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GesellschaftDeutschland

"Lasst die Restaurants im Dezember bloß zu!"

15. November 2020

Die Gastronomie ist erneut im Corona-Lockdown. Zunächst für vier Wochen. Es gibt Finanzhilfen, außerdem darf außer Haus verkauft werden. Reicht das? Bange Blicke richten sich auf den Winter. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Ein Raum der Kurpfalz-Weinstuben: In der rechten Ecke stehen die Stühle eng gestapelt, links daneben stehen viele leere Kartons.
Im Corona-Lockdown muss die Gemütlichkeit weichenBild: Sabine Kinkartz/DW

"Dreimal Gänse-Menü, einmal vegetarisch", ruft Vincenzo Berényi und tackert den Bestellzettel mit dem Namen des Kunden energisch an einen leeren Karton zur Auslieferung. Der Chef der Kurpfalz-Weinstuben steht mit ein paar Mitarbeitern in seinem Restaurant in Berlin-Charlottenburg und macht 130 Bestellungen für die Abholung fertig.

Ein besonderes Menü zum Sankt-Martins-Tag. Doch was normalerweise dekorativ auf einem Teller angerichtet und serviert wird, ist in diesem Jahr im Corona-Lockdown in Folien und Schachteln portioniert und eingeschweißt: Zanderterrine mit Föhrer Bio-Wattenmeermuscheln und Fenchelsalat, Gänsekeule mit Bratapfel, Rot- und Grünkohl, Klößen und Beifuß-Jus und zum Nachtisch Birnentopfenstrudel mit Obstsalat und Nougatsoße.

Bei den Gästen in Erinnerung bleiben

Aus den Weinstuben ist seit Anfang November erneut alle Gemütlichkeit gewichen. Die schweren Holztische sind beiseitegeschoben, die Stühle stapeln sich dicht gedrängt in einer Ecke. Davor türmt sich ein Berg leerer Kartons. "Wir mussten im Frühjahr doch auch schon für zwei Monate schließen, da haben wir auch Außer-Haus-Verkauf und hin und wieder größere Menüs angeboten", erinnert sich Wirt Berényi.

Essen aus dem Karton - in Krisenzeiten muss das reichenBild: Sabine Kinkartz/DW

Nach einer Stunde sind die Kartons gefüllt, inklusive exakter Hinweise zum Aufwärmen und Anrichten. "Bitte lesen Sie diese Anleitung aufmerksam, vor Beginn, komplett durch!", steht in roter Schrift mahnend darüber. Das Essen soll auch zu Hause ein Erlebnis sein und das Restaurant in den Köpfen der Gäste lebendig halten. "Es gibt 8000 Kneipen in Berlin, da bist du ganz schnell vergessen", sagt Gastwirt Berényi.

29,90 Euro kostet das Gänse-Menü. "Ein günstiger Preis", meint der Gastronom, wenn man die Vorbereitungszeit mit einrechne. "Aber es geht jetzt nicht darum, Geld zu verdienen. Es geht darum, präsent zu sein und zu überleben und alle Mitarbeiter so zu bezahlen, dass auch sie noch leben können."

Kurzarbeit, Finanzhilfen und Außer-Haus-Verkauf

Sechs feste Mitarbeiter hat das Restaurant und sieben Aushilfen. Sie sind derzeit nur stundenweise beschäftigt. Berényi hat Kurzarbeit angemeldet, das heißt, 60 Prozent der Gehälter bezahlt im Moment der Staat. Auch wenn der Außer-Haus-Verkauf nicht viel einbringt, ist er trotzdem eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle. Die Restaurants dürfen das Geld behalten und müssen es sich nicht auf die staatlichen Finanzhilfen anrechnen lassen.

Gastwirt Vincenzo Berényi (re.) kämpft im Lockdown ums ÜberlebenBild: Sabine Kinkartz/DW

Zehn Milliarden Euro haben der Bundesfinanzminister und der Wirtschaftsminister den vom Lockdown direkt betroffenen Betrieben zugesagt. Kleine Unternehmen sollen 75 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes aus dem November 2019 bekommen, große 70 Prozent. Natürlich abzüglich dessen, was über andere Hilfsmaßnahmen, beispielsweise das Kurzarbeitergeld, gezahlt wird. Gewinn soll damit niemand machen, es ist Geld, das dringend für die Fixkosten wie beispielsweise die Miete gebraucht wird.

Jedem sechsten Betrieb droht die Pleite

Allerdings lassen die Hilfen auf sich warten, sie können frühestens Ende des Monats beantragt werden und auch nur über Steuerberater oder Anwälte. Zu umständlich, zu bürokratisch, finden viele Betroffene. Auch Gastwirt Berényi ist sauer. "Wer weiß, ob das Geld überhaupt kommt", unkt er. "Manchmal hat man das Gefühl, man hat da eine Klasse von Schülern, die nicht lesen und schreiben kann", urteilt er über das Krisenmanagement der Politiker, die dem wachsenden Unmut jetzt mit Abschlagszahlungen ab Ende November begegnen wollen. 

Keine Seltenheit: Außer-Haus-Verkauf mit 50 Prozent Rabatt in einem Berliner GrillrestaurantBild: Sabine Kinkartz/DW

Das Geld wird in den meisten Unternehmen dringend gebraucht, denn neun Monate nach Beginn der Corona-Pandemie sind die Rücklagen vielerorts aufgebraucht und die Betriebe wirtschaftlich geschwächt. Einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) zufolge sehen sich gut 71 Prozent der Gastronomen aktuell in ihrer Existenz gefährdet. Jedem sechsten Betrieb droht demnach bereits die Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit.

Auch andere Branchen leiden unter Corona-Folgen

Noch mehr Sorgen als um die Restaurants macht sich Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer beim Dehoga Berlin, um die Hotellerie. Mehr als 90 Prozent der Zimmer würden in der Hauptstadt aktuell leer stehen. Dazu kommen die Verluste durch ausfallende Banketts und Bälle, die für die Hotels im Winter normalerweise ein gutes Geschäft sind. Vom ersten Lockdown im März bis jetzt gerechnet habe die Hotelbranche im Durchschnitt einen Umsatzrückgang von 75 Prozent zu beklagen.

Wo die Hotels leer und die Restaurants geschlossen sind, leiden auch andere Branchen. Wäschereien beispielsweise, die normalerweise für die Hotels arbeiten, oder Taxifahrer, die keine Aufträge mehr bekommen. In innerstädtischen Lagen ist kaum noch etwas los. Auch bei Einzelhändlern, die zwar weiter öffnen dürfen, denen aber die Kunden ausbleiben, herrscht Alarmstimmung.

Weihnachten wie üblich wird es nicht geben

In den Kurpfalz-Weinstuben lief das Geschäft auch vor dem Lockdown schon nicht mehr gut. "Wir hatten im Oktober nicht einmal 40 Prozent der Auslastung, die wir 2019 um diese Zeit hatten", so Gastwirt Vincenzo Berényi. "Uns fehlen die Touristen." Außerdem scheuten sich die Gäste angesichts der deutlich angestiegenen Infektionszahlen davor, in geschlossenen Räumen zu sitzen. Daran werde sich in den Wintermonaten absehbar nichts ändern, da ist sich der Wirt sicher.

Die Mitarbeiter der Kurpfalz-Weinstuben sind froh, wenn sie arbeiten könnenBild: Sabine Kinkartz/DW

Mit Sorge blickt er auf die geplante Wiedereröffnung Anfang Dezember. Normalerweise macht die Gastronomie vor Weihnachten ein Bombengeschäft, auch die Weinstuben sind dann ausgebucht. In diesem Jahr aber wird alles anders sein. "Dann hast du vielleicht vier Tische im Restaurant besetzt und stehst grübelnd am Tresen und überlegst, wie du deine Mitarbeiter und deine Miete bezahlen sollst", überlegt Berényi.

Düstere Aussichten für Weihnachten

Diese Gefahr sieht man auch beim Berliner Hotel- und Gaststättenverband. "Aber wir wollen arbeiten", sagt Thomas Lengfelder, für den eine Fortsetzung des Lockdowns bis einschließlich Weihnachten und Silvester keine Option ist. Vincenzo Berényi ist da ganz anderer Meinung. "Lasst die Restaurants im Dezember bloß zu!", appelliert der Wirt an die Politiker. "Die Leute werden sowieso nicht kommen."

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