Die meisten Verschütteten, die in der türkisch-syrischen Grenzregion gefunden werden, sind tot. Doch noch immer stoßen Helfer auf Menschen, die unter den Trümmern atmen.
Dem türkischen Gesundheitsminister Fahrettin Koca zufolge war am Freitagabend in der Provinz Hatay ein Mann, der noch atmete, nach 278 Stunden befreit worden. Zuvor hatten Helfer demnach drei weitere Menschen im Zentrum von Antakya gerettet. Unter den vielen Opfern, die in der südtürkischen Stadt nur noch tot geborgen werden konnten, ist auch der frühere ghanaische Fußballnationalspieler Christian Atsu.
Wie sein Manager bestätigte, starb Atsu in den Trümmern eines Hochhauses, das erst 2013 nach dem Erlass strengerer Bauvorschriften errichtet worden war. Der verantwortliche Bauunternehmer war vier Tage nach dem Beben am Flughafen Istanbul festgenommen worden, als er versucht hatte, sich nach Montenegro abzusetzen.
Erdogan-Zitate im Internet
Zahlreiche Internetnutzer erinnerten derweil in sozialen Netzwerken mit früheren Tweets des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an dessen laxen Umgang mit Sicherheitsstandards im Bauwesen. So soll ein Videoclip zeigen, wie Erdogan im Jahr 2018 Beamten zur Einführung eines Gesetzes gratuliert, das sechs Millionen Gebäude mit nachweislichen Sicherheitslücken als bewohnbar einstufte. In einem tausendfach geteilten Tweet von 2013 hatte Erdogan noch mitgeteilt: "Wir müssen lernen, mit Erdbeben zu leben (...) und entsprechende Maßnahmen treffen."
Experten sehen in der Missachtung von Bauvorschriften eine Ursache für die überaus hohe Opferzahl in der Erdbebenregion. Der türkische Minister für Stadtplanung, Murat Kurum, sagte, bereits im März werde der Bau neuer erdbebensicherer Häuser beginnen, die nicht höher als drei bis vier Stockwerke sein dürften. Die Besiedelung ungeeigneter Gebiete werde bei der Planung ausgeschlossen.
Nach offiziellen Angaben stürzten im Zuge des Erdbebens vom 6. Februar mindestens 84.000 Gebäude ein oder wurden schwer beschädigt. Allein die Türkei hat laut Behörden mehr als 40.000 Tote zu beklagen. Insgesamt kamen mindestens 46.000 Menschen ums Leben.
jj/uh (dpa, afp)
Erdbeben in der Türkei: Die letzten Überlebenden
Es grenzt an ein Wunder: Mehr als anderthalb Wochen nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien mit mehr als 41.000 Toten werden noch immer Überlebende gefunden. Hier erzählen wir einige ihrer Geschichten.
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"Die, die nicht sterben wird"
Rettung 248 Stunden nach dem Beben: Nach über zehn Tagen haben die Rettungskräfte die 17-jährige Aleyna Ölmez in Kahramanmaras bergen können. Der an der Rettungsaktion von Ölmez beteiligte Bergmann Ali Akdogan sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Sie schien wohlauf zu sein. Sie öffnete und schloss die Augen." Aleynas Nachname Ölmez bedeutet übersetzt: "Die, die nicht sterben wird".
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Sie hat überlebt - 250 Nachbarn starben
Zehn Stunden später - am selben Tag - wurde Neslihan Kilic gerettet, ebenfalls im von dem Beben stark zerstörten Kahramanmaras. Nach Angaben des Senders CNN Turk starben in dem Hochhauskomplex, aus dessen Trümmern die junge Frau geborgen wurde, mehr als 250 Menschen. Die Gerettete sei ansprechbar gewesen und habe sich nach ihrer Familie erkundigt. Kilics Mann und ihre Kinder werden noch vermisst.
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Immer wieder Wunder
Nach drei Tagen fallen die Überlebenschancen für Verschüttete drastisch - elf Tage nach dem Beben sind sie extrem gering. Doch Betroffene wie dieses Paar haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben - vielleicht zu Recht: Hier in Antakya wurde an Tag 10 nach dem Beben der 14-Jährige Osman geborgen. Eine Stunde später seien zwei junge Männer gerettet worden, erklärte Gesundheitsminister Fahrettin Koca.
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Die Chancen schwinden
Viele Rettungsmannschaften geben noch nicht auf: Dass überhaupt noch Menschen so lange nach der Katastrophe geborgen werden, liege vor allem am Wetter, sagte Ali Ihsan Ökten, Vize-Vorsitzender der türkischen Ärztekammer, der dpa. "Die Körperfunktionen der Verschütteten fahren bei Kälte runter", so rette sich der Körper selbst. Im Sommer hätten Menschen so lange ohne Wasser nicht überleben können.
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Absolute Ausnahme
Doch auch diejenigen, die jetzt noch gefunden werden, seien absolute Ausnahmen, sind sich Experten einig. Denn die Kälte ist Segen und Fluch zugleich: Unzählige Menschen sind unter den Trümmern erfroren. Diese Überlebenden verbrennen in Hatay Bücher an einem Lagerfeuer, um sich zu wärmen.
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Alles verloren - bis auf das Leben
Viele Gerettete haben alles außer ihrem Leben verloren. So wie Abdulalim Muaini, der hier geschwächt seinen Rettern ein Zeichen gibt: Zwei Tage nach dem Beben wurde er in Hatay geborgen. Muaini ist der Einzige aus seiner Familie, der überlebt hat. Dicht neben ihm unter den Trümmern lag seine Frau Esra. Für sie kam jede Hilfe zu spät.
Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS
Von einem Unheil ins nächste
Muaini wurd medizinisch versorgt, nachdem er aus den Trümmern geborgen wurde. Er war dehydriert und eines seiner Augen war zugeschwollen, doch er war ansprechbar. Zwei seiner Freunde erzählten Reuters-Fotograf Umit Bektas, dass der Gerettete syrischer Herkunft ist und aus Homs vor dem Krieg geflohen war. In Hatay heiratete er Esra, eine Türkin. Das Paar hatte zwei Töchter, Mahsen und Besira.
Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS
Leben in Trümmern
Nach Muanis Rettung war zunächst unklar, was mit den Mädchen geschehen war. Nach Stunden dann die schreckliche Gewissheit: Auch Mahsen und Besira haben nicht überlebt. Man hatte die drei in Decken gewickelten Körper der Familie Muaini auf den Boden vor ihr eingestürztes Haus gelegt. Das Erdbeben, das bereits mehr als 41.000 Menschen das Leben kostete, hat auch seines zerstört.