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PolitikTürkei

Welche Ziele verfolgt die Türkei in Syrien?

Elmas Topcu | Gülsen Solaker
4. Dezember 2024

Im von Kriegen und Konflikten zerrütteten Nahen Osten eskaliert nun auch noch der Bürgerkrieg in Syrien erneut. Welche Rolle spielt dabei die Türkei und was ist Präsident Erdogans Plan im Nachbarland?

Recep Tayyip Erdogan an einem Rednerpult
Recep Tayyip Erdogan in der UN-Vollversammlung (Archivbild)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Für die türkische Öffentlichkeit war es keine Überraschung, dass der Syrien-Konflikt nun erneut aufflammt. Seit mehr als zwei Monaten sprechen der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und sein rechtsnationaler Bündnispartner Devlet Bahceli fast nur noch über die Machtverschiebungen in Nahost und die möglichen negativen Folgen für Ankara.

Gemeint war damit vor allem eine eventuelle Veränderung zum Vorteil der Kurden in Syrien. Im nordöstlichen Rojava haben sie seit dem Bürgerkrieg eine Selbstverwaltung etabliert - doch diese ist Ankara schon lange ein Dorn im Auge. 

Mit Sorge blickt die türkische Regierung auch auf weitere Entwicklungen in Nahost: Die Verbündeten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, die Hisbollah und der Iran, sind derzeit durch die Angriffe aus Israel geschwächt. Die andere Schutzmacht des syrischen Regimes, Russland, konzentrierte sich zunehmend auf den Ukraine-Krieg. Zwar unterhält Moskau Militärbasen im Land. Doch laut dem Istanbuler Sicherheitsexperten Burak Yildirim verfügte Moskau vor dem Angriffskrieg gegen die Ukraine über 50 Militärjets in Syrien. Derzeit seien es nur noch 13, von denen wiederum nur sieben einsatzbereit seien.

Hinzu kommt, dass die USA ihre Präsenz in der Region neu ausrichten wollen. Wie dies unter dem künftigen Präsidenten Donald Trump aussehen wird, ob die USA ihre Soldaten aus dem Irak und Syrien zurückziehen werden und welche Folgen dies für die Region haben könnte, ist ungewiss.

Diese Gunst der Stunde haben die syrischen Aufständischen erkannt. Am 27. November starteten sie eine Großoffensive gegen Syriens Machthaber Assad. Mit Erfolg. In nur wenigen Tagen eroberten sie die zweitgrößte Stadt Aleppo. Derzeit dehnen sie ihre Attacke auf weitere Nachbarstädte aus. Angeführt werden sie von der islamistischen Hayat Tahrir al-Sham (HTS), einem regionalen Ableger von Al-Qaida, der seit 2018 auf der Terrorliste der USA steht.

Beobachtern zufolge soll Ankara über die Offensive der Dschihadisten informiert gewesen sein. Ohne Ankaras Duldung oder gar Unterstützung hätten die Gegner Assads keine Chance gehabt, erklärte etwa der Nahostexperte Michael Lüders im Deutschlandfunk: "Ankara hat mit Sicherheit nicht nur gewusst von diesem Vorstoß, sondern begleitet ihn auch militärisch. Denn die Aufständischen brauchen natürlich die entsprechenden Waffen. Die können Sie aufgrund der geografischen Lage nur aus der Türkei erhalten." Die Region Idlib im Nordwesten Syriens, aus der die Rebellen ihre Angriffe starteten, ist zu allen anderen Seiten quasi hermetisch abgeriegelt.  

Ankaras Ziel sind die Kurden

Schon mit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien hatte Ankara sich auf die Seite der Aufständischen gestellt und die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus abgebrochen. Zuletzt hatte Erdogan versucht, die Gesprächskanäle wieder herzustellen. Doch Assad schlug diese Versuche aus. Solange die Türkei ihre Truppen aus Nordsyrien nicht zurückziehe, sei eine Normalisierung der Beziehungen ausgeschlossen. 

Zu einem Rückzug aus Nordsyrien ist die Türkei jedoch nicht bereit. "Sicherheitszone" nennt sie das besetzte Gebiet, das sie mit den von ihr unterstützten islamistischen Milizen namens "Syrische Nationale Armee" (SNA) kontrolliert.

Ankaras eigentliches Ziel in der Region ist, die kurdische Selbstverwaltung im nordöstlichen Rojava zu Fall zu bringen. Dort herrscht nämlich die Partei der Demokratischen Union (PYD), ein Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Derzeit gibt es zwei wichtige aufständische Gruppen im Konfliktgebiet; die von den HTS-Dschihadisten angeführten Gruppen und die von der Türkei unterstütze SNA. Letztere startete dem türkischen Nahostexperten Erhan Kelesoglu zufolge unmittelbar nach dem Erfolg der Dschihadisten in Aleppo eine Offensive gegen die Kurden.

In nur wenigen Tagen eroberten die HTS-Dschihadisten die zweitgrößte Stadt AleppoBild: AAREF WATAD/AFP

Ankara bestreitet eine Beteiligung an den jüngsten Entwicklungen in Syrien. Die Türkei würde niemals Aktionen unterstützen, die eine neue Flüchtlingswelle auslösten, sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan. Etwa 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge hat das Land seit dem Bürgerkrieg aufgenommen. Doch die Stimmung gegen sie kippt zunehmend - vor allem aufgrund der Wirtschaftskrise. Bei den letzten Parlaments- und Kommunalwahlen spielte das Thema Migration eine große Rolle und setzte Präsident Erdogan unter enormen Druck. Dieser will nun möglichst viele Flüchtlinge zurück nach Syrien schicken und dafür im Norden des Nachbarlandes eine Pufferzone einrichten. Erst kürzlich wiederholte er, die Türkei bleibe bei ihrem Vorhaben, einen 30 bis 40 Kilometer breiten Streifen in Nordsyrien zu kontrollieren. 

Wieviel Kontrolle besitzt Ankara über die SNA?

Doch würde Erdogan hierfür auch mit Dschihadisten kooperieren? Yildirim zufolge gehören der von Ankara unterstützen SNA zwar auch dschihadistische Milizen an. Die Kontrolle der Truppe liege allerdings in der Hand der Rebellen, die von Ankara gelenkt werden. "Auch ihre Handlungen laufen weitestgehend nach dem Plan der Türkei", so Yildirim weiter.

Islamistische Rebellen gegen Assad-Regime

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Und dieser sehe derzeit keine Kämpfe unter den Aufständischen selbst vor. "Sowohl die HTS als auch die SNA wollen Assads Sturz", meint Sicherheitsexperte Yildirim. Die eroberten Gebiete könnten sie unter sich aufteilen. 

Seit dem Wochenende vermelden die Türkei-nahen Islamisten auch Erfolge gegen die Kurden. Die SNA hat etwa das Gebiet Tal Rifat unter ihre Kontrolle gebracht. Und sie plant, weitere angrenzende kurdische Städte anzugreifen. 

Auch wenn die türkische Regierung die derzeitige Offensive militärisch unterstütze, versuche sie doch, eine direkte Konfrontation mit Russland, dem Iran und dem Assad-Regime zu vermeiden, erklärt Nahostexperte Erhan Kelesoglu. Sie werde erst einmal abwarten und beobachten, inwieweit Ankara-nahe Truppen die Kurden zurückdrängen und ihre Gebiete einnehmen könnten.   

Seit 2016 bombardiert die türkische Armee im Rahmen großangelegter Militäroperationen Gebiete, die von Kurden kontrolliert werden. In Dscharablus, al Bab, Azaz, Tal Abyad und der Rebellenhochburg Idlib sind türkische Soldaten stationiert. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch werfen Ankara Kriegsverbrechen vor. In einem im März veröffentlichten Bericht macht die Organisation Ankara für Entführungen, Plünderungen, Folter und sexualisierte Gewalt verantwortlich: Die Türkei trage die Verantwortung für schwere Übergriffe und mögliche Kriegsverbrechen durch ihre eigenen Truppen sowie von ihr unterstützte lokale bewaffnete Gruppen in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens.

Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas