Welche Waffen die Ukraine von Russland erbeutet
10. August 2023"Russland konkurriert mit westlichen Ländern, die Waffen an die Ukraine liefern", scherzt Oberst Oleksandr Saruba vom Zentrum zur Untersuchung erbeuteter Waffen des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte. Es geht um russische Waffen und Ausrüstung, die vom ukrainischen Militär erbeutet und nun im Krieg eingesetzt werden. Davon verfügt die Ukraine derzeit über mehr als 800 Stück. Darunter sind Artilleriesysteme, Panzer, Schützenpanzer, Mannschaftstransportwagen und viele andere Fahrzeuge. Sogar eine mobile Sauna gehört zur den Schätzen. Es ist auch Ausrüstung darunter, die bei Kampfeinsätzen Verwendung findet, zum Beispiel bei der elektronischen Kriegführung und Luftverteidigung. Am meisten werden jedoch "kleine" Waffen wie Maschinengewehre und Granatwerfer eingesammelt, deren Anzahl in die Tausende geht.
Meist werden solche Waffen bei offensiven Operationen der ukrainischen Streitkräfte erbeutet. Je schneller die ukrainische Armee vorrückt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Ausrüstung mit nur minimalen Schäden vorfindet. Denn die russischen Soldaten würden das Gerät oft einfach zurücklassen, etwa aufgrund kleinerer Defekte, erläutert Saruba. Ihm zufolge hängt alles vom Zustand einer konkreten Waffe ab: Wenn sie verwendbar ist, wird sie bei der Militäreinheit registriert und zum Einsatz auf dem Schlachtfeld freigegeben. Oder sie wird erst noch repariert. Falls die Militärs keine Erfahrung im Umgang mit der Waffe haben, werden sie entsprechend geschult.
Haubitzen, Munition und viele Panzer
Während der Befreiung von Isjum in der Region Charkiw konnte die ukrainische 95. Luftlandebrigade ein Mehrfachraketenwerfer-System "Grad" erbeuten, sagt ein Soldat der Brigade mit dem Rufnamen "Pirat". Das System musste jedoch erst repariert werden und nun ist es bereits im Kampfeinsatz. Bei Isjum konnte die Brigade auch einer modernisierten russischen Haubitze vom Typ 2A65 "Msta-B" habhaft werden, die noch zu Zeiten der Sowjetunion entwickelt wurde. Auch entsprechende Munition fand die Brigade vor. "Als wir über den Fluss Oskil übersetzten, suchten wir nach möglichen Stellungen, fuhren herum und sammelten ein. Es waren Hunderte und Aberhunderte Stück an Munition", sagt ein anderer Soldat der Brigade.
Einen erheblichen Teil der erbeuteten Waffen machen russische Panzer aus. Derzeit seien es mehr als 300, was ausreichen würde, zehn Panzerbataillone zu versorgen, erklärt der Experte Oleksandr Saruba. Mehrere russische T-72-Panzer konnte die ukrainische 92. Mechanisierte Brigade bei einer Offensive in der Nähe von Kupjansk in der Region Charkiw abgreifen.
Darunter seien auch neueste vom Typ T-72 B3M, die in den Jahren 2014 und 2015 modernisiert worden seien, berichtet der Panzerfahrer der Brigade mit dem Rufnamen "Chicago". "Im Vergleich zu unseren T-64, mit denen wir noch kämpfen, sind deren Panzer mobiler und schneller. Der T-72 ist von seinen Eigenschaften her viel besser, wendiger, hat mehr Panzerung", so der Soldat. Im Kampf setze das ukrainische Militär alle ihm zur Verfügung stehenden Panzer ein, sowohl eigene als auch erbeutete. "Der T-64 brummt so stark, dass man ihn in drei bis vier Kilometer Entfernung hören kann, doch der T-72 ist leiser, sodass man nah an den Feind herankommt, der den Panzer erst beim ersten Schuss bemerkt", erklärt "Chicago".
Auf der Suche nach neuesten Technologien
Als Trophäen gelten jedoch nicht nur erbeutete Waffen, die weiterverwendet werden können, sondern auch zerstörte militärische Ausrüstung, Trümmer, Überreste von Raketen und Kampfdrohnen sowie Beschreibungen zu ihnen - also alles, was es ermöglicht, die Waffen des Feindes zu untersuchen und dieses Wissen nutzen, um Taktiken, Mittel und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Dies sei eine der Aufgaben seines Zentrums, sagt Oleksandr Saruba. Dabei werde auch nach neuesten Technologien gesucht, die die Ukraine selbst bei der Entwicklung von Waffen nutzen könnte.
Tatsächlich gibt es auch interessante Entdeckungen, wie zum Beispiel das russische Aufklärungssystem "Strelez". Dabei handelt es sich um einen Computer, der über die vom Kämpfer getragene Weste verteilt ist und mit einem Entfernungsmesser, einem Sender und einem digitalen System zur Informationsübertragung verbunden ist. Er kann direkt auf dem Schlachtfeld zur Aufklärung des Ziels und zur Datenübertragung in Echtzeit an Waffensysteme eingesetzt werden. Laut Saruba behaupten die russischen Entwickler, dass mit Hilfe dieses Computers etwa 40 Prozent der Ziele an der Kontaktlinie aufgespürt würden. Er hält diese Angaben zwar für überzogen, betont aber, dass aus technologischer Sicht dies ein "interessanter Fund" sei.
Weitere interessante Dinge finden sich nicht nur in elektronischen Geräten, sondern auch in russischen Panzerfahrzeugen. Da die Russische Föderation vor 2014 mit vielen Ländern bei der technischen Modernisierung ihrer Waffen zusammengearbeitet hat, verfügen Saruba zufolge russische Panzer und Schützenpanzer heute über die neuesten Visiere und über moderne Elektronik, die in anderen Ländern hergestellt wird.
Auch russische Raketen enthalten oft ausländische Komponenten - meist Mikroelektronik, Optik und Elektromotoren, sagt Saruba. "Zum Beispiel stecken in der Rakete Ch-101, die gegen die Ukraine am häufigsten eingesetzt wird, etwa 53 Komponenten wie Mikrochips und andere Teile, die im Ausland hergestellt werden. Dies gilt für die gesamte Palette der Marschflugkörper und ballistischen Raketen. Im Ausland hergestellte Komponenten stecken wirklich in allen Artilleriesystemen des Feindes, in Mitteln der elektronischen Kampfführung und Luftverteidigung", betont Saruba.
Dokumentation für weitere Sanktionen
Das ukrainische Zentrum zur Untersuchung erbeuteter Waffen hat festgestellt, dass die Russische Föderation ihre Produktion situativ an die Komponenten anpasst, die sie besitzt oder erhält. Genutzt werden beispielsweise programmierbare logische integrierte Schaltkreise, die weit verbreitet sind und für jedes Gerät programmiert werden können - sei es eine Waschmaschine oder eine Rakete. In Aufklärungsdrohnen vom Typ "Orlan-10" werden inzwischen auch gewöhnliche Video- oder Fotokameras eingebaut, die eigentlich zur Videoüberwachung im Hausgebrauch entwickelt wurden.
"Da die Welt globalisiert ist, sind die Elemente standardisiert und die Hersteller dieser elektronischen Komponenten sind austauschbar", sagt Saruba. Sein Zentrum entdeckt immer wieder Bestandteile ausländischer Herkunft in russischen Waffen und dokumentiert dies. Dies sind laut dem Zentrum Beweise, auf denen schon die nächsten Sanktionen gegen die Russische Föderation basieren könnten.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk