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Weihnachten nach der Flutkatastrophe

24. Dezember 2021

Auch an der Ahr wird es Weihnachten. Vor fünf Monaten tötete die Flutkatastrophe dort mehr als 130 Menschen. Nun geht Pfarrer Jörg Meyrer (59) in Bad Neuenahr-Ahrweiler mit seiner Gemeinde auf das Fest zu.

Deutschland | Hochwasserkatastrophe - Rosenkranz-Kirche in Bad Neuenahr-Ahrweiler
Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Wie kann man Weihnachten feiern nach einer Katastrophe? Im rheinland-pfälzischen Bad Neuenahr-Ahrweiler starben am 14. Juli mehr als 70 Menschen in der Flut. Im gesamten Ahrtal waren es über 130. Jörg Meyrer ist katholischer Pfarrer in dem Städtchen. Im Interview mit der Deutschen Welle schildert er seine Sicht auf die Nöte der Menschen - und auf Weihnachten.

DW: Herr Pfarrer Meyrer, wie feiern Sie mit Ihrer Gemeinde Weihnachten?

Pfarrer Jörg Meyrer: Anders als sonst. Weil wir die drei größten Kirchen wegen der Flutschäden nicht zur Verfügung haben (das Titelbild zeigt die schwer beschädigte Rosenkranzkirche des Ortes; d.Red.). Und auch, weil Corona uns die ohnehin schon kleinen Möglichkeiten kleiner macht und wir Abstand halten müssen. Der Schatten der Flutkatastrophe ist über uns und immer noch bei uns. Die meisten Menschen wohnen nicht in ihren Häusern. Sie sind irgendwie in anderen Unterkünften, in Ferienwohnungen oder bei Freunden untergekommen. Das macht Weihnachten schwer, weil wir in diesem Jahr nicht an die gewohnten Traditionen anknüpfen können und wir Weihnachten noch mal suchen gehen müssen.

Der Blick auf Bethlehem wirkt oft wie eine Idylle. Welches ist für Sie in diesem Jahr das dominierende Bild von Weihnachten?

Pfarrer Jörg MeyrerBild: Markus Bauer

Die Krippe. Die Krippe war aber nie eine Idylle. Sie steht für die Schwierigkeiten des Beginns, für Gebrochenheit, Heimatlosigkeit, Gestank, für ein Leben unter ganz schwierigen Bedingungen. Maria und Josef und letztlich auch das Kind machen es uns ja vor. Weihnachten ohne Idylle. Und in diesem Jahr wird Weihnachten deshalb, glaube ich, deutlich ehrlicher sein müssen und ehrlicher sein können.

Wenn Ihre wichtigsten Kirchengebäude noch beschädigt sind, wie feiern Sie dann?

Wir haben noch kleinere Kirchen, die bislang nicht so in Gebrauch waren, etwa eine ehemalige Klosterkirche oder die alte Pfarrkirche. Wir werden wegen auch Corona zwei Gottesdienste draußen feiern. Eine Feier am frühen Abend, die wir "Weihnachten anders" nennen, haben wir auch schon in den vergangenen Jahren irgendwo draußen gefeiert, um im Grunde näher an Bethlehem zu sein. Dann werden wir in diesem Jahr spätabends eine Christmette im Klostergarten feiern. Da kann jeder dabei sein. Denn wir wollen niemanden wegschicken müssen, der gern Weihnachten feiern will. Draußen, das ist näher an Bethlehem.

Wie haben sich die Menschen verändert seit den Ereignissen des 14. Juli?

Bad Neuenahr-Ahrweiler nach der FlutkatastropheBild: Ferdinand Merzbach/AFP/Getty Images

Wir sind jetzt gut fünf Monate nach der Flut. Da sind viele noch mal müder geworden. Von dem vielen Schaffen, all den Herausforderungen, von Bauanträgen und weiten Wegen. Die vertrauten Einkaufsmöglichkeiten sind alle zerstört, auch die Sportstätten. All die Dinge, die ein alltägliches Leben ausmachen. So sind nun vor Weihnachten viele einfach mürbe. Über die Feiertage machen auch alle Arbeiter und Handwerker mal Pause. Es wird stiller, und es soll stiller werden. Aber dann werden wohl auch die dunklen Erinnerungen wiederkommen. Am Anfang steht eben dunkle Nacht, die Flutnacht. Sie wird bei manchem oder auch bei vielen Menschen nun noch mal einbrechen. Das wird sicher eine große Herausforderung.

Über 130 Menschen sind in der Flut an der Ahr ums Leben gekommen. Haben Sie als Seelsorger seitdem auch Menschen verloren, die ihnen sagen: "Herr Pfarrer, warum lässt Gott das zu? Ich kann das nicht mehr glauben!"?

Solche Menschen gibt es. Und es ist gut, dass sie das sagen können. Ob ich sie verloren habe, das weiß ich nicht. Ich glaube, unser Gott hält das aus. Schon manche haben mir seit der Flut gesagt: Ich kann jetzt nicht glauben. Andere haben den Glauben wiedergefunden. Auch das gibt es. Da geht jeder seine Wege.

Wie wichtig war und ist seit der Flut die Hilfsbereitschaft? Da kamen ja Menschen von nah und fern und packten mit an.

Wochen nach der Flut: Helfer entfernen den Schlamm aus der stark beschädigten Rosenkranzkirche.Bild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Ohne die Hilfe der Menschen, die zu uns gekommen sind, hätten wir wohl überhaupt nicht überlebt. Sie haben uns Hoffnung gegeben. Menschen, die einfach, ohne groß zu fragen, mit angepackt haben. Wie viele wunderbare Umarmungen hat es gegeben, weil Menschen einfach da waren und geholfen haben! Und wie viele Freundschaften sind daraus entstanden, dass Menschen wieder und wieder kamen? Diese Menschen waren das Licht in der Nacht, und sie sind es immer noch. Die materielle Unterstützung, auch von staatlicher Seite, ist wichtig. Klar. Aber die menschliche Hilfe ist noch viel, viel wichtiger, weil sie auch Zuwendung und Wärme bringt und zeigt: Ihr seid nicht allein.

Wie sehen Sie die politische Aufarbeitung und Klärung von Verantwortung, die derzeit läuft?

Vermutlich ist eine solche Aufarbeitung immer wichtig und notwendig. Und mögliche Schuldfragen müssen geklärt werden. Aber für die Bewältigung der eigenen Erlebnisse ist das nur ein Aspekt. Vor Ort ist es wichtig, dass man über seine Empfindungen ins Gespräch kommt, dass man Traumata, die die Seele nicht mehr loslassen, bearbeiten kann. Und dass man dafür, wenn es notwendig ist, auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen kann und sich gegenseitig stützt. In meinen Gesprächen kommen Menschen jedenfalls nicht groß auf die Schuldfrage zu sprechen.

Was ist nun 2021 Weihnachten für Sie als Seelsorger und Priester?

Wissen Sie, wir sagen so oft "Alles ist gut, alles ist gut." Es ist nicht alles gut. Aber der Anfang ist gesetzt, dass es gut werden kann. Das ist Weihnachten für mich.

 

Das Gespräch führte Christoph Strack.

 

 

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