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Politik

Weißhelme: Helfer in höchster Not

24. Juli 2018

Viele der syrischen Weißhelme haben sich mit ihren Familien über Israel nach Jordanien gerettet. Einige Hundert sind aber noch in Syrien - und unmittelbar gefährdet. Politisch ist ihre Rettung ein brisantes Unternehmen.

Syrien | Weißhelme bei der Rettung von Zivilisten
Bild: Getty Images/AFP/M. Al-Bakour

"Helfen Sie uns, und retten Sie unser Leben." In einem dramatischen Appell hat sich Abu Muhanad am frühen Montagmorgen an die Weltöffentlichkeit gewandt. Abu Muhanad - der Name ist ein Pseudonym - gehört zu rund 300 Weißhelmen, die sich nicht in Sicherheit hatten bringen können. Gesperrte Straßen hinderten ihn und die übrigen Aktivisten, rechtzeitig die israelische Grenze zu erreichen. Die war am Wochenende für kurze Zeit geöffnet worden, um einen Großteil der im Süden Syriens ausharrenden Weißhelme aufzunehmen. Anschließend wurden sie vom israelischen Militär weiter nach Jordanien gebracht. Von dort aus sollen sie im Herbst in verschiedene westliche Länder gebracht werden, einige auch nach Deutschland. 

422 Personen - Aktivisten der Weißhelme und ihre Familien - sind nach Angaben in Jordanien eingetroffen, heißt es Angaben des dortigen Außenministeriums zufolge. Viele weitere aber sitzen in Syrien fest, "zwischen Hammer und Amboss", wie Abu Muhanad es formulierte. In einem Telefonat mit dem US-amerikanischen Sender CNN rief er die Welt auf, auch diese Gruppe zu retten. "Wir sind noch in Gefahr", erklärte er. "Leben zu retten ist die größte Anklage, die man gegen uns erhebt. Wir werden Terroristen genannt, weil wir Leben retten."

Syrische Nachrichtenagentur nennt Weißhelme "Terroristen"

Mit seinen Worten spielte Abu Muhanad auf die Position der Regierung von Präsident Baschar al-Assad an. Sie betrachtet die Weißhelme als "Terroristen". Die der Regierung nahestehende staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA zitierte am Montag einen - namentlich nicht genannten - Vertreter des syrischen Außenministeriums. Der kritisierte Israel dafür, für die Weißhelme die Grenze geöffnet zu haben. Israel habe immer erklärt, es verhalte sich im Syrienkrieg neutral. Nun aber habe Israel hunderte Mitglieder "der Terrororganisation Weißhelme" ins Land "geschmuggelt", so der Vertreter des syrischen Außenministeriums.

Weg durch die Nacht: Die Weißhelme werden nach Jordanien gebracht Bild: picture-alliance/dpa/Israeli Defense Forces

Damit sei klar, dass Israel zusammen mit den USA, Großbritannien, Jordanien, Deutschland und Kanada - diese Ländern haben erklärt, den Weißhelmen Schutz zu gewähren - die "Terrorgruppen" der Weißhelme unterstützen. "Worte reichen nicht, um den Unmut auszudrücken, den die Syrer gegenüber diesen niederträchtigen Verschwörungen empfinden", so SANA weiter.

Die syrische Regierung wirft dem "Syrischen Zivilschutz" - so der offizielle Name der Weißhelme - vor, auf Seiten der Rebellen zu stehen. Außerdem, so der Vorwurf, verbreiteten sie Falschnachrichten zu Lasten der Regierung. Tatsächlich haben die Weißhelme wiederholt erklärt, die Regierung Baschar al-Assad setze Chemiewaffen ein. Diese bestreitet den Vorwurf. Die noch in Syrien befindlichen Weißhelme fürchten nun, die Regierung Assad könnte sich an ihnen rächen wollen.

Vorwürfe der Regierung zurückgewiesen

Im Gespräch mit der DW betont Khaled Al-Khatib, der Medien-Koordinator der Weißhelme, die Unabhängigkeit der Organisation. "Wir gehören keiner Kriegspartei an. Wir dokumentieren Kriegsverbrechen, die in Syrien begangen wurden. Außerdem dokumentieren wir die Präsenz bewaffneter Kräfte. Vor allem aber ist unsere Arbeit darauf gerichtet, Leben nach Flugzeugangriffen zu retten. Für die größten Bombardements in Syrien sind das syrische Regime und dessen Verbündete verantwortlich." 

Weißhelme bei Rettungsarbeiten nach einem Luftschlag, Januar 2017Bild: Getty Images/AFP/O.H. Kadour

Al-Khatib berichtet zudem von den Umständen der Grenzöffnung. Diese sei erfolgt, weil die Regierungstruppen die Weißhelme belagert hätten. "Darum haben wir uns freundlich gesonnene Regierungen gebeten, uns zu helfen. Die Rettungsoperation fand erst statt, nachdem die syrischen Truppen sich weigerten, uns abziehen zu lassen. Der einzig mögliche Rettungsweg bestand darin, die Freiwilligen über die Golanhöhen nach Jordanien zu bringen."

Die Rettungsaktion sei allein über westliche Regierungen gelaufen, betont Al-Khatib. "Mit Israel hatten wir die gesamte Zeit über nicht kommuniziert."

Israel: Weißhelme in "unmittelbarer Lebensgefahr"

Die Bewegung der Weißhelme wurde 2012 ins Leben gerufen. Der größte Finanzier war zunächst Großbritannien, seit 2016 die USA. Auch Deutschland gehört zu den Geldgebern: Es unterstützte die Retter in den vergangenen Jahren mit rund 12 Millionen Euro. Im Jahr 2014 engagierten sich rund 2000 Freiwillige bei der Organisation. Eigenen Angaben zufolge retteten die zuletzt 4000 Weißhelme knapp 115.000 Menschen das Leben. Auch Frauen sind bei den Weißhelmen aktiv. Insgesamt starben 204 Weißhelme bei ihren Einsätzen.

Zur Öffnung der israelischen Grenze äußerte sich in einem Tweet auch die Presseabteilung des israelischen Militärs. Die Weißhelme hätten sich in "unmittelbarer Lebensgefahr" befunden. Das Militär hätte Hunderte von ihnen gerettet.

Israel betont Neutralität

Israelische Offizielle betonen derweil, die Regierung habe seine Neutralität auch gewahrt, als es den Weißhelmen seine Grenze öffnete. Jacques Neriah, ehemaliger stellvertretender Leiter des militärischen Aufklärungsdienstes Israels, relativierte die Entscheidung. "Israel hat die Durchreise der Weißhelme nur erlaubt, weil ein direkter Zugang nach Jordanien unmöglich war." Tatsächlich hält Jordanien seine Grenze nach Syrien seit geraumer Zeit geschlossen. Das Land beherbergt bereits 650.000 syrische Flüchtlinge und steht am Rande seiner Aufnahmekapazitäten.

Auch nach Einschätzung von Yossi Melman, Sicherheitsexperte bei dem zur Zeitung "Jerusalem Post" gehörenden Nachrichtenmagazin "Jerusalem Report", verlief die Grenzöffnung "im Rahmen humanitärer Hilfe für Syrien". Israel habe die Grenzen nicht zum ersten Mal geöffnet. Vielmehr habe es dies bereits mehrfach getan, um Hilfe zu leisten. "Dieses Mal fand es in etwas größerem Rahmen statt. Aber es war nicht außergewöhnlich."

Auch Russland wusste von dem Schritt, vermutet Melman. "Die Russen waren ganz gewiss informiert. Russische Kräfte sind seit Längerem in diese Art von Bemühungen involviert."

Keine Hilfe ohne finanzielle Unterstützung

Erläuterungen wie diese deuten an, dass Israel vor allem daran gelegen ist, die Beziehungen zur Assad-Regierung nicht zusätzlich zu belasten. Schon jetzt wacht das israelische Militär mit größter Aufmerksamkeit über die im Norden Syrien präsenten iranischen und Hisbollah-Milizen. Diese gelten als potentiell existentielle Bedrohung des jüdischen Staates. Israel hat bereits über hundert Angriffe gegen Stellungen und Waffentransporte der Iraner wie auch der Hisbollah geflogen.

Mit der Öffnung der Grenze dürfte Israel auch einer Bitte der USA, einem der größten Unterstützer der Weißhelme, entsprochen haben. Der US-Botschafter in Israel, David M. Friedman dankte Israel in einem Tweet für sein Engagement.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika