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Politik

Mali: "Menschen wollen wahrgenommen werden"

Yaya Konaté
31. Januar 2019

Mali sucht einen Ausweg aus der Krise, doch die Zivilgesellschaft bleibt dabei außen vor. Das ist ein Ergebnis der Forschungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts. Die DW sprach mit Koordinator Brema Ely Dicko.

Mali Französischer Soldat
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Delay

DW: Herr Dicko, Sie sind der wissenschaftliche Koordinator der Arbeit am Weißbuch der Zivilgesellschaft für Frieden und Sicherheit in Mali. Das Projekt steht unter der Ägide des Internationalen Instituts für Friedensforschung in Stockholm (SIPRI). Was ist das für ein Buch und wie sehen Sie es - als Werkzeug der Entscheidungshilfe oder als Instrument der guten Regierungsführung?

Brema Ely Dicko: Das Weißbuch ist das Ergebnis einer umfassenden Arbeit sämtlicher Forschungszentren in Mali, aller Vereinigungen, die sich für Frieden und Sicherheit in Mali einsetzen. Dieser Prozess hat mindestens drei Jahre gedauert, mit qualitativen und quantitativen Erhebungen. Das Weißbuch soll der Interessenvertretung der Bevölkerung und der Hilfestellung für politische Entscheidungsträger dienen. Zurzeit gibt es 18 Sahel-Strategien! Aber trotzdem wächst die Unsicherheit, und wir bekommen sie nicht in den Griff. Nun wollten wir den Menschen eine Stimme geben und ihre Wahrnehmungen der Sicherheitslage sammeln. Aus den Antworten lassen sich Empfehlungen an die Partner und den Staat ableiten.

Heißt das, dass die Menschen bisher nicht ausreichend gehört worden sind?

Klar ist, dass es in Mali eine Zivilgesellschaft gibt, die recht heterogen ist, aber nicht ausreichend in die verschiedenen Friedensprozesse unseres Landes eingebunden wurde. Wir wollen, dass diese Menschen gehört werden. Wir haben es mit einer völlig neuen Bedrohung in einem asymmetrischen Krieg zu tun. Wenn es zu einer Krise kommt, ist die Zivilbevölkerung das erste Opfer. Aus unserer Sicht sind das auch die Menschen, die eigene Lösungsvorschläge einbringen können, um aus der Krise herauszukommen.

Brema Ely Dicko, Koordinator für das Weißbuch der Zivilgesellschaft in MaliBild: SIPRI

Wie tragen diese Stimmen zum Verständnis der aktuellen Herausforderungen bei?

Wenn man der Bevölkerung zuhört, hilft das, die lokale Dynamik zu verstehen. Auf diesem Weg können wir lokale Initiativen im Bereich Frieden und Sicherheit identifizieren, aber auch die Unsicherheit erfassen und Lösungen herausarbeiten, die an jede Zone - Norden, Zentrum und Süden - angepasst sind. So vermeiden wir einen Top-Down-Ansatz und müssen uns nicht auf Lösungsmodelle stützen, die irgendwo anders erprobt wurden und gar nicht in unseren Kontext passen.

Welches Fazit können Sie ziehen? Machen diese importierten Modelle das Land zu einem Experimentierfeld und kommen durch den Fokus Sicherheit andere Aspekte zu kurz?

Absolut. Aus Sicht der Bevölkerung ist die militärische Reaktion auf die Krise sicherlich wichtig, aber das militärische Eingreifen allein ist unzureichend und führt sogar zu einer wachsenden Frustration. Die Menschen wollen wahrgenommen werden, es muss einen Dialog geben, um das schwindende Vertrauen in den Staatsapparat wiederherzustellen.

Die Bevölkerung glaubt, dass es ohne Gerechtigkeit keine Sicherheit geben kann. Sie wissen, wer von dieser Gewalt betroffen ist, wer dahintersteckt und wie sich diese Gruppen fassen lassen. Sie sind also bereit zur Zusammenarbeit, aber sie wollen mit ihren Anliegen Gehör finden. Die menschliche Sicherheit muss im Mittelpunkt stehen, nicht bloß die militärische Sicherheit.

Der Konflikt begann im Norden und hat nach und nach ganz Mali erfasst. Was bedeutet das für die Lösungsansätze?

Wir haben spezifische Empfehlungen für die nördlichen, die zentralen und die südlichen Regionen ausgesprochen. Denn auch der Süden wird von der Politik noch nicht vollständig berücksichtigt. Wir halten es für wichtig, die spezifischen Dynamiken zu berücksichtigen, um zu vermeiden, dass morgen der Süden zum neuen Schwerpunkt der Unsicherheit wird.

Ihr Konzept findet bereits Zustimmung in der Regierung, etwa bei Sicherheitsminister Salif Traoré. Was müssen die Entscheidungsträger tun, um die Situation endlich zu verbessern?

Sie sollten mit lokalen Autoritäten zusammenarbeiten, die noch ein gutes Ansehen in der Bevölkerung haben, und zuhören, was das Volk einzubringen hat. Wir brauchen eine Vision der menschlichen Sicherheit, die nicht nur die Sicherheitsreaktion liefert, sondern auch die Menschen beim Zugang zu grundlegenden sozialen Diensten, Gesundheit, Bildung und Recht unterstützt.

Brema Ely Dicko ist Ethnologe an der Universität für Humanwissenschaften in Bamako. Sein Fokus liegt auf der Migration und der Krise in Mali. Für das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI war er als wissenschaftlicher Koordinator in die Erstellung des Weißbuchs Mali eingebunden.

Das Interview führte Yaya Konaté.

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