Weltbank-Studie: HIV/Aids-Epidemie breitet sich zunehmend in Südosteuropa aus
15. Juli 2003Vor genau 20 Jahren wurde das HIV-Virus entdeckt, das für die Immunschwächekrankheit Aids verantwortlich ist. Zurzeit tagen in Paris rund 5 000 Wissenschaftler auf einer Konferenz der International Aids Society über Strategien zur Bekämpfung dieser Infektionskrankheit, gegen die es immer noch kein zuverlässiges Heilmittel gibt. Allein im vergangenen Jahr starben über drei Millionen Menschen an Aids. Als größter Seuchenherd gilt nach wie vor der afrikanische Kontinent, doch eine neue Studie der Weltbank warnt davor, dass auch in den Ländern Südosteuropas und Zentralasiens die Infektionsraten rasant in die Höhe schnellen. Rolf Wenkel hat sich die Studie angesehen:
Die neue Studie der Weltbank mit dem Titel "HIV/Aids in Südosteuropa" fordert insbesondere die Balkanstaaten zu sofortigen Präventionsmaßnahmen gegen Aids auf. Fallstudien aus den Ländern Bulgarien, Kroatien und Rumänien hätten gezeigt, dass diese Region zurzeit die weltweit höchsten Zuwachsraten bei HIV-Infektionen aufweist. Allein im Jahr 2002 soll es nach Schätzungen der Weltbank zu 250 000 neuen Infektionen gekommen sein, womit sich die Zahl der Menschen, die in dieser Region mit einer HIV-Infektion leben müssen, auf 1,2 Millionen Personen erhöht hat. Dr. Ulrich Heide vom Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung erklärt sich die schnelle Ausbreitung in Südosteuropa so: "Ich glaube vor allem, dass zahlreiche Regierungen in Osteuropa das Problem lange Zeit nicht wirklich ernst genommen haben und nicht reagiert haben. Also nicht zu einem Zeitpunkt auf Aufklärung, auf Information, auf Prävention gesetzt haben, wo es noch sehr leicht möglich gewesen wäre."
Rechtzeitige Information und Aufklärung über die Verbreitungswege des Virus, das sich vor allem durch ungeschützten homo- oder heterosexuellen Geschlechtsverkehr verbreitet - das ist nach wie vor der Königsweg, um die Verbreitung der Seuche einzudämmen, für die es immer noch kein Heilmittel gibt. Die Aids-Seuche ist, so Dr. Ulrich Heide, besonders tückisch: "Eine Infektionskrankheit ist immer dann schwer zu bekämpfen oder sie wird immer schwerer zu bekämpfen, je verbreiteter sie bereits innerhalb der Bevölkerung ist, und dies gilt insbesondere für Aids bzw. die HIV-Infektion, vor allem deshalb, weil sich die Infektion ja nicht gleich bemerkbar macht. Also es können sehr viele Jahre vergehen, bevor ein Betroffener von seiner eigenen
Infektion erfährt, und in dieser Zeit setzt er sich - weil er nicht behandelt werden kann - setzt aber auch Partnerinnen oder Partner der Gefahr einer Weitergabe der Infektion aus."
Auch die Weltbank-Studie empfiehlt den Politikern dieser Region, die Gefahren einer Aids-Epidemie in einem möglichst frühen Stadium öffentlich zu machen. Entscheidend seien nicht so sehr die absoluten Zahlen der Erkrankungen, sondern deren Zuwachsraten. Die Studie bezeichnet die Russische Föderation und die Ukraine als die Länder mit den höchsten Infektionsraten, doch auch in zahlreichen anderen Ländern der Region seien die Zuwachsraten inzwischen alarmierend. "Ohne effektive Präventionsmaßnahmen wird sich die Sterblichkeitsrate in den nächsten zehn Jahren in dieser Region signifikant erhöhen", heißt es in der Studie, was die Gesundheitssysteme in diesen Ländern vor gewaltige Probleme stellen werde. In Westeuropa dagegen sind die Infektionsraten niedriger geblieben, als es die Experten vorausgesagt haben. Dr. Ulrich Heyde hat dafür eine Erklärung: "Wir haben in Deutschland und in West- und Nordeuropa sehr früh nach bekannt werden der Infektionswege - also Weitergabe im Grunde durch ungeschützten Sexualverkehr und durch Nadeltausch (bei Drogen-Süchtigen, Fixern) - auf diese Gefahren reagiert und über diese Gefahren informiert. Das ist auch der Grund, weshalb in West- und Nordeuropa wesentlich niedrigere Infektionsraten zu beobachten sind als in Südeuropa - also ich will nicht von Osteuropa ablenken - also es gab in Europa durchaus unterschiedliche epidemiologische Entwicklungen. Und in Osteuropa galt für viele Jahre, nämlich bis zum Fall des Eisernen Vorhangs, die Regel, "so etwas gibt es bei uns nicht, reale Gefahren bestehen nicht", und in den Jahren nach 1989, 1990 gab es natürlich zahlreiche andere Probleme, dabei ist das HIV/Aids-Problem sträflich vernachlässigt worden."
Die Weltbank-Studie, die insbesondere Bulgarien, Kroatien und Rumänien untersucht hat, nennt für alle diese Länder ähnliche Faktoren, die die Ausbreitung von Aids begünstigen: Hohe Arbeitslosigkeit, verbreitete Armut, hohe Mobilität der
Bevölkerung, rapide soziale Veränderungen, vernachlässigte Gesundheits- und Bildungssysteme, steigender Drogenkonsum und zunehmende Prostitution.
Zwar habe die Bevölkerung in allen diesen Ländern den gesetzlich garantierten Zugang zu medizinischer Behandlung, doch könnten die Gesundheitssysteme sehr schnell überfordert werden, wenn sich die Seuche im gleichen Tempo wie bisher ausbreite. Das habe letztendlich auch Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme, auf die Wirtschaft und auf das "Humankapital" dieser Länder. Die Weltbank rät der Politik in diesen Ländern deshalb zu sofortigen Informations- und Aufklärungskampagnen und bietet den lokalen Behörden ihre Zusammenarbeit an. (md)