Aids: Stigmatisierung von HIV-Positiven nimmt wieder zu
28. November 2023"Von meiner Infektion habe ich nur drei oder vier Leuten erzählt, dann habe ich mich erst mal zurückgezogen, weil ich das erst einmal verarbeiten musste. Im Prinzip war das damals ein Todesurteil. 'Sie haben HIV' hieß: Sie haben noch ein halbes Jahr zu leben". Erinnerungen von Gerhard Malcherek. 1984 war das HI-Virus bei ihm entdeckt worden. "Ich habe das meinem Freund ganz lange nicht erzählt, weil ich einfach Angst hatte, dass er mich verlässt."
Das halbe Jahr hat Gerhard Malcherek mittlerweile längst überschritten. Er bezeichnet sich selbst als Überlebenden, viele seiner Freunde und Bekannten aber hat er sterben gesehen.
In der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent
Anders als noch in den 1980er Jahren sind HIV und Aids bei vielen aus dem Blickwinkel verschwunden, fast in Vergessenheit geraten, auch dank hochwirksamer Medikamente.
Trotzdem hat sich die gesellschaftliche Situation für die Betroffenen in letzter Zeit eher verschlechtert als verbessert. "Die Stigmatisierung nimmt heute leider wieder zu", sagt Norbert Brockmeyer, Aids-Experte und u.a. Gründer des Zentrums für sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum.
"Das heißt, diese doch sehr liberale Einstellung zu HIV und überhaupt zu Sexualität und sexuell übertragbaren Infektionen lässt nach und ist wieder mit einer höheren Stigmatisierung, teilweise Diskriminierung auch von Homosexuellen verbunden", so Brockmeyer weiter.
Eine solche Entwicklung gibt es nicht nur in Deutschland und anderen westlichen Ländern. In vielen Entwicklungsländern sind die Trends ähnlich. Dazu gehören vor allem Ost- und Südafrika, wo nach Schätzungen von UNAIDS mit einem Anteil von 54 Prozent mehr als die Hälfte der über 38 Millionen HIV-Infizierten leben. UNAIDS ist das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids. Ziel der Organisation ist u.a., die Verbreitung von HIV und Aids zu verhindern.
Die zunehmenden Stigmata und die Diskriminierungen richten sich nicht nur gegen HIV-positive Menschen, sondern oft auch gegen Homosexuelle und Transsexuelle beispielsweise in Osteuropa. "Weltweit gesehen, ist die Situation sicherlich in Russland sehr dramatisch, ebenfalls in südamerikanischen Ländern, etwa in Peru, wo insbesondere Transsexuelle, aber auch Männer, die Sex mit Männern haben, mit großen Repressalien rechnen müssen", sagt Brockmeyer.
HIV-Positive können ein normales Leben führen
HIV ist noch immer nicht heilbar, aber die äußerst effektiven antiretroviralen Medikamente reduzieren die Gefahr, dass sich das Virus im Körper vermehrt. Wird die Therapie früh genug begonnen, erkranken die Betroffenen nicht an Aids und können das HI-Virus auch nicht an andere weitergeben. Dennoch gibt es bei Umfragen immer wieder befremdliche Ergebnisse.
Bei der u.a. von der Aids-Hilfe durchgeführten Untersuchung "positive stimmen 2.0" gaben 90 Prozent der Befragten an, sie würden gut mit ihrer HIV-Infektion leben. 95 Prozent gaben jedoch gleichzeitig an, im vorangegangenen Jahr mindestens einmal diskriminierend behandelt worden zu sein. So gaben die Teilnehmer bei einigen Umfragen an, lieber kein Geschirr oder Sportgeräte mit HIV-Positiven teilen zu wollen. Und jemanden mit HIV zu küssen - sei er noch so sympathisch - das konnte sich die Hälfte aller Befragten nicht vorstellen. Auch wenn sich diese Zahlen auf Deutschland beziehen, ähneln sich die Tendenzen weltweit.
Psychische Folgen von Stigmatisierung
Stigmatisierung und Diskriminierung beeinträchtigen die psychische Gesundheit von Menschen mit HIV. Eine mögliche Folge ist, dass Betroffene ein negatives Selbstbild entwickeln.
Die US-amerikanische CDC (Centers for Disease Control and Prevention) definieren HIV-Stigmatisierung als "eine negative Einstellung und Überzeugung gegenüber Menschen mit HIV. Es ist das Vorurteil, das mit der Einstufung einer Person als Teil einer Gruppe einhergeht, von der man glaubt, dass sie gesellschaftlich inakzeptabel ist."
Und das kann für die Betroffenen schwerwiegende Folgen haben, erklärt Aids-Experte Norbert Brockmeyer. "Stigmatisierung ist natürlich immer mit Traumata verbunden und damit auch wieder mit psychischen und teilweise psychosomatischen Folgen. So kann sich eine lange Kaskade entwickeln. Die Menschen werden eingeschüchtert."
Gerhard Malcherek hat sich nicht einschüchtern lassen, aber er hat manchmal doch recht befremdliche Erfahrungen mit seiner HIV-Erkrankung gemacht. Beispielsweise bei der Terminvergabe beim Zahnarzt. Da hieß es dann: "Wir haben nur noch abends einen Termin. Ich habe gefragt, warum denn abends? Sie sind ja HIV-Träger, deswegen nehmen wir sie immer zum Schluss daran. Das finde ich sehr menschenverachtend", sagt Malcherek. Aber generell sei er ein sehr positiver Mensch, so der heute 71-jährige. So schnell bringe ihn nichts aus der Ruhe.