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Weißrussland meldet erneut Interesse an NATO-Mitgliedschaft an

12. Juli 2002

– Reaktion auf die drohenden Sanktionen Europas und die geänderte Position Moskaus?

Moskau, 11.7.2002, WREMJA.RU, russ., aus Minsk, Natalja Wiktorowa

Der Präsident Weißrusslands, Aleksandr Lukaschenka, gab gestern (10.7.) auf einer Sitzung des Sicherheitsrates eine sensationelle Erklärung über die Änderung der Position von Minsk gegenüber der NATO ab. "Wir müssen ehrlich und anständig handeln, darunter auch gegenüber der NATO", erklärte der Präsident. Dem Präsidenten zufolge "ist es heute so, dass sich die NATO entgegen den vorher erzielten Übereinkünften über die Nichterweiterung der Blöcke weiterhin erweitert". "Weißrussland muss die neuen Realitäten berücksichtigen", unterstrich Lukaschenka. Der weißrussiche Präsident rief auf, "den Standpunkt zu ändern und sich diesen Realitäten anzupassen". Andererseits möchte Minsk "sein Gesicht nicht verlieren". "Die Situation hat sich geändert, es sieht so aus, als ob Russland und die Ukraine es eilig hätten, der NATO beizutreten, als ob wir ihnen folgen müssten. Wir müssen aufpassen, dass wir unser Gesicht nicht verlieren."

Offizielle Persönlichkeiten lehnten es gestern ab, auf die Erklärung von Lukaschenka einzugehen. Der Pressesekretär des Außenministeriums Pawel Latuschko sagte unter anderem, es müsse eine gewisse Zeit vergehen, bevor die höchste außenpolitische Behörde Aufschluss über den Standpunkt der weißrussischen Seite in dieser Frage geben könnte. Beim Verteidigungsministerium empfahl man, sich an den Sicherheitsrat zu wenden. Beim Pressedienst des Sicherheitsrates ging man auf diese Frage ebenfalls nicht ein, teilte uns jedoch mit, dass im individuellen Partnerschaftsprogramm zwischen Weißrussland und der NATO für die Jahre 2002-2003, das im Februar dieses Jahres in Kraft getreten ist, im Vergleich zum Programm für 2000-2001 fünf zusätzliche Punkte aufgetaucht sind (...). Offiziellen Meldungen zufolge sehe das Programm für die Jahre 2002-2003 zum ersten Mal die Möglichkeit vor, Veranstaltungen auf weißrussischem Territorium durchzuführen, unter anderem gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium, dem Notstandsministerium und der Nationalen Wissenschaftsakademie. Jetzt werde die Möglichkeit erörtert, gemeinsame Manöver zur Beseitigung der Folgen radioaktiver Verseuchung abzuhalten.

Vertreter der Öffentlichkeit gehen mehr auf den politischen Aspekt der Äußerungen von Lukaschenka ein. Die meisten sind sich darin einig, dass das eine eigenartige Antwort auf die harte Erklärung Putins bezüglich des künftigen Unionsstaates sei. "Wir haben das bereits 1997 erlebt, als Russland vor der Unterzeichnung der Grundakte mit der NATO stand", sagte der ehemalige stellvertretende Außenminister, Andrej Sannikow. "Aus Weißrussland war zu vernehmen: wir wollen auch. Jetzt kann von einem neuen Durchbruch in den Beziehungen Russlands und der Ukraine zur NATO gesprochen werden. Und erneut sind die gleichen Erklärungen aus Weißrussland zu vernehmen. Natürlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das eine Reaktion auf die kürzliche Erklärung von Putin ist. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass Weißrussland nicht imstande ist, sich der NATO anzunähern – dafür müsste sich die Lage im Land selbst ändern."

Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Wladimir Gontscharik sagte: "Ich würde echte Änderungen in der Politik begrüßen, denke jedoch, dass sich kaum etwas ändern wird. Den Worten werden keine Taten folgen. Jetzt, da Europa die Möglichkeit studiert, Sanktionen gegen Weißrussland zu verhängen, und da sich die Position Moskaus unverkennbar geändert hat, ändern sich auch die Äußerungen von Lukaschenka, mehr jedoch nicht." Zweifel äußerte auch der stellvertretende Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts NISEPI, Aleksandr Sosnownez: "Das ist einfach leeres Gerede, damit soll Putin erpresst werden. Es ist vorläufig kein Schritt nach vorn getan worden. Eine Annäherung an die NATO muss lange vorbereitet werden, die militärische Infrastruktur muss angepasst werden, bei uns ist diesbezüglich nichts vorgenommen worden. Auch die Umfragen zeugen davon, dass die meisten Weißrussen der NATO gegenüber negativ eingestellt sind." Eine direkte Frage über den NATO-Beitritt stellte NISEPI in seinen Umfragen im Jahr 1998. Positiv sprachen sich damals nur 11,6 Prozent der Befragten aus. Seitdem sind mehrmals indirekte Fragen zum NATO-Beitritt des Landes gestellt worden. Die Umfragen der letzten Zeit zeugen davon, dass die Zahl der Anhänger der NATO-Annäherung in Weißrussland zehn Prozent nicht übersteigt. (lr)