wurde 1993 von beiden Seiten mitgetragen und weitgehend widerstandslos und friedlich vollzogen. Bei der Aufspaltung der ehemaligen Republik Jugoslawien kam es nach Volksabstimmungen über eine Unabhängigkeit der einzelnen Teilrepubliken zum Krieg. Der Vielvölkerstaat Jugoslawien zerfiel. Zuletzt erklärte sich 2008 das Kosovo für unabhängig von Serbien. Der völkerrechtliche Status des Kosovo ist bis heute nicht eindeutig geregelt.
Auch wenn die Gründe für den Wunsch nach Unabhängigkeit vielfältig sind und eine eigenständige kulturelle und sprachliche Identität eine maßgebliche Rolle spielt, so sind es fast immer wirtschaftlich starke Regionen, die nach Autonomie streben. Ob Katalonien, Südtirol in Italien oder Flandern in Belgien: Alle sind so genannte Bruttozahler innerhalb ihres Nationalstaates und subventionieren wirtschaftlich schwächere Regionen. Insofern verstärkt auch die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, in der gerade dieses Thema auch auf europäischer Ebene zwischen den Nationalstaaten heftig diskutiert wird, diese Entwicklung. Eine Loslösung von der EU spielt bei den Unabhängigkeitsbestrebungen der Regionen jedoch keine Rolle. Im Gegenteil: Katalonien, Südtirol und Flandern wollen als eigenständige Staaten Mitglieder in der EU werden.
Ausnahme Schottland
Etwas anders verhält sich die Lage in Schottland. Hier sind die separatistischen Bestrebungen formal schon am weitesten gediehen: 2014 wird es eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich geben, mit offizieller Duldung der britischen Regierung in London. In Schottland spielen wirtschaftliche Beweggründe jedoch nur eine untergeordnete Rolle.
Schottland ist innerhalb von Großbritannien kein ausgesprochener Wirtschaftsmotor. "Bei den Schotten weiß man gar nicht, ob das eigene Budget überhaupt ausreicht, um den schottischen Wohlfahrtsstaat zu finanzieren", sagt Roland Sturm, Politikwissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg im DW-Interview. Möglicherweise ist dies ein Grund dafür, dass nach aktuellen Umfragen auch nur ein Drittel der Schotten für die Unabhängigkeit stimmen würde. In einer Sache sind die Schotten den Spaniern und Katalanen jedoch schon jetzt voraus: Sie haben nicht nur eine eigene Fußballnationalmannschaft, sondern auch eine eigene, wenn auch nur inoffizielle, Hymne, die vor den Fußballspielen zu hören ist - mit Text.