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Politik

Weißrussland vor spannenden Wahlen

Alexandra Boguslawskaja mo
9. Juni 2020

Angesichts zunehmender Proteste in Weißrussland und unerwarteter Präsidentschaftskandidaten bereitet sich Herrscher Alexander Lukaschenko auf ein gewaltsames Szenario vor, sagen von der DW befragte Experten.

Belarus Minsk Kundgebung zur Unterstützung potenzieller Präsidentschaftskandidaten
Unterschriftensammlung zur Unterstützung eines potenziellen Präsidentschaftskandidaten in WeißrusslandBild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

Mit Massenprotesten und Festnahmen Oppositioneller hat in Weißrussland der Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Bei einer Unterschriftensammlung für neue zusätzliche Mitbewerber wurden am Sonntag in der Hauptstadt Minsk einige von ihnen festgenommen. Die Behörden hatten ihnen zuvor eine Registrierung verweigert.

55 Kandidaten, so viele wie noch nie, stellten bei der Zentralen Wahlkommission einen Antrag auf Teilnahme an den Wahlen am 9. August. Doch nur 15 Gruppierungen wurden registriert. Bis Anfang Juli müssen sie mindestens 100.000 Unterschriften sammeln, damit ihr Kandidat bei den Wahlen antreten darf.

Als erster verkündete Amtsinhaber Alexander Lukaschenko schon 200.000 Unterstützer gewonnen zu haben. Der Staatschef herrscht seit fast 26 Jahren und will im Amt bleiben. Unter seinen bekanntesten Mitbewerbern sind der einstige Chef der Bank "Belgazprombank", Wiktor Babariko, und der frühere Leiter des weißrussischen IT-Hubs "Hi-Tech Park", Walerij Zepkalo.

Blogger Tichanowskij - neues Gesicht des Wahlkampfs

Auch der oppositionelle Videoblogger Sergej Tichanowskij wollte kandidieren, aber seine Gruppierung bekam keine Zulassung. Der 41-jährige Unternehmer betreibt den beliebten YouTube-Kanal "Strana dlja schisni" (Lebenswertes Land) mit über 200.000 Abonnenten. Am 6. Mai wurde er für 15 Tage inhaftiert, weil er im Dezember 2019 an Protesten teilgenommen hatte, die sich gegen eine stärkere Annäherung seines Landes an Russland gerichtet hatten.

Der Blogger Sergej Tichanowskij darf nicht kandidieren und schickt dafür seine Frau ins RennenBild: DW/A. Boguslawskaja

 Nach seiner Verhaftung erklärte der Blogger in einem Video auf seinem Kanal, er wolle bei den kommenden Präsidentschaftswahlen antreten. Seine Abonnenten hätten ihn gebeten, sich selbst zu nominieren. Nach dem Verbot der Kandidatur, entschied sich Tichanowskij, seine Frau als Präsidentschaftskandidatin zu unterstützen.

"Im Wahlkampf meiner Frau werde ich die Hauptrolle spielen, und die Rolle von Swetlana Tichanowskaja wird nominell sein. Ich werde den Wahlstab zusammen mit einem Team und Kollegen leiten, zu denen Nikolaj Statkewitsch, Pawel Sewerinez und einige andere Blogger gehören", sagte er der DW.

Diesmal nicht nur Statisten

Katerina Schmatina vom weißrussischen Institut für strategische Studien (BISS) findet, dass die möglichen künftigen Kandidaten den Präsidentschaftswahlkampf interessant machen. "Bei den früheren Wahlen gab es unter den Kandidaten keine Überraschungen", sagte sie der DW. Angetreten seien "Statisten der Regierung" und einzelne Oppositionelle. Jetzt gebe es aber Kandidaten wie Babariko oder Zepkalo, die bei einem Teil der gemäßigten Wählerschaft ankommen würden.

Als "Statisten" bezeichnet Schmatina den Chef der Liberal-demokratischen Partei, den Parlamentsabgeordneten Oleg Gajdukewitsch. Er ist überraschend aus dem Wahlkampf ausgestiegen und ruft nun dazu auf, für Lukaschenko als den "einzigen Garanten der Einheit des Landes" zu stimmen. 

Online-Umfragen zeigen Trend

Wie viel Unterstützung Lukaschenko und die neuen potenziellen Kandidaten genießen, darauf deuten unter anderem Ergebnisse von Online-Abstimmungen auf Webseiten unabhängiger Medien hin. Lukaschenko kam dabei auf höchstens sechs Prozent.

Das schlechte Ergebnis ist der weißrussischen Zeitung "Nascha Niwa" zufolge Grund dafür, dass in Weißrussland solche Abstimmungen nun verboten sind. Die Behörden haben sie als repräsentative Umfragen zu gesellschaftspolitischen Themen eingestuft, für die eine Akkreditierung am Institut für Soziologie der Akademie der Wissenschaften nötig ist.

Andrej Wardomazkij, der einen Thinktank zu Weißrussland in Warschau leitet, sagte der DW, Soziologen würden Online-Umfragen aufgrund ihrer methodologischen Ungenauigkeiten eigentlich belächeln. Doch die von den Kandidaten Babariko, Zepkalo und Tichanowskaja am Anfang der Wahlkampagne erreichten Spitzenwerte seien eine Bedrohung für Lukaschenkos Stellenwert. "Diese Abstimmungen geben in sehr überspitzter Form die Beliebtheitswerte wider", so Wardomazkij.

Eine Kundgebung in Minsk zur Unterstützung der potenziellen PräsidentschaftskandidatenBild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

Er bedauert, dass in Weißrussland Studien zur Stimmung unter den Menschen derzeit so gut wie unmöglich sind. Wardomazkij geht davon aus, dass die schwierige wirtschaftliche Lage und die Situation rund um das Coronavirus, dessen Gefahr Präsident Lukaschenko lange bestritten hatte, die weißrussische Gesellschaft wenige Monate vor den Wahlen verändert haben. "Die Wirtschaftslage ist der Sprengstoff, und der Ausbruch der Corona-Pandemie fungiert als Zündschnur", so der Experte.

Warnung vor Gewaltanwendung

Auch Politologe Alexander Feduta, der 1994 Teil des Wahlstabs von Lukaschenks Kampagne war, glaubt, dass die Weißrussen mit der Staatsmacht zunehmend unzufrieden sind. Für ihn ist klar, dass Lukaschenko sich auf ein mögliches gewaltsames Vorgehen vorbereitet. "Das haben die Strafverfahren gegen den Blogger Sergej Tichanowskij sowie die Festnahme von 15 Aktivisten gezeigt," so Feduta.

Von der Parlamentarischen Versammlung der OSZE kam bereits Kritik. "Wir sind sehr besorgt darüber, dass die Inhaftierung prominenter politischer Aktivisten nicht nur die Arbeit potenzieller Kampagnen behindert, sondern auch eine abschreckende Wirkung auf die Gesellschaft hat", heißt es in einer Erklärung des Vorsitzenden des Ausschusses für Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung, Kyriakos Hadjiyianni. 

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