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Weißrussland will als letztes europäisches Land die Todesstrafe aufheben

10. Mai 2002

– Menschenrechtler sprechen von "politischer Konjunktur"

Minsk, 8.5.2002, BELARUS TODAY, russ.

Die Aufhebung der Todesstrafe wird bei Anhörungen in der Repräsentantenkammer am 30. Mai erörtert werden. An den Anhörungen werden Vertreter des Europarates und anderer internationaler Organisationen teilnehmen, teile das Mitglied der parlamentarischen Kommission für Menschenrechte, Jurij Morosow, "Radye Razyja" mit. Den Mechanismus der Aufhebung der Todesstrafe kenne er vorläufig nicht, nehme jedoch an, dass Aleksandr Lukaschenka diese Initiative unterstützen werde. Weißrussische Menschenrechtler sind mit den Anhörungen zufrieden, bemerken jedoch, dass sie für die Machthaber eher eine Frage der politischen Konjunktur sind.

Weißrussland ist das einzige europäische Land, in dem die Todesstrafe vollzogen wird. Die Abgeordneten der Repräsentantenkammer werden damit jedesmal konfrontiert, wenn sie in Europa weilen. Der Europarat betrachtet die Aufhebung der Todesstrafe als eine Bedingung für die Aufnahme der Beziehungen zu der Kammer. Die Abgeordneten selbst erwähnen das jedoch nicht öffentlich und erklären die Initiative mit der eigenen humanen Haltung.

Zur Erinnerung: die Beibehaltung der Todesstrafe war eine der Fragen des 1996 von Lukaschenka initiierten Referendums und ist angeblich von der Mehrheit des weisrussischen Volkes unterstützt worden. Den letzten Umfragen zufolge, die von BelaPAN durchgeführt wurden, plädieren auch heute 51 Prozent der Einwohner der Stadt Minsk für die Beibehaltung der Todesstrafe und nur 32 Prozent dagegen. Es gibt keine Innenpolitischen Gründe dafür, dass Lukaschenka sie aufhebt – das Volk unterstützt ihn, und jährlich werden nicht mehr als zehn Menschen hingerichtet. Es sieht so aus, als ob die Aufhebung der Todesstrafe für Lukaschenka zu dem "zivilisierten Schritt" würde, mit dem Europa rechnet.

Die Vorsitzende des Belarussischen Helsinki-Komitees, Tatjana Protjko, unterstützt die Initiative, die Todesstrafe aufzuheben, unterstreicht jedoch, dass diese Schritte allein durch politische Konjunktur bedingt sind. Juristisch sei es schwierig, gegen die Ergebnisse des Referendums vorzugehen. Protjko nimmt jedoch an, dass im Lande nach dem Prinzip verfahren wird "wenn ich will, richte ich hin, wenn ich will, begnadige ich".

Somit ist die Todesstrafe gegenwärtig für die weißrussischen Machthaber keine humanitäre, sondern eine politische Frage. Es handelt sich eigentlich um eine Intrige: Mit der Aufhebung der Todesstrafe verliert Lukaschenka nichts, er bekommt vielmehr eine Trumpfkarte für das Spiel mit den Europäern in die Hand. (lr)