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Politik

Menschenrechtspreis für Ilham Tohti

Hans Spross
10. Dezember 2017

Der in China inhaftierte uigurische Hochschullehrer Ilham Tohti ist mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Weimar geehrt worden. Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker erläutert die Hintergründe.

Uigure Regimekritiker lebenslange Haft China Ilham Tohti
Bild: picture-alliance/Frederic J. Brown/afp/dpa

DW: Welche Bedeutung hat die Preisverleihung, die in Abwesenheit des Geehrten stattfinden muss, für die Menschrechte in China und für das Anliegen von Ilham Tohti?

Ulrich Delius: Die Preisverleihung hat eine ganz große Bedeutung für die Menschenrechte,  weil Tohiti als einer der prominentesten politischen Gefangenen in der Volksrepublik China gilt. Er ist zu lebenslanger Haft verurteilt worden und jetzt seit fast vier Jahren im Gefängnis. Da kann es schnell passieren, dass man auch als engagierter Menschenrechtsaktivist in Vergessenheit gerät. Und deshalb kommt diesem Preis und diesem Mann so eine enorme Bedeutung zu. Er ist nicht nur ein engagierter Menschenrechtler, sondern jemand, der letztlich für die Lösung vieler Probleme in diesem Vielvölkerstaat Volksrepublik China stehen könnte.

Ulrich Delius: China hat kein Interesse am Dialog mit Uiguren Bild: GfbV

Wie konnte es passieren, dass der in Peking lehrende Ilham Tohti 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt wurde?

Das war eigentlich auch für uns das kaum Nachvollziehbare, dass man ihn wegen Separatismus verurteilt hat, also der gewaltsamen Loslösung eines Staatsgebietes aus dem Gesamtstaat. Das war gerade das, was er nie betrieben hat. Er hat gesagt: Ich bin Uigure, aber ich lehre hier an der Universität der Nationalitäten in der Hauptstadt und ich versuche, Mittler zwischen den Kulturen zu spielen. Das heißt, ich erkläre der Mehrheitsbevölkerung der Chinesen: Was sind denn die Anliegen der Uiguren? Warum sind die Uiguren so verärgert? Warum fordern sie ihre Menschenrechte ein und warum gibt man sie ihnen nicht?  Warum wird das Autonomiegesetz in Xinjiang nicht umgesetzt? Er war ein Anwalt und Mittler zwischen den Kulturen. Und gerade deshalb schien er in den Augen Chinas so gefährlich zu sein, dass man über Monate recherchiert hat und seine Studenten mehr oder weniger zu Aussagen gezwungen hat, um ihn hinter Gitter zu bringen.

Das war für mich als jemand, der seit über 30 Jahren zu China arbeitet, die erschreckendste Erkenntnis, dass das offizielle China kein Interesse an einem Dialog hat. Es hat kein Interesse an einer Beilegung der Spannungen, sondern setzt auf diese Spannungen. Warum würden sie sonst diesen engagierten Mann, der für sie Schlüssel für alles sein könnte, für Frieden und Stabilität in der Region, warum würden sie den lebenslang wegschließen?

Gibt es Anzeichen für eine mögliche Milde der chinesischen Behörden gegenüber Tohti?

Da brauchen wir uns keine falschen Hoffnungen zu machen. Man muss sich nur anschauen, wie die offizielle Reaktion Chinas auf die Entscheidung der Preisverleihung an Tohti war. Das erste war, dass die chinesische Botschaft beim Oberbürgermeister von Weimar angerufen und üble Beschimpfungen von sich gegeben hat und davor gewarnt hat, die Beziehungen zwischen Deutschland und China zu belasten. (Anm. DW: Die chinesische Botschaft hat zunächst auf Bitte nach einer Stellungnahme nicht reagiert)

Als sich die Stadt davon nicht einschüchtern ließ, verschwanden plötzlich die Webseiten des Menschenrechtspreises in Weimar aus dem Internet. Wir sind davon überzeugt,  dass die Spuren zu chinesischen Hackern führen. Und das ist typisch. Das zeigt, dass man diesen Mann schlicht und einfach als Staatsfeind sieht. Was man fürchtet, ist letztlich nicht eine Loslösung Xinjiangs aus dem chinesischen Staatsverband, sondern sein beharrliches Plädoyer für einen Dialog, für Versöhnung zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, der Han und der Uiguren. Und man fürchtet seine Forderung: Beachtet doch bitte schön mal die Gesetze Chinas!  Wenn ihr allein das tun würdet,  dann würden die Probleme in dieser Krisenregion deutlich abnehmen.

(Archiv) Proteste im Juli 2009 in der Hauptstadt von XinjiangBild: Getty Images/G. Niu

Unbestritten ist, dass es in den vergangenen Jahren Terrorattacken von radikalen Uiguren gegen Chinesen gab, in Xinjiang wie auch anderswo in China.

Tohti hat diese Gewalt nicht gerechtfertigt, sondern versucht, sie als Folge einer anhaltenden Missachtung von Menschenrechte von Uiguren zu erklären.  Dazu gehört auch das faktische Verbot des Austauschs untereinander. Ob der Austausch per Telefon stattfindet, per Skype, in diversen sozialen Diensten: Es ist im Prinzip heute für Uiguren unmöglich, miteinander zu kommunizieren, ohne das Gefühl zu haben, mit einem Bein schon im Gefängnis zu stehen. Es gibt keine andere Region in der Volksrepublik China, in der so massiv Internetfreiheit, Kommunikationsfreiheit, jegliche Form von Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird wie in Xinjiang. Und zwar viel stärker als in Tibet.

Xinjiang gilt momentan als der Technologie-Hotspot der Sicherheitsbehörden, wo man alles, was man hat, sprich künstliche Intelligenz, Gesichtserkennung etc. testet, um jegliche Bewegung der Menschen, die dort leben, überwachen und steuern zu können.  Ähnliches gilt im Behördenalltag: Die Uiguren müssen beispielsweise im Straßenverkehr eine besondere Prüfung zur Befähigung eines Führerscheinbesitzes ablegen, weil sie in den Augen der chinesischen Sicherheitsbehörden potentiell als Terroristen gelten.  Das äußert sich auch darin, dass es keine andere Region in China mit so vielen Verfahren wegen Untergrabung der Staatsgewalt gibt.

Ulrich Delius ist verantwortlich für politische Öffentlichkeitsarbeit bei der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.

Das Interview führte Hans Spross.

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