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Politik

Minsk: Angst vor Übernahme durch Moskau

Roman Goncharenko
9. Oktober 2019

Aus Sorge vor einer engeren Wirtschaftsanbindung an Russland geht die Opposition in Weißrussland auf die Straße. Der Protest bleibt überschaubar - auch, weil es in Minsk Befürworter für eine engere Anbindung gibt.

Belarus Oppositionelle Aktivisten in Misnk
Proteste in Weißrussland sind ein seltenes Phänomen (Archivbild)Bild: DW/E. Danejko

Es passiert selten, dass in der weißrussischen Hauptstadt Minsk Proteste von Oppositionellen stattfinden. Noch seltener ist, dass sie von der Polizei - wie vergangene Woche - toleriert werden. Je nach Schätzung folgten zwischen einigen Dutzend und ein paar Hundert Menschen dem Aufruf des Oppositionspolitikers Nikolaj Statkewitsch zu einer Demonstration gegen eine engere Wirtschaftsanbindung an das benachbarte Russland. Denn neuen Plänen zufolge könnte eine Anbindung noch in diesem Jahr erfolgen.

Mögliche Pläne Russlands und Weißrusslands

Spekulationen darüber gibt es bereits seit Monaten. Die normalerweise gut informierte russische Wirtschaftszeitung "Kommersant" lüftete im September als erste mögliche Details einer neuen Vereinbarung zwischen Moskau und Minsk. Es geht mutmaßlich unter anderem um gemeinsame Steuerregeln, Bestimmungen für den Außenhandel und die Aufsicht für den Energie- und Bankensektor.

"Kommersant" schrieb, dass die neuen Regeln eine engere Integration in die russische Wirtschaft als in die Europäische Union bedeuten würden. Eine gemeinsame Währung oder eine komplette Verschmelzung zu einem Staat sollen allerdings nicht geplant sein. Trotzdem wäre es eine ungleiche Allianz, denn Russland ist nicht nur gemessen an Fläche und Bevölkerung, sondern vor allem wirtschaftlich deutlich stärker als Weißrussland.

Der Plan ist als "Aktionsprogramm" im Rahmen eines Unionsvertrages zwischen zwei Ländern aus dem Jahr 1999 bekannt. Am 20. Jahrestag der Unterzeichnung, am 8. Dezember, könnte das "Aktionsprogramm" offiziell verkündet oder gar unterzeichnet werden. Dabei ist Weißrussland bereits im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland und einigen anderen früheren Sowjetrepubliken eng verbunden.

Statkewitsch: "Angst vor einer Annexion"    

Die Regierung in Minsk versucht, die Sorgen in Teilen der Bevölkerung vor einer Übernahme durch Russland zu zerstreuen. Es gebe keinen Grund für Aufregung, sagte ein Vertreter des Außenministeriums Ende September. Man werde nicht über den bereits bestehenden Unionsvertrag hinausgehen. Doch Oppositionspolitiker wie Statkewitsch sehen das anders. "Wir haben Angst vor einer Annexion, vor einer Übernahme, denn die jetzige Regierung hat alles Mögliche gemacht, damit es real werden kann", sagte der ehemaliger Präsidentschaftskandidat und Anführer der nicht registrierten Partei "Volksgemeinde" in einem DW-Gespräch. "Weißrussland ist eine nicht rentable Wirtschaftsfiliale Russlands." Der weißrussische Wohlstand sei auf russischen Subventionen aufgebaut, vor allem auf billigen Öl- und Gasexporten.

Dem Aufruf des weißrussischen Oppositionellen Statkewitsch zu Protesten sind bisher nur Wenige gefolgtBild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

Mit Einnahmen aus dem Energiesektor hatte Minsk zuletzt große Probleme. Hintergrund sind neue Steuerregeln in Russland, die Öl für Weißrussland deutlich teurer machen. Medienberichten zufolge will Moskau nicht nachgeben, solange Weißrussland einer engeren Wirtschaftsanbindung nicht zustimmt. Auch manche Experten teilen die Sorgen der Opposition. "Es geht faktisch um eine wirtschaftliche Übernahme", sagte Dmitri Kruk vom weißrussischen Zentrum für Wirtschaftsstudie. Kurzfristig würde Minsk zwar von niedrigeren Energiepreisen profitieren, doch seine Entwicklungsmöglichkeiten würden damit eingeschränkt, so Kruk.

Will Putin seine Amtszeit verlängern?

Es gab Spekulationen, wonach dahinter unter anderem der Plan Moskau stecken könnte, Wladimir Putin eine weitere Präsidentschaft zu ermöglichen. Nach zwei Amtszeiten darf der Kremlchef 2024 nicht mehr antreten. Eine politische Allianz mit Weißrussland in Form einer Konföderation zum Beispiel könne ein Ausweg sein, so die Vermutung. Doch russische Beobachter wie Iwan Preobraschenskij glauben nicht mehr daran. "Der Kreml hat den Plan aufgegeben, das benachbarte Land komplett zu übernehmen", sagte der Experte der DW. Putin werde seine Amtszeit nicht mit Hilfe Weißrusslands verlängern, sondern suche nach einer anderen Lösung.

Bisher bestreitet Wladimir Putin (links) die Absichten Weißrussland komplett einzugliedernBild: picture-alliance/dpa/Sputnik/ A. Nikolskyi

Noch ist die Zahl der sichtbaren Kritiker der jüngsten Entwicklungen überschaubar. Der Oppositionelle Statkewitsch erklärt dies mit der Angst vieler Weißrussen vor Repressalien. In den vergangenen Jahren mussten Demonstranten und auch Kritiker des autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko oft mit Strafen rechnen. Viele wurden verhaftet und verurteilt. Doch ein anderer Grund für das mehrheitliche Schweigen der Bevölkerung könnte sein, dass viele Weißrussen in Russland einen engen Partner sehen und hoffen, von einer engeren Anbindung zu profitieren.

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