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PolitikEuropa

Weißrussland: Repressionen vor Wahlen

Olga Kapustina | Nikita Batalov mo
16. Juli 2020

Der Wahlkampf in Weißrussland wird von einer beispiellosen Verfolgung Oppositioneller überschattet. Deutsche Experten erklären, was diese Wahlkampagne von denen in früheren Jahren unterscheidet.

Belarus | Proteste zur Unterstützung des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko
Bild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

In ganz Weißrussland hat es spontane Proteste gegeben, nachdem die Wahlkommission die Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko und Waleri Zepkalo nicht zugelassen hatte. Die Behörden nahmen mehr als 250 Personen fest, die demonstriert hatten. Beobachter sprechen von Polizeiaktionen, die mit der Unterdrückung der Proteste von 2010 vergleichbar sind. Von der DW befragte deutsche Experten meinen, dass der jetzige Wahlkampf deutlich anders verläuft als Wahlkämpfe in der Vergangenheit.

Die Einschüchterung beginnt schon vor der Wahl

"Früher gab es sofort nach den Wahlen Repressionen, wie im Jahr 2010. Vor Wahlen haben wir so etwas noch nicht gesehen", sagt Stefanie Schiffer, Leiterin der Berliner Menschenrechtsorganisation Europäischer Austausch, gegenüber der DW. Die Lage in Weißrussland (Belarus) spitze sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Anfang August immer mehr zu. Viele Bürger würden eingeschüchtert.

Mit und ohne Maske: Lautstarke Proteste in Minsk in WeißrusslandBild: picture-alliance/dpa/N. Fedosenko

Marco Fieber stimmt zu. Er ist Vorsitzender der deutschen Sektion von Libereco - Partnership for Human Rights, einer unabhängigen deutsch-schweizerischen Nichtregierungsorganisation, die sich für den Schutz der Menschenrechte in Weißrussland engagiert. Die "allergrößte Überraschung ist die unfassbare Anzahl der Festnahmen bereits vor dem Wahltermin", so Fieber im DW-Interview. Seit Mai habe es 900 Festnahmen gegeben. Wieder gebe es politische Gefangene - zwei Dutzend.

Die Behörden agieren, als hätten sie Angst

Stefanie Schiffer zufolge unterscheidet sich der diesjährige Wahlkampf von früheren dadurch, dass gleich mehrere Gegner des seit 1994 amtierenden autoritären Staatschefs Alexander Lukaschenko nicht als Präsidentschaftskandidaten zugelassen wurden und am Wahlkampf nicht weiter teilnehmen können. "Sowohl der Ausschluss von Babariko als auch der von Zepkalo ist aus rechtlicher Sicht ein zweifelhafter Schritt, der die weißrussischen Wähler ihrer Rechte beraubt. Sowohl im Westen als auch in der weißrussischen Bevölkerung entsteht der Eindruck, dass die Behörden Angst haben", so Schiffer.

Stefanie Schiffer verfolgt die Ereignisse in WeißrusslandBild: DW

Die Wahlkommission hatte Viktor Babariko von einer Kandidatur ausgeschlossen, obwohl er mehr als die notwendigen 100.000 Unterschriften von Unterstützern vorgelegt hatte. Der einstige Chef der Belgazprombank, die dem russischen Konzern Gazprom gehört, sitzt wegen angeblicher illegaler Geschäftspraktiken in Untersuchungshaft. Menschenrechtsaktivisten kritisierten die Strafverfolgung als politisch motiviert. Der 56-jährige Babariko galt als Lukaschenkos aussichtsreichster Gegner.

Wegen angeblich nicht in ausreichender Menge gesammelter Unterschriften wurde auch der ehemalige weißrussische Botschafter in den USA, der populäre Oppositionspolitiker Waleri Zepkalo, von einer Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen. Zugelassen wurden hingegen neben Lukaschenko vier Kandidaten, darunter unerwartet Swetlana Tichanowskaja, die Frau des inhaftierten Video-Bloggers Sergej Tichanowski, der ursprünglich selbst kandidieren wollte.

Harte Haftbedingungen für Oppositionelle

Im Jahr 2010 hatte Libereco eine Kampagne zur Freilassung politischer Gefangener gestartet. Auch jetzt will die Organisation die EU auf deren Lage in Weißrussland aufmerksam machen, erklärt Marco Fieber. Ihm zufolge gibt es Gerüchte, wonach Tichanowski unter harten Haftbedingungen zu leiden hat. "Ganz verhindern kann man das nicht, aber den weißrussischen Behörden muss zumindest bewusst sein, dass man in der EU nicht wegschaut und genau darauf guckt, was in den Gefängnissen und auf den Straßen passiert."

Marco Fieber setzt sich für politische Gefangene in Weißrussland einBild: DW

Er glaubt, Babariko sei als Kandidat nicht zugelassen worden, weil er sehr viele Wähler hätte mobilisieren können. "Tichanowskaja, die jetzt quasi als einzige richtige Oppositionskandidatin antritt, wird sicherlich auch viele Stimmen bekommen. Aber sie kann nicht öffentlich mobilisieren, weil ihr Mann im Gefängnis ist und sie selbst auch schon gesagt hat, dass sie Drohungen bekommen hat - auch gegen ihre Kinder. Sie wird mit angezogener Handbremse zurückhaltend agieren und im Vorfeld und auch gerade am Wahlabend nicht zu Protesten aufrufen.", so Fieber.

Ausländische Wahlbeobachter nicht eingeladen

Anders als bei den bisherigen Wahlen in Weißrussland wird es diesmal wohl keine internationalen Beobachter geben, vermutet Stefanie Schiffer von Europäischen Austausch. Am 15. Juli war bekannt geworden, dass die OSZE aufgrund einer fehlenden Einladung keine Beobachter entsenden wird.

Viktor Babariko galt als aussichtsreichster Gegner des Präsidenten Alexander LukaschenkoBild: picture-alliance/dpa/N. Fedosenko

"Das ist noch nie passiert, internationale Beobachter gab es immer. Die weißrussische Wahlkommission hat diese Entscheidung im Zusammenhang mit dem Coronavirus getroffen. Nicht ganz klar ist allerdings, warum Wahlen abgehalten, aber kein Beobachter eingeladen werden können", betonte sie.

EU-Sanktionen nicht ausgeschlossen

Vor dem Hintergrund der Ereignisse schließt Schiffer europäische Sanktionen gegen Weißrussland wie schon 2010 nicht aus: "Wir hoffen, dass es nicht zu Sanktionen kommt, dass das Regime seine harte Haltung ändert. Auch wenn das nicht ganz realistisch klingt."

Vergangene Woche haben bereits mehrere Abgeordnete und EU-Vertreter erklärt, Sanktionen gegen Alexander Lukaschenko und sein Umfeld könnten in Betracht gezogen werden. "Die EU sollte aus der vorzeitigen Aufhebung der Sanktionen im Jahr 2016 Lehren ziehen und immer bereit sein, neue zu verhängen", sagte Robert Biedron, Leiter der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Weißrussland.

Die Bundesregierung beobachtet die Lage ebenfalls genau, hat sich aber bislang zurückhaltend geäußert. Dirk Wiese, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, betont im Gespräch mit der DW, die aktuelle Entwicklung werde mit großer Sorge gesehen: "Wir fordern die belarussische Regierung auf, Wahlbeobachter zuzulassen. Alles andere, was möglicherweise bei einer fortlaufenden Verletzung freier und fairer Wahlen anstehen könnte, werden wir mit unseren europäischen Partnern diskutieren."

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