Weitere Stärkung Marokkos im Konflikt um die Westsahara
5. Juni 2025
Im Westsaharakonflikt positioniert Großbritannien sich neu: Der marokkanische Autonomieplan stelle die "glaubwürdigste" Position dar, erklärte kürzlich der britische Außenminister David Lammy anlässlich eines Besuches in Marokko. Der bereits aus dem Jahr 2007 stammende Vorschlag sei die "tragfähigste und pragmatischste Grundlage für eine dauerhafte Lösung des Konflikts", so Lammy weiter.
Bislang hatte London die jahrzehntelang von den UN geforderte Selbstbestimmung des umstrittenen Gebiets unterstützt. Nun weicht nach einer Reihe anderer, vorwiegend westlicher Länder auch London von diesem Kurs ab.
Der marokkanische Außenminister Nasser Bourita begrüßte den Kurswechsel. Die neue britische Position trage "wesentlich" dazu bei, den Weg der UN zu einer endgültigen und für beide Seiten akzeptablen Lösung" zu fördern, erklärte er Medienberichten zufolge. In seinem bereits 2007 vorgelegten Plan spricht sich Marokko für eine vorgeblich weitgehende Autonomie der Westsahara aus - allerdings unter marokkanischer Souveränität.
"Klug austarierte Positionierung"
Die Position Großbritanniens sei diplomatisch klug austariert, meint Isabelle Werenfels, Maghreb-Expertin von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), im DW-Gespräch. Es gelte auf die Wortwahl zu achten: "Wenn Außenminister Lammy den marokkanischen Vorschlag als 'glaubwürdigste Lösung' bezeichnet, sagt er nicht, dieser sei die einzige Lösung. Im Unterschied zu Frankreich hält sich Großbritannien in seiner Positionierung zurück und zeigt sich flexibel."
Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte den marokkanischen Vorschlag im Sommer vergangenen Jahres als "einzige Grundlage" für die Lösung des Konflikts bezeichnet. Damit hatte er insbesondere Algerien, das für eine vollständige Unabhängigkeit der Westsahara eintritt, massiv verärgert. Die französisch-algerischen Beziehungen sind seitdem belastet. Der Schritt wiege umso schwerer als Frankreich Mitglied des Sicherheitsrats sei, sagte dazu vor Wochen bereits der Politologe Hasni Abidi vom Genfer Think Tank CERNAM im DW-Gespräch.
In seiner ersten Amtszeit hatte bereits US-Präsident Donald Trump die Souveränität Marokkos über die Westsahara anerkannt - und sich damit, faktisch auch als Wegbereiter für andere, über die bisherige UN-Linie hinweggesetzt. Er honorierte damit die Bereitschaft Marokkos, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen.
Seit 2022 unterstützt auch Spanien den marokkanischen Autonomieplan, allerdings versucht es dies ähnlich abwägend wie nun Großbritannien. .Premier Pedro Sánchez bezeichnet ihn als "seriöseste, realistischste und glaubwürdigste Grundlage".
Großbritannien wiederum bemühe sich auch mit Blick auf die Vereinten Nationen um diplomatische Umsicht, meint Expertin Werenfels. "London verweist nach wie vor auf die Relevanz des von den UN geleiteten politischen Prozesses."
Die UN schlagen seit langem ein Referendum vor, in dem die Bewohner der Region darüber abstimmen sollen, ob sie zu Marokko gehören oder unabhängig sein wollen.
Begehrte Region
Die Westsahara war bis weit ins 20. Jahrhundert eine spanische Kolonie. Doch 1976 begann Spanien, seine Stellungen in der Westsahara zu räumen. Bereits zuvor hatte Marokko den nördlichen Teil der Westsahara besetzt, kurz darauf dann auch den südlichen.
Die 1973 gegründete Bewegung Polisario - im eigenen Selbstverständnis Vertreterin der traditionell dort ansässigen Sahrauis - streitet mit Unterstützung Algeriens für die Unabhängigkeit der Westsahara. 1976 rief sie die international nur von weniger als 50 Ländern anerkannte "Arabische Saharauische Demokratische Republik" (DARS) aus. Kurz darauf begannen bewaffnete Auseinandersetzungen mit Marokkos Armee. Die faktische Herrschaft Marokkos über die Westsahara ist völkerrechtlich bisher nicht anerkannt.
Die Westsahara ist auch aufgrund ihrer Bodenschätze ein begehrtes Gebiet. Ihre Phosphat-Vorkommen gelten als die größten weltweit. Vor dem Waffenstillstand von 1991 hatte Marokko mit dem Bau einer Schutzmauer begonnen. Durch sie liegen die rohstoffreichen Regionen nun auf dem Gebiet des Königreichs. Auch sonst hat Marokko Fakten geschaffen: Seit den 2000er Jahren investiert Marokko vor allem rund um die Stadt Dakhla in der südwestlichen Westsahara in Hotels, Strandressorts und Freizeitanlagen, um Touristen anzuziehen. Seit 1993 ist dort auch ein Flughafen in Betrieb.
Marokko zunehmend gefragt
Der britische Schritt zeigt erneut, dass Marokko für eine ganze Reihe westlicher Staaten eine immer größere Bedeutung hat. Für Spanien gehe es vor allem um die Migration, analysiert Isabelle Werenfels. Insbesondere über die an Marokko grenzenden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla haben Flüchtlinge immer wieder die irreguläre Einreise nach Spanien und in die EU versucht. Seit geraumer Zeit sichert Marokko die Grenze zu den beiden Enklaven besser ab. Die Unterstützung für Marokkos Westsahara-Position könnte der Preis dafür sein.
Großbritannien hingegen dürfte vor allem wirtschaftliche Interessen haben, so Werenfels: "2024 haben beide Länder ihre Handelsbeziehungen enorm ausgeweitet." Einem Bericht der staatlichen marokkanischen Presseagentur MAP zufolge soll London unter anderem die "Unterstützung von Projekten in der Sahara in Erwägung" ziehen.
Generell präsentiere sich Marokko zunehmend erfolgreich als Tor nach Afrika, konstatiert Werenfels. Auch als Produktionsstandort werde es immer attraktiver. "China ist dort deutlich präsenter geworden - auch das dürfte die Europäer dazu bewegen, sich dort noch stärker zu engagieren."
Algerien machtlos?
Die bisherige UN-Position könnte nun zunehmend unterlaufen werden. Vor allem Marokkos Nachbar und Rivale Algerien dürfte mit seiner Position weiter ins Hintertreffen geraten, ähnlich die von Algier unterstützte Polisario. So scheint Algerien gestiegene wirtschaftliche Bedeutung als Gaslieferant bisher nicht signifikant seine Position in der Westsahara-Frage gestärkt zu haben. Zwar hat auch Algerien enge Beziehungen zu Mitgliedstaaten im UN-Sicherheitsrat, vor allem zu Russland und China. Diese haben sich in der Westsahara-Frage bislang aber nicht sonderlich hervorgetan. Und die chinesische Präsenz in Marokko deutet an, dass gerade Peking in der Region vor allem wirtschaftliche Interessen zu haben scheint.
Diesen Trend registriere man offenbar auch in Algier, sagt Isabelle Werenfels. "Auf die britischen Äußerungen hat die algerische Regierung erstaunlich zurückhaltend reagiert. Als Spanien sich positionierte, hatte sie noch ihren Botschafter in Madrid abberufen." Nun gab es lediglich eine verbale Missbilligung. Der Streit mit Frankreich wiederum geht noch tiefer und hält zwar bis heute an - er hat jedoch auch mit den früheren Kolonialbeziehungen zwischen beiden Ländern selbst zu tun. Und schließlich: Auch in Afrika selbst läuft es gut für Marokko. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch Kenia den Autonomieplan Rabats unterstützt.
Dieser Artikel wurde am 06.06.2025 ergänzt und die deutsche Schreibweise der "DARS" korrigiert.