1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Weimarer Verfassung erklärt

6. Februar 2019

Vor hundert Jahren konstituierte sich die Weimarer Nationalversammlung, die die Reichsverfassung ausarbeitete. Die hatte fatale Schwächen. Aber sie war auch eine der modernsten der Welt. Hier sieben wichtige Punkte.

Die Weimarer Verfassung | 1919
Bild: picture-alliance/dpa/akg-images

Direkte Demokratie

Gleich in Artikel 1 heißt es: "Die Staatsgewalt geht vom Volke aus." Das Volk hatte tatsächlich mehr direkten Einfluss auf den politischen Prozess als zum Beispiel später im Grundgesetz von 1949, ganz zu schweigen von den Verhältnissen im Kaiserreich. So wurde nicht nur der Reichspräsident direkt vom Volk gewählt. Die Weimarer Verfassung sah auch die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden vor. Ein Volksentscheid musste stattfinden, wenn mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift das verlangten. Gesetzgebungskraft konnte ein Volksentscheid aber nur haben, wenn mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten daran teilnahmen und eine Mehrheit mit ja stimmte. Das war allerdings kein einziges Mal der Fall. Auf Reichsebene gab es bis 1933 nur drei Volksbegehren, zwei schafften es zum Volksentscheid, aber keines erreichte die notwendige Beteiligungsmehrheit.

Frauenwahlrecht

In der Weimarer Republik fand die größte Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten in der deutschen Geschichte statt. Das Wahlalter wurde von 25 auf 20 Jahre gesenkt. Aktive Soldaten durften wählen; dieses Recht wurde ihnen allerdings 1920 wieder genommen. Mit Abstand am wichtigsten war aber die Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts. Frauenvereine forderten schon damals Frauenquoten für die Kandidatenlisten der Parteien – erfolglos. Trotzdem lag der Frauenanteil in der verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung bei fast zehn Prozent. In keinem Land der Welt war er damals so hoch. 

Frauen durften zum ersten Mal bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung wählen und sich wählen lassenBild: ullstein bild

Dass Frauen und Männer "grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" haben, wie es in Artikel 109 heißt, schien aber als Grundlage nicht für alle Bereiche des öffentlichen Lebens auszureichen. Jedenfalls betonte der Artikel 128 noch einmal, dass auch "alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte" beseitigt würden.

Grundrechte

Der konstitutionelle Vorläufer von Weimar, die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871, kannte noch keine Grundrechte. Was heute selbstverständlich ist, etwa die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, war 1919 etwas Neues. Jetzt wurden auch ausdrücklich die Meinungs-, Versammlungs- und Wahlfreiheit ebenso wie die Glaubensfreiheit zugestanden. Staat und Kirche wurden getrennt; bis dahin hatte der jeweilige Landesfürst die Leitung der evangelischen Landeskirche.

Ungewöhnlich und für heutige Begriffe sehr weitgehend waren die "sozialen Rechte". Das gesamte Wirtschaftsleben musste nach der Weimarer Verfassung "den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen".  Außerdem heißt es: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste." Es wird sogar das Recht auf eine angemessene Wohnung erwähnt. Das Grundgesetz von 1949 geht längst nicht soweit. Zwar hat es den Passus "Eigentum verpflichtet" übernommen, ansonsten spricht es aber nur vage von einem "sozialen Bundesstaat", ohne aber zu konkretisieren, was mit "sozial" gemeint sei.

Starker Reichspräsident

Die deutsche Gesellschaft stand 1919 noch sehr stark unter dem Eindruck der Monarchie; viele Konservative trauerten dem Kaiser nach. Um diese Sehnsucht zu befriedigen, aber auch aus Misstrauen gegenüber einem parteipolitisch sehr polarisierten Parlament bekam die Weimarer Republik einen direkt vom Volk gewählten, mit umfangreichen Machtbefugnissen ausgestatteten Reichspräsidenten, der unabhängig vom Reichstag agieren konnte. Er ernannte und entließ den Reichskanzler; er konnte den Reichstag auflösen; er war Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Als fatal erwies sich, dass er in Notsituationen praktisch alle Maßnahmen ergreifen durfte, die ihm geeignet erschienen, um die Ordnung wiederherzustellen. Er durfte dazu auch das Militär im Inneren einsetzen und die Grundrechte "vorübergehend" außer Kraft setzen – im Grunde ein Freibrief zur Schaffung einer Diktatur. Mit einem Reichspräsidenten von Hindenburg hat Hitler später davon profitiert.

Hitler und Hindenburg erwiesen sich keineswegs als Retter, sondern als ZerstörerBild: picture alliance/dpa/arkivi

Destruktives Misstrauensvotum

In Artikel 54 heißt es: "Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht." Dadurch konnte der Reichstag neben der gesamten Regierung auch einzelne Minister per Misstrauensvotum stürzen. Wichtig – und destabilisierend – war vor allem, dass der Reichstag bei einem erfolgreichen Misstrauensvotum keine parlamentarische Mehrheit für eine Nachfolgerregierung finden musste, wie es beim konstruktiven Misstrauensvotum der Bundesrepublik notwendig ist. Vom Machtinstrument des Misstrauensvotums machten später vor allem die KPD und Hitlers NSDAP oft Gebrauch. Die Folge war, dass die Weimarer Republik in nur 14 Jahren 21 Regierungen hatte.  

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Dass sich die öffentliche Verwaltung gerichtlich kontrollieren lässt, ist eine sehr moderne Vorstellung. Im Kaiserreich gab es in manchen Ländern Verwaltungsgerichte, nicht aber auf Reichsebene. Die Weimarer Verfassung bestimmt in Artikel 107: "Im Reiche und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen." Auf Reichsebene blieb es jedoch bei der Forderung. Ironischerweise war es Hitler, der 1941 ein Reichsverwaltungsgericht einführte. Doch natürlich handelte es ganz im Sinne der Nationalsozialisten und hatte mit einer unabhängigen gerichtlichen Instanz nichts zu tun. 1944 wurde dann die Verwaltungsgerichtsbarkeit insgesamt wieder abgeschafft. 

Auflösung des Reichstags 1932: 21 Regierungen in 14 JahrenBild: picture-alliance/dpa/akg-images

Verfassungsänderungen

Im Vergleich zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland setzte die Weimarer Verfassung der Möglichkeit von Verfassungsänderungen kaum Grenzen. Sind im Grundgesetz zum Beispiel Änderungen an der bundesstaatlichen Ordnung oder an den Mitwirkungsrechten der Länder an der Gesetzgebung verboten, gab es solche grundsätzlichen Einschränkungen in der Weimarer Reichsverfassung nicht. Inhaltlich war man bei Verfassungsänderungen völlig frei.

Außerdem muss im Grundgesetz eine Verfassungsänderung auch so heißen. Nach der Weimarer Verfassung konnte man dies auch durch Einzelgesetze und zeitlich befristet erreichen. Der Reichstag konnte mit einer Zweidrittelmehrheit über solche befristete Einzelgesetze der Reichsregierung die Gesetzgebungsbefugnis übertragen. Es gab im Laufe der Weimarer Republik mehrere solcher "Ermächtigungsgesetze". Sie schufen bereits gefährliche Präzedenzfälle. Doch mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 23. März 1933 gab der Reichstag der Regierung Hitler für vier Jahre diktatorische Vollmachten und schaffte so sich selbst und die gesamte Weimarer Demokratie ab.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen