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PolitikGlobal

Welt-Friedensindex: Zahl der Kriegstoten auf Rekordhoch

Ben Knight
28. Juni 2023

Im vergangenen Jahr starben weltweit über 238.000 Menschen in Konflikten. So viele wie nie zuvor in diesem Jahrhundert. Der Ukraine-Krieg stand an Platz zwei der blutigsten Auseinandersetzungen.

Eine Frau, die Brennholz trägt, läuft auf einer Straße, daneben steht ein zerstörter Panzer der tigrayischen Streitkräfte südlich der Stadt Mehoni, Äthiopien
Im jüngsten äthiopischen Bürgerkrieg wurden Hunderttausende getötet und Millionen Menschen in die Flucht getriebenBild: Eduardo Soteras/AFP

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind noch nie so viele Menschen Opfer von Kriegen geworden wie im Jahr 2022. Mit 238.000 Toten hat sich dabei die Zahl der durch Konflikte verursachten Todesfälle im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Das ist das Ergebnis eines Berichts des Internationalen Instituts für Wirtschaft und Frieden (IEP) mit Hauptsitz im australischen Sydney.

Der dramatische Anstieg der Todesraten ist vor allem auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen, wo im vergangenen Jahr 83.000 Menschen getötet wurden. Der blutigste Konflikt fand in Äthiopien statt, wo 100.000 Menschen ihr Leben verloren. Laut der an diesem Mittwoch veröffentlichten Studie verursachten Konflikte 2022 zudem einen Verlust von 13 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Konflikte werden internationaler

Das neunte Jahr in Folge ist laut IEP auch das durchschnittliche Niveau der "globalen Friedfertigkeit" gesunken. Der Welt-Friedensindex wird berechnet, indem fast jedes Land der Welt anhand von 23 Indikatoren bewertet wird. Dabei werden "anhaltende innerstaatliche und internationale Konflikte", die "gesellschaftliche Sicherheit" und "Militarisierung" von Gesellschaften untersucht; es fließen also auch Daten aus der Kriminalitätsstatistik über die Zahl der Tötungsdelikte ein. Insgesamt hat sich der so berechnete Welt-Friedensindex im vergangenen Jahr um 0,42 % verschlechtert.

 

Laut Steve Killelea, Gründer und geschäftsführender Vorsitzender des IEP und einer der Autoren des Berichts, besteht der offensichtlichste Trend darin, dass sich Konflikte stärker internationalisiert haben. Einundneunzig Länder der Welt sind heute in irgendeine Art von Konflikt verwickelt, verglichen mit nur 58 im Jahr 2008.

Rückzug aus Irak und Afghanistan

"Das ist nicht unbedingt gut oder schlecht", so Killelea im Gespräch mit der DW. "Einige sind vielleicht an friedenserhaltenden Maßnahmen beteiligt, wie Länder der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten ECOWAS . Zwar sind mehr Länder in Kriege im Ausland verwickelt, aber man könnte auch sagen, dass wir in der Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, internationaler werden."

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Diese Entwicklung mag überraschen, wenn man bedenkt, dass westliche Militärinterventionen im vergangenen Jahrzehnt zurückgefahren wurden. Die USA und die NATO haben sich zum Beispiel aus dem Irak und Afghanistan zurückgezogen. Aber, so betont Killelea, die USA sind weiterhin in Konflikte verwickelt - sie sind jetzt der größte Unterstützer der Ukraine in deren Krieg gegen die russischen Angreifer.

Kriege sind schwer zu gewinnen

Laut Killelea zeigt der Index unter anderem, dass "Kriege wirklich schwer zu gewinnen sind". Die Konflikte im Jemen und in Syrien wüten nun schon seit neun beziehungsweise 12 Jahren, und in beiden Fällen gibt es keine erkennbaren Aussichten auf einen militärischen Sieg.

"Selbst für die am besten ausgerüsteten Armeen der Welt ist es schwierig, eine lokale Bevölkerung zu besiegen, die keine Invasion wünscht und über gute Ressourcen verfügt", so Killelea. Das liegt laut Killelea an modernen Waffen, die eine asymmetrische Kriegsführung erleichtern. "Fast jeder, der über eine technische Grundausbildung verfügt, kann heute Bomben aus der Ferne zünden", sagt er. Der Bericht des IEP weist auch darauf hin, dass sich die Zahl der nichtstaatlichen Gruppen, die Drohnen einsetzen, zwischen 2018 und 2022 verdoppelt und die Gesamtzahl der Drohnenangriffe im gleichen Zeitraum fast verdreifacht hat.

Frische Gräber: ein Friedhof bei Bachmut in der UkraineBild: Libkos/AP/dpa/picture alliance

Das Ergebnis dieser Trends ist, dass sich Krieg (und Frieden) als bemerkenswert langlebig erweisen: Island ist nach wie vor das friedlichste Land der Welt, eine Position, die es auf dem Index seit 2008 innehat, während Afghanistan nun schon acht Jahre in Folge als das am wenigsten friedliche Land der Welt eingestuft wird. Auch der Jemen , Syrien , der Südsudan und die Demokratische Republik Kongo  gehören seit der Einführung des Index im Jahr 2007 zu den zehn am wenigsten friedlichen Ländern der Welt.

Killelea betont jedoch, dass im Index auch positive Trends sichtbar würden. "Ich denke, dass eine der positivsten Entwicklungen im Nahen Osten und in Nordafrika zu verzeichnen ist - in den letzten drei Jahren haben 13 Länder dort ihre Friedlichkeit verbessert und nur sieben haben sich verschlechtert", sagt er. "Es gibt jetzt einen etablierten Trend zur Verbesserung der Friedlichkeit dort. Die ganze Dynamik ist also nicht unbedingt schlecht."

Dies wird besonders am Beispiel Libyens deutlich, das im zweiten Jahr in Folge eine Verbesserung seiner Friedlichkeit auf dem Index verzeichnen konnte. Obwohl die Sicherheitslage in Libyen immer noch fragil ist, hat der im Oktober 2020 unterzeichnete Waffenstillstand rivalisierender Gruppen das Land erheblich stabilisiert.

Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass viele Länder Fortschritte bei der Bekämpfung der Kriminalität aufwiesen: Mehrere Länder in der Karibik und in Mittelamerika beispielsweise verzeichneten im vergangenen Jahr einen Rückgang des innerstaatlichen Terrorismus und der Mordrate.

Der Preis des Krieges

Der IEP-Bericht blickt auch auf die wirtschaftlichen Kosten des Krieges. Insgesamt kosteten Krieg und Gewalt die Welt im vergangenen Jahr 17,5 Billionen Dollar, was 12,9 % des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Für die Länder, die am stärksten von Konflikten betroffen sind, sind die Auswirkungen natürlich besonders verheerend: Die Ukraine zum Beispiel gab 63 % ihres BIP für die Verteidigung gegen die russische Invasion aus.

Eine mögliche chinesische Blockade Taiwans, so prognostiziert das IEP, würde zu einem besonders gravierenden Rückgang der weltweiten Wirtschaftsleistung führen. Der Verlust wäre demnach doppelt so hoch wäre durch die globale Finanzkrise im Jahr 2008.

Natürlich verdienen auch viele Rüstungsunternehmen am Krieg, aber laut IEP werden diese wirtschaftlichen Gewinne durch die Kosten, die Krieg und Militarisierung mit sich bringen, in den Schatten gestellt. "Wenn ich einen Flugzeugträger baue, kostet mich das vielleicht 20 Milliarden US-Dollar", sagt Killelea. Und ich brauche 500 Millionen US-Dollar pro Jahr, um das Ding zu betreiben. Das Beste, was ich mir erhoffen kann, ist, dass ich ihn nicht einsetzen muss. Aber dieses Geld könnte auch für die Ankurbelung der Wirtschaft oder für das Gesundheitssystem verwendet werden". Dann, so Killelea, hätte es einen weitaus größeren Nutzen.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.