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Welche Ziele verfolgt Israel in Syrien?

18. Juli 2025

Mit seinen Angriffen auf Syrien wollte Israel nicht nur die Gemeinschaft der Drusen schützen, sagen Beobachter. Was steckt wirklich hinter dem Eingreifen der israelischen Regierung in einen inner-syrischen Konflikt?

Demonstranten mit syrischen Flaggen protestieren gegen die israelische Intervention
Die jüngsten israelischen Angriffe auf Syrien haben das Land geschwächt Bild: Abdulaziz Ketaz/AFP/Getty Images

Noch vor Sonnenaufgang war der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa am Donnerstag vor die Kameras des nationalen Fernsehsenders getreten, um mehrere Mitteilungen zu machen.

Die Auseinandersetzungen zwischen sunnitischen Beduinen und der Minderheit der Drusen, die in der südlichen Provinz Suwaida etwa 360 Todesopfer gefordert hatten, seien beendet, erklärte Al-Scharaa. Er bestätigte auch, dass sich die Regierungstruppen aus der Region zurückgezogen hätten.

In seiner Rede betonte Al-Scharaa, dass er dem Schutz der Rechte und Freiheiten der drusischen Gemeinschaft verpflichtet sei und bekräftigte ihren Platz in der syrischen Gesellschaft. Den größten Teil seiner Rede richtete er jedoch an Syriens Nachbarn Israel.

Bei israelischen Angriffen auf syrische Regierungsgebäude in Damaskus sowie syrische Regierungstruppen in der Region Suwaida diese Woche waren 20 Menschen gestorben. Laut dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu waren die Angriffe notwendig geworden, um "unsere drusischen Brüder zu retten und die Banden des Regimes zu eliminieren".

Die israelische Regierung begründete die Angriffe auf syrische Regierungsgebäude mit dem Schutz der drusischen MinderheitBild: Ali Haj Suleiman/Getty Images

Al-Scharaa ist jedoch überzeugt, dass Israel die Unruhen nur als Vorwand nutzte, um zivile Infrastruktur anzugreifen und die Friedens- und Wiederaufbaubemühungen in seinem Land zu stören.

"Wir, das syrische Volk, wissen sehr gut, wer versucht, uns in einen Krieg zu ziehen und uns zu spalten", sagte Al-Scharaa. "Wir werden ihnen nicht die Möglichkeit geben, unser Volk in einen Krieg zu verwickeln, der nur dazu dient, unser Heimatland aufzusplittern und Zerstörung zu säen."

Israel möchte die entmilitarisierte Zone ausweiten

Die jüngsten Angriffe auf die syrische Hauptstadt sind nur eine weitere Eskalation der Militäraktionen Israels gegen das Land. Nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad Anfang Dezember 2024 begann Israel damit, Syrien verstärkt zu bombardieren, vorgeblich mit dem Ziel, zu verhindern, dass die Waffen des Regimes in die Hände der neuen Regierung fielen.

Charles Lister, Leiter der Syrien-Initiative des Middle East Institute in Washington, hat knapp 1000 israelische Angriffe auf Syrien gezählt. Seit Dezember 2024 besetze Israel 180 Quadratkilometer des Landes, ohne dass die syrische Regierung zu einem Gegenschlag ausgeholt habe, so Lister.

Offiziell befinden sich die beiden Länder seit 1967 im Krieg. In jenem Jahr besetzte Israel die syrischen Golanhöhen, ein strategisch relevantes Hochplateau an der Grenze zwischen den beiden Ländern. 1981 annektierte Israel das Gebiet faktisch, die internationale Gemeinschaft betrachtet es jedoch noch immer als syrisches Staatsgebiet unter israelischer militärischer Besatzung. Nur die USA und Israel erkennen die Golanhöhen als israelisch an.

Entlang der israelisch-syrischen Grenze zieht sich eine entmilitarisierte Zone, die seit einem Waffenstillstandsabkommen zwischen den beiden Ländern aus dem Jahr 1974 von den Vereinten Nationen überwacht wird. Nach dem Sturz Assads verschob Israel seine Truppen über diese Zone hinaus.

"Israel versucht, eine informelle Pufferzone im Süden Syriens zu schaffen", stellte Ryan Bohl, leitender Nahost-Analyst des US-Risikoanalyseunternehmens RANE, diese Woche gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg fest. Im März hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gefordert, Syriens Süden zu entmilitarisieren.

"Die jüngsten Angriffe sollen der Regierung in Damaskus klar machen, dass Israel die Entwicklungen in Syrien mit Interesse und Sorge verfolgt", sagt Yossi Mekelberg, Professor für Internationale Beziehungen an der Regent's University London, im Gespräch mit der DW. "Ein Problem der aktuellen israelischen Regierung ist, dass sie nur einen Weg kennt, den Einsatz von Gewalt."

Warum jetzt?

"In Israel wird darauf gedrängt, die Drusen zu schützen, denn zwischen Drusen und Juden in Israel besteht eine lange und tiefe Verbundenheit"; erklärt Mekelberg. Etwa 150.000 Drusen leben in Israel, drusische Männer leisten häufig Dienst beim israelischen Militär. In Syrien zählen die Drusen mit etwa 700.000 Mitgliedern zu einer der größten Minderheiten.

Doch auch der Zeitpunkt der israelischen Angriffe auf Syrien in dieser Woche scheint nicht zufällig gewählt. Am Mittwoch musste Ministerpräsident Netanjahu wegen des gegen ihn laufenden Korruptionsverfahrens vor Gericht erscheinen. Und seine Koalitionsregierung wird nach dem Ausstieg zweier Parteien Anfang des Monats zunehmend brüchig. Anfang 2026 könnten neue Parlamentswahlen anstehen.

20 Menschen sollen durch die jüngsten israelischen Luftangriffe in der syrischen Region Suweida getötet worden seinBild: Khalil Ashawi/REUTERS

Die Vereinigten Staaten üben ebenso wie Europa immer mehr Druck auf Netanjahu aus, den Krieg in Gaza zu beenden, während seine Landsleute weiterhin auf die Rückkehr der Geiseln in Gaza drängen, die dort noch immer von der Hamas festgehalten werden, einer militanten Gruppierung, die von den USA und vielen anderen Staaten als terroristisch eingestuft wird. Netanjahu macht außerdem die humanitäre Katastrophe in Gaza zu schaffen, die durch die israelische Militäraktion dort ausgelöst wurde und international und im eigenen Land von vielen verurteilt wird.

"Angesichts des blanken Zynismus und Opportunismus von Netanjahu ist es durchaus denkbar, dass er solche Situationen [wie die Zusammenstöße mit Syriens drusischer Minderheit] nutzt, um von seinen juristischen Schwierigkeiten und der Krise seiner Koalitionsregierung abzulenken", meint Mekelberg. "Mindestens eine Front aktiv zu halten und sich selbst trotz des 7. Oktobers als 'Mr. Sicherheit' zu verkaufen, gerade, wenn er über vorgezogene Wahlen nachdenkt, entspricht genau seiner Vorgehensweise."

Das israelische Parlament geht kommende Woche in die Sommerpause, bis Oktober wird die Innenpolitik also ruhen.

Israel will ein schwaches Syrien

Israel möchte einen syrischen Staat, der sehr schwach oder gar zerrüttet ist, damit er keine Bedrohung für Israel darstellt, erklärte Ryan Bohl gegenüber Bloomberg. Genau das scheint nun zu geschehen, sagt Nanar Hawach, Syrien-Analyst beim Think Tank International Crisis Group.

Zerstörungen in Damaskus nach israelischen Luftangriffen: Syrien geht geschwächt aus dem Konflikt hervor, glauben ExpertenBild: Ali Haj Suleiman/Getty Images

"Damaskus geht geschwächt aus den jüngsten Zusammenstößen hervor. Es musste sich militärisch zurückziehen und hat nicht nur das Vertrauen der drusischen Gemeinschaft verloren, sondern auch das anderer Gemeinschaften, die dem Staat nicht nahe stehen", sagt Hawach im Gespräch mit der DW. "Auch geopolitisch hat Damaskus verloren, denn die Regierung ist nun weniger präsent im Süden, insbesondere in Suwaida."

Er bezweifelt, dass Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa sein Versprechen, die Minderheit der Drusen zu schützen, halten kann. "Es scheint sich eher um eine politische Geste als um eine glaubhafte Garantie zu handeln", meint Hawach und weist darauf hin, dass die Regierungstruppen als Verbündete der drusenfeindlichen Milizen gesehen würden und es glaubwürdige Berichte über die Misshandlung drusischer Zivilisten durch einige Einheiten gegeben habe.

"Solange Damaskus nicht seine Sicherheitskonzepte überarbeitet und seine eigenen Streitkräfte zur Rechenschaft zieht, wird es schwer fallen, die Drusen und andere Minderheiten davon zu überzeugen, dass die Regierung ihre Sicherheit wirklich garantieren kann", ist Hawach überzeugt.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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