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Kluft zwischen Lehre und Realität überwinden

Stefan Dege4. Oktober 2015

Einen neuen Umgang mit Eheleuten und Priestern in Krisen, aber auch mit Homosexuellen: Das erwartet die katholische Laienorganisation "Wir sind Kirche" von der Familiensynode in Rom, so ihr Sprecher Christian Weisner.

Bischofssynode im Vatikan (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/T. Fabi

DW: Herr Weisner, was erwarten Sie von der Synode zu den Themen Ehe und Familie, die an diesem Sonntag beginnt?

Christian Weisner: Das eigentliche Ziel dieser Synode ist ja: Wie können Menschen das Evangelium in der heutigen Zeit mehr leben, wie können sie sich den Herausforderungen stellen? Die wirtschaftlichen Bedingungen, die Globalisierung der Welt, die Flüchtlingsbewegung, die Migrationsbewegung, die erzwungene Anpassung des Familienlebens an das Erwerbsleben - das sehe ich als die großen Herausforderungen.

Im Augenblick sind vor allem die Sexualthemen die Reizthemen, so wie die Frage, ob wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen sollen oder nicht. Aber auch: Werden homosexuelle Partnerschaften anerkannt, Ja oder Nein. Den Zusammenhang sehe ich zum einen darin, dass wir Menschen wieder zum Christentum und zur Kirche locken wollen, ihnen eine Heimat bieten wollen, ihnen die Möglichkeit geben wollen, den Glauben zu leben. Auf der anderen Seite hat unsere Kirche so strikte Sexualregeln und treibt die Menschen wieder aus der Kirche.

Dieser Zwiespalt zwischen traditioneller Lehre, die viel zu un-jesuanisch ist, und der Realität muss aufgelöst werden. Ich hoffe sehr, dass die Synode diese Kluft überwindet.

Christian Weisner von "Wir sind Kirche"Bild: picture-alliance/dpa

Was ist mit Menschen in Ehekrisen, mit Priestern, die der Zölibat überfordert, mit Homosexuellen - alles arme Sünder, denen die Kirche vorschreiben kann, wie sie zu leben haben?

Die Überfixierung der katholischen Lehre auf die Sünde muss erst mal überwunden werden. Und wenn sich ein Ehepaar nach tiefen Krisen trennt und einen Neuanfang wagt, mit einer neuen Verbindung eine Heimat für Kinder schafft, eine Patchwork-Familie, dann sollte das Positive daran gesehen werden. Wenn Menschen, die homosexuell sind, sagen, es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist und sich dann einen Liebespartner suchen, eine verantwortliche Partnerschaft eingehen, dann ist das gut. Und dann darf die Kirche ihnen nicht den Segen verweigern.

Die Unauflöslichkeit der Ehe steht hier kaum zur Disposition, obwohl sich das Eheverständnis gewandelt hat. Heißt das, die Kirche ist zurzeit in ihrer Dogmatik gefangen?

Jesus Wort von der Unauflöslichkeit der Ehe ist im historischen Kontext zu verstehen. Zu seiner Zeit waren die Lebensverhältnisse ganz anders. Ehen dauerten im Schnitt sieben bis zehn Jahre. Jesus hat sich dagegen gewandt, dass nur der Mann sich von seiner Frau trennen konnte, ehe der Scheidungsbrief ausgestellt wurde. Jesus hat gewissermaßen gleiche Bedingungen für Mann und Frau schaffen wollen. Das ist die wesentliche Botschaft zur Unauflöslichkeit der Ehe.

Die katholische Kirche hat jetzt ein großes Problem, weil sie bestimmte Dinge in Dogmen festgeklopft hat. So konnte der Eindruck entstehen, das sei alles schon seit 2000 Jahren so. Aber das stimmt nicht. Das ist unhistorisch und unbiblisch.

Wie definieren Sie denn Familie?

Familie ist immer dann, wenn Menschen verschiedener Generationen verantwortlich miteinander leben.

Reicht es aus, dass Kirche Homosexuellen taktvoll begegnet? Mit Barmherzigkeit, wie es der Katechismus lehrt?

Das ist die minimalste Forderung. Und ich weiß, dass Bischöfe - etwa in Afrika -nicht einmal diese Forderung einhalten. Viel schlimmer ist: In etwa 80 Ländern der Welt steht Homosexualität unter Strafe, teilweise sogar unter Todesstrafe. Da wäre es ganz wichtig, dass die katholische Kirche sich weltweit erst einmal gegen die Kriminalisierung von Homosexualität einsetzt. Die Anerkennung von homosexuellen Partnerschaften wird sicherlich in den einzelnen Kulturkreisen unterschiedlich sein. Aber wir wissen ja, dass Papst Franziskus sich sehr für eine Dezentralisierung ausspricht. Das bedeutet, dass die Entwicklung der kirchlichen Lehre auch den unterschiedlichen Kulturkreisen folgen und mit diesen kompatibel sein muss.

Also keine einheitliche Antwort für alle Fragen?

Die hat es eigentlich nie gegeben. Und es ist eine Mär, dass immer alles einheitlich sein muss. Diesen Zentralismus unserer Kirche gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert. Als die Kirche ihre weltliche Macht verlor, versuchte sie, eine geistliche Macht aufzubauen. Aber in der Kirchengeschichte gab es immer mehr Katholizität als Vielfalt. Wir müssen wieder lernen, dass Einheit nicht Einheitlichkeit bedeutet. Wir brauchen die Vielfalt im Christentum unserer Zeit.


Christian Weisner ist Sprecher der KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche". Die Laienorganisation setzt sich für eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche ein.

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