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Politik

Mit T-Shirts gegen Lukaschenko

Roman Goncharenko | Alexandra Boguslawskaja
30. Juni 2020

In einem Monat wird in Belarus ein neuer Präsident gewählt. Die Behörden gehen hart gegen Herausforderer des autoritären Amtsinhabers Alexander Lukaschenko vor. Doch die Proteste in der Bevölkerung nehmen zu.

Eine Schlange vor dem Laden "Symbal" in Minsk
Eine Schlange vor dem Laden Symbal in MinskBild: DW/A. Boguslawakaja

Vor dem Laden Symbal (Symbol) in der weißrussischen Hauptstadt Minsk stehen in der Sommerhitze Dutzende Menschen Schlange. Symbal verkauft Kleidung mit traditionellen Stickmustern oder Aufkleber mit nationaler Symbolik. "Das ist Solidarität", sagt ein junger Mann, der mit seinen Freunden seit einer Stunde auf Einlass wartet. "Wir sind gekommen, um den Laden zu unterstützen und wissen sogar noch nicht, was wir kaufen werden."

Symbol des Widerstands gegen Lukaschenko

Die jungen Leute folgten einem Aufruf der Eigentümer, die Symbal vorübergehend schließen wollen, weil sie wachsendem Druck der Behörden ausgesetzt sind, etwa des Finanzamts. Der Auslöser, glaubt Ladenchef Pawel Belous, sei ein T-Shirt gewesen, das als Kritik des Präsidenten verstanden werden kann. Darauf stand "Psychose3%", ein Wortspiel aus einem Zitat Alexander Lukaschenkos, der die weltweite Reaktion auf das Coronavirus als "Psychose" kritisierte, und seiner angeblich niedrigen Umfragewerte. "Sascha drei Prozent" -  das ist im Volksmund der neue Spitzname des Staatschefs, beliebt auch als Internet-Meme. Mitte Juni hat die Polizei einen Kurier in der Nähe des Ladens angehalten und rund 400 T-Shirts mit diesem Wortspiel konfisziert.

Das T-Shirt mit dem Wortspiel "Psychose3%"Bild: Pawel Belous

Als das Geschäft am 23. Juni die Schließung verkündete, strömten spontan immer mehr Menschen heran, um dort einzukaufen. Rund 20 von ihnen wurden unter verschiedenen Vorwänden abgeführt, sagen Menschenrechtsaktivisten. "Was jetzt hier passiert, haben wir noch nicht erlebt", sagte Pawel Belous der DW. "Die Solidarität ist unglaublich." Die Gefahr, festgenommen zu werden, schreckt offenbar nicht ab. Das ist ungewöhnlich in dem autoritär regierten Land.

Präsidentenwahl in Zeiten der Corona-Krise

Der kleine Laden in Minsk ist in der Ex-Sowjetrepublik selbst zu einem Symbol des wachsenden Widerstands gegen den Präsidenten Lukaschenko geworden. Der 65-jährige Herrscher regiert Weißrussland mit harter Hand seit 1994 und möchte am 9. August zum sechsten Mal wiedergewählt werden. Das dürfte schwieriger werden als zuvor, denn viele der sonst politisch eher passiven 9,5 Millionen Weißrussen zeigen sich bereit, gegen ihn zu protestieren.

Beobachter erklären das mit dem Vertrauensverlust in der Corona-Krise, die vom Präsidenten heruntergespielt wird, der bereits davor angeschlagenen weißrussischen Wirtschaft, aber auch mit neuen und unverbrauchten Kandidaten, die bei der kommenden Präsidentenwahl antreten.

Ex-Banker Babariko als Hoffnungsträger - in Haft

Als wichtigster Hoffnungsträger gilt vielen offenbar Viktor Babariko, bis vor kurzem Chef der Belgazprom-Bank, einer Tochter der russischen Hausbank des Energieriesen Gazprom. Der 56-Jährige verkündete im Mai überraschend politische Ambitionen für das höchste Amt und stieg schnell auf. Bei der Zahl der gesammelten Unterschriften seiner Unterstützer lag Babriko auf Platz zwei hinter Lukaschenko. Der Ex-Banker durfte seinen Wahlkampf jedoch nur wenige Wochen führen, bevor er am 18. Juni zusammen mit seinem Sohn und Wahlkampfmanager verhaftet wurde. Die weißrussische Justiz ermittelt gegen ihn wegen Wirtschaftsverbrechen.

In einem DW-Interview kurz vor seiner Verhaftung sagte Babariko, er sei überrascht von der breiten Unterstützung im Volk. "Wir haben mit Unterstützung gerechnet, aber doch nicht mit einer solchen. Allerdings hat auch die Regierung die große Sehnsucht der Weißrussen nach Veränderung unterschätzt", so der Ex-Banker. Die Gesellschaft habe sich während der Corona-Krise verändert.

Lukaschenko-Herausforderer und Hoffnungsträger Viktor Babariko - vor der InhaftierungBild: DW

Wie gefährlich Babariko für Lukaschenko werden könnte, sollte er zur Wahl zugelassen werden, ist unklar. Unabhängige Meinungsumfragen gibt es in Weißrussland nicht. Umfragen in Medien, die nicht repräsentativ sind und jüngst eine sehr geringe Beliebtheit Lukaschenkos gemessen haben wollen, wurden verboten.

Auch ein anderer prominenter Gegner Lukaschenkos, der 41-jährige Video-Blogger Sergej Tichanowskij, sitzt seit Ende Mai in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Gewalt gegen Polizisten. Seine Initiativgruppe wurde zuvor nicht registriert, für ihn will jetzt seine Ehefrau Swetlana Tichanowskaja kandidieren. Auch einige andere Blogger wurden in den vergangenen Wochen festgenommen. Amnesty International forderte Ende Juni ihre Freilassung. Am 30. Juni hat die Menschenrechtsorganisation Babariko und Tichanowskij als politische Häftlinge eingestuft. 

Proteste und Polizeieinsätze auch in der Provinz

Immer wieder gibt es in nun Weißrussland Kundgebungen, deren Teilnehmer die Freilassung von Babariko, Tichanowskij und anderer Inhaftierter fordern. Neu ist, dass solche Protestaktionen hunderte und manchmal tausende Menschen mobilisieren. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass es nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in der Provinz brodelt.

In Minsk stehen Menschen Schlange, um für Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja zu unterschreibenBild: DW/A. Boguslawskaja

Ein Beispiel dafür ist das Städtchen Ganzewitschi mit rund 14.000 Einwohnern im Westen Weißrusslands. Mitte Juni versammelten sich dort ein paar Dutzend Bürger, um Unterschriften für Lukaschenkos Gegenkandidaten zu sammeln und für die Freilassung der festgenommenen Oppositionellen und Aktivisten zu demonstrieren. Die Polizei löste die Versammlung mit Gewalt auf und nahm einige Teilnehmer fest. Zwei Lokaljournalisten haben das Vorgehen live im Internet übertragen und wurden ebenfalls festgenommen. Ein Gericht verurteilte die beiden wegen Ordnungswidrigkeiten, allerdings zu milden Strafen.

Lukaschenko glaubt, mit solchen Festnahmen einen Aufstand verhindert zu haben, für den er Kräfte im In- und Ausland verantwortlich macht. Beobachter vermuten hinter dem Vorgehen des Präsidenten große Unsicherheit und schließen nicht aus, dass er weitere Proteste ebenfalls niedergeschlagen lassen könnte. Für Weißrussland wäre das ein Rückfall in das Jahr 2010. Damals demonstrierten Zehntausende in Minsk gegen eine Wiederwahl Lukaschenkos. Die brutale Niederschlagung der Proteste führte zu Sanktionen der Europäischen Union, die erst 2016 aufgehoben wurden.

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