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Politik

Was bringt das Urteil zur Flüchtlingsquote?

6. September 2017

Ungarn und die Slowakei verweigern die Flüchtlingsaufnahme per Quote und zogen deshalb vor den Europäischen Gerichtshof. Dort werden sie voraussichtlich scheitern. Und was dann? Bernd Riegert berichtet.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg
Bild: Imago/R. Fishman

Die beiden Klägerinnen geben sich trotzig. Ungarn und die Slowakei haben bisher offen gelassen, ob sie sich einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Umverteilung von Flüchtlingen in ihre Länder tatsächlich beugen würden. Der Staatssekretär Pal Völner im ungarischen Justizministerium warf dem Generalanwalt des Gerichts, Yves Bot, schon vor, sich einer Verschwörung des US-Milliardärs George Soros angeschlossen zu haben.

Ziel der beiden sei es, europäische Gremien zu unterwandern, und die "christliche und nationale" Identität der Völker Europas durch Einwanderung zu zerstören. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico sagte im Juli bei einem Besuch in Brüssel, er habe ein ernstes Problem mit Flüchtlingsquoten. Er werde das alles erst kommentieren, wenn das Gericht geurteilt habe.

"Urteile müssen befolgt werden"

An diesem Mittwoch ist es soweit. Der Europäische Gerichtshof wird ein grundsätzliches Urteil zur Arbeit der Europäischen Union fällen, denn die Klägerinnen Ungarn und die Slowakei hatten angezweifelt, ob der Ministerrat, also die Vertretung der 28 Mitgliedsstaaten, wie im EU-Vertrag vorgesehen mit Mehrheit über Flüchtlingsverteilung entscheiden kann. Der Fraktionschef der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Manfred Weber (CSU), hat die Klägerinnen schon einmal vorsorglich aufgefordert, das Urteil auch anzunehmen und anzuwenden. "Es ist klar, dass sich alle Staaten an Urteilssprüche des EuGH halten müssen", sagte Weber der Nachrichtenagentur "epd" in Brüssel. Der Richterspruch biete "eine Chance, die offene politische Wunde in der EU bei der Migrationspolitik zu schließen", hofft Manfred Weber.

Keine Flüchtlinge, "reines Volk": Ungarns Premier Viktor OrbanBild: Getty Images/AFP

Ungarn hat sich bisher strikt geweigert, auch nur einen einzigen umverteilten Flüchtling aus Italien oder Griechenland aufzunehmen. Die Slowakei hat 16 Menschen aufgenommen. Nach dem angefochtenen Mehrheitsbeschluss des Ministerrates vom September 2015 hätte Ungarn 1294 Flüchtlinge aufnehmen müssen, die Slowakei 904.

Damals auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise hatte die EU beschlossen, bis zu 120.000 Flüchtlinge und Asylbewerber per Quote auf alle Mitgliedsstaaten zu verteilen - gestaffelt nach wirtschaftlicher Leistungskraft und Einwohnerzahl. Im Dezember 2015 reichten die Slowakei und Ungarn dagegen Klage ein, weil sie meinten, ein Beschluss zur Einwanderung könne von der EU nicht gefasst werden, und wenn schon gar nicht nur mit Mehrheit, sondern nur einstimmig. In ihrem Vorbringen sorgten sich die beiden Klägerinnen auch, dass womöglich die UN-Flüchtlingskonvention von der EU verletzt werden könnte.

Tausende Flüchtlinge in Griechenland stehen zur Umverteilung an: Alle EU-Staaten zögernBild: Getty Images/AFP/L. Gouliamaki

"Klagen abweisen"

Der Generalanwalt des Gerichtshofes, Yves Bot, wies die Argumente zurück. Alles sei rechtens zugegangen, die EU habe ihre Kompetenzen nicht überschritten. Bot empfahl als Gutachter der Großen Spruchkammer des Gerichts, die Klagen ohne Wenn und Aber als unbegründet abzuweisen. In den meisten Fällen folgt das Richtergremium solch klaren Gutachten. Die Klägerinnen hatten im mündlichen Prozess darauf verwiesen, dass auch andere Staaten ihre Quoten nicht erfüllt hätten.

Außer Malta und Liechtenstein hat keines der beteiligten Länder in den vergangenen zwei Jahren genügend Flüchtlinge umgesiedelt. Insgesamt sind nur 30.000 Menschen aus Griechenland und Italien verteilt worden. Das sei im Urteil des Gerichts aber nicht zu berücksichtigen, meint Generalanwalt Yves Bot. An der Rechtsmäßigkeit des Beschlusses ändere seine mangelnde Umsetzung nichts.

Auch Polen verweigert die Umverteilung

Polen hat sich der Verweigerungshaltung Ungarns während des Prozesses angeschlossen und unterstützt die Klage ausdrücklich. Die polnische Regierung weigert sich ebenfalls, auch nur einen einzigen Flüchtling über die Quote aufzunehmen. Regierungschefin Beata Szydlo wies in einem Interview mit dem polnischen Nachrichtenmagazin "Sieci" das "Diktat der größten Staaten in der EU" in der Flüchtlingspolitik zurück.

Polen lasse sich auch nicht mit der Drohung erpressen, die EU-Fördergelder würden gekürzt, sollte das Land auch nach einem Urteilsspruch aus Luxemburg keine Einwanderer aufnehmen, zürnte Szydlo. Die Ministerpräsidentin sagte, EU-Gelder seien ein grundlegender Bestandteil der Union: "Wir haben ein Recht auf sie."

Flüchtlinge im September 2015 in Budapest: Auch sie sollten verteilt werdenBild: picture-alliance/dpa/MTI/Z. Szigetvary

Geberländer wie Deutschland oder auch die EU-Kommission sehen das anders. Solidarität sei keine Einbahnstraße, heißt es dazu aus Brüssel. Gegen Polen, Ungarn und Tschechien hat die EU-Kommission bereits ein juristisches Verfahren eingeleitet, um sie für die Nichtaufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern zu bestrafen. Am Ende könnten hier Geldstrafen drohen. Die Autorität des Europäischen Gerichtshofes untergräbt Polen schon in einem anderen Fall. Die Regierung weigert sich, eine einstweilige Anordnung zum Schutz eines Urwaldes in Polen umzusetzen. 

Kleine Ironie am Rande der Geschichte: Ursprünglich war im EU-Beschluss vorgesehen, auch aus Ungarn 54.000 Flüchtlinge in andere EU-Staaten zu verteilen. Ungarn verzichtete darauf, weil die aus Griechenland angekommenen Menschen Budapest inzwischen schon wieder in Richtung Österreich und Deutschland verlassen hatten. Ministerpräsident Viktor Orban weigerte sich Anfang September 2015, Tausende Flüchtlinge in Ungarn zu versorgen oder gemäß der "Dublin-Verordnung" deren Asylanträge entgegen zu nehmen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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