Hunderte Millionen Frauen und Mädchen seien nicht die Besitzerinnen ihrer eigenen Körper, prangert die UNFPA im Weltbevölkerungsbericht an. Gewalt gegen Frauen hat zudem in der Corona-Pandemie dramatisch zugenommen.
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Vielen Millionen Frauen weltweit wird einem UN-Bericht zufolge die freie Entscheidung über ihren eigenen Körper verwehrt. Nur 55 Prozent der Frauen in 57 untersuchten ärmeren Ländern können beispielsweise selbstständig entscheiden, mit wem sie Sex haben, ob sie verhüten und medizinische Versorgung in Anspruch nehmen, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Weltbevölkerungsbericht des UN-Bevölkerungsfonds UNFPA.
Allen anderen wird eine freie Entscheidung in einem oder mehrerer dieser Bereiche verwehrt. Das sei empörend, sagte UNFPA-Chefin Natalia Kanem. Der Bericht befasst sich in diesem Jahr vor allem mit der körperlichen Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen. "Im Kern sind damit hunderte Millionen Frauen und Mädchen nicht die Besitzerinnen ihrer eigenen Körper. Ihre Leben werden von anderen Menschen beherrscht", prangerte Kanem an.
Kein Fisch ohne Sex
Viele Frauen rund um den Viktoriasee verdienen ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Fischen. Aber um an ihre Ware zu kommen, müssen die Frauen die meist männlichen Fischer bezahlen - unter anderem mit Sex.
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Traditionsreiches Geschäft
Am Viktoriasee, dem größten See Afrikas, ist Fischerei eine der wichtigsten Lebensgrundlagen. Vor allem Frauen verkaufen den Fang. Sie bekommen ihn von den Fischern, wie hier in der kenianischen Kleinstadt Sindo. Doch die Fischer geben ihn oft nicht für bloßes Geld heraus.
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Das Jaboya-Geschäft
Auch Perez Anjango hat früher Fisch verkauft. Als Gegenleistung für die Ware verlangten die Fischer Sex. Dafür haben die Menschen am Viktoriasee einen Namen: "Jaboya". Anjango und ihre Kolleginnen erzählten der Deutschen Presseagentur von ihren Jahren im "Jaboya"-Geschäft.
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Geschlechtertrennung am See
Im Fischgeschäft um den Viktoriasee sind die Rollen klar verteilt. In den frühen Morgenstunden fahren die Fischer mit ihren Booten raus auf den See - das machen nur die Männer.
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Eine von vielen
Wenn die Fischer später am Morgen zurückkommen, ist der Strand schon voller Menschen - hauptsächlich Frauen, die auf ihren Anteil des Fangs warten. In ihren Netzen haben die Fischer "Omena" - so heißt der sardinenartige Fisch, der auf dem Markt verkauft wird.
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Unmoralischer Preisaufschlag
"Jaboya" bedeutet auf der kenianischen Lokalsprache Luo ursprünglich so viel wie "Kunde". Die Frauen müssen den Fisch nämlich zunächst kaufen. Ein Eimer fasst etwa 35 kg Omena-Fische und kostet um die 1000 Kenianische Schilling (etwa 8,50 Euro). Der Sex kommt noch dazu.
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Besondere Freundschaften
Damit sie also überhaupt Fisch bekommen, müssen die Frauen eine "Freundschaft" mit einem der Fischer pflegen. Das bedeutet: "Man muss mit einem Fischer Sex haben", sagt Caroline Alima, Fischverkäuferin. "Besondere Freundinnen" bekommen vielleicht etwas mehr oder frischeren Fisch.
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Zu viele Menschen, zu wenig Fisch
Die Bevölkerung um den See wächst, während die Zahl der Omena-Fische im See immer stärker sinkt. Schuld sind Umweltverschmutzung, Überfischung und die Einführung des Viktoriabarsches in den 1950er-Jahren.
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Das Problem breitet sich aus
Das Phänomen "Jaboya" ist bekannt - nicht nur in Kenia, sondern auch im angrenzenden Tansania und in Uganda. Und es verbreitet Krankheiten: Die HIV-Raten in der Region sind besonders hoch. Viele Frauen und auch Fischer infizieren sich, sterben sogar daran. Zurück bleiben verarmte Fischerwitwen ohne Einkommen.
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Neue Einkommensquellen
Aus dem "Jaboya"-Geschäft herauszukommen, ist schwer: Vor allem brauchen die Frauen einen anderen Job. Internationale Hilfsorganisationen wollen über die Gefahren des Geschäfts aufklären und Auswege aufzeigen. Diese Frau produziert Tonöfen in Sindo, einer kleinen Stadt in der Nähe des Sees.
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Ein Ausweg: Selbstständigkeit
Perez Anjango und ihre Familie besitzen heute eine eigene Fischzucht: ein Teich in der Größe eines halben Tennisplatzes, nicht weit vom Viktoriasee. Eine ihrer Töchter ist Fischhändlerin - hält sich aber ganz weit von den Stränden fern.
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Dem Bericht zufolge sind seit Beginn der Corona-Pandemie auch mehr Frauen und Mädchen als je zuvor von geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Praktiken wie Frühverheiratung bedroht. Dazu führten unter anderem pandemiebedingte Schulschließungen.
Einen dramatischen Anstieg verzeichneten die Autoren des Berichts auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung: Nach UNFPA-Schätzungen könnte es im Zuge der Corona-Pandemie zu bis zu zwei Millionen zusätzlichen Fällen von weiblicher Genitalverstümmelung kommen. Die Erfolge bei der Beseitigung dieser Praxis könnten demnach bis 2030 um ein Drittel zurückgeworfen werden.
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Weniger Bildung bedeutet oft weniger Selbstbestimmung
Einen engen Zusammenhang sehen die Autoren zwischen sexueller Selbstbestimmung und dem Bildungsniveau von Frauen. Frauen, die weniger gebildet sind als ihr Ehemann oder Partner, erleben laut dem Bericht häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen, deren Bildungsniveau mehr oder weniger dem ihres Ehepartners entspricht.
Viele Mädchen und Frauen wüssten nicht, dass sie das Recht hätten, Geschlechtsverkehr zu verweigern, heißt es in dem Bericht. So habe eine Studie in Indien gezeigt, dass frisch verheiratete Frauen in Indien ihren ersten Sex seltener als erzwungen oder "gegen ihren Willen" bezeichnen, weil Sex innerhalb der Ehe erwartet würde. Solche Normen und Einstellungen verhindern laut dem Bericht oftmals auch, dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über Verhütung treffen könnten - auch, weil Männer in vielen Ländern es als ihr Recht betrachteten, die Entscheidung über die Familiengröße zu treffen.
UNFPA-Chefin Kanem forderte die internationale Gemeinschaft zu einem entschiedeneren Einsatz für die Gleichberechtigung der Geschlechter auf.