Welternährungstag: Ernährt die Ukraine noch immer die Welt?
15. Oktober 2025
Fruchtbare Böden, riesige Ackerflächen und eine Geschichte der Versorgung von Imperien und Weltmärkten verhalfen der Ukraine zum Ruf als "Kornkammer der Welt". Mit 41,3 Millionen Hektar Ackerland, von denen zwei Drittel mit sogenannter Schwarzerde - dem fruchtbarsten Boden der Welt - bedeckt sind, erzielt das Land hohe Ernteerträge bei relativ geringem Aufwand an Düngemitteln, Bewässerung, Arbeitskräften und Schwermaschinen.
Der Getreideüberschuss der Ukraine ernährte das Russische Reich und später die Sowjetunion. Mit dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 wurden die Ernten der Ukraine zum großen Teil ins Deutsche Reich gebracht. Nach Erlangung der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 wurde das Land zu einem wichtigen Nahrungsmittellieferanten für die Welt, insbesondere für den Nahen Osten, Nordafrika und Asien.
Am 16. Oktober begeht die Welt den Welternährungstag - eine Initiative der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des weltweiten Hungers - und der Beitrag der Ukraine bleibt entscheidend. Das Getreide des Landes ist eine Lebensader für ernährungsunsichere Regionen und füllt Lücken, die sonst niemand in diesem Umfang füllen kann. Das Welternährungsprogramm beispielsweise bezog im Jahr 2023 80 Prozent seines Getreides aus der Ukraine, um unter anderem im kriegszerstörten Jemen und Äthiopien rund 400 Millionen Menschen zu ernähren.
Geringe Ernten, hohe Preise
Russlands Überfall auf die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann, hatte zunächst verheerende Auswirkungen nicht nur auf die Binnenwirtschaft sondern auf die globale Ernährungssicherheit.
Russische Truppen besetzten weite Teile des Ackerlandes, während eine Seeblockade, Raketenangriffe und verminte Gewässer fast alle Lieferungen über die wichtigste Exportroute der Ukraine, das Schwarze Meer, stoppten. Die Exporte brachen in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 im Vergleich zum Vorjahr um über 90 Prozent ein, was zu weltweiten Teuerungen bei Lebensmitteln und einer Verschärfung der Hungerkrisen in importabhängigen Ländern führte.
Laut Natalia Shpygotska, Analystin beim Kiewer Investmenthaus Dragon Capital, seien vor der Invasion rund acht Prozent der weltweiten Weizenexporte, 13 Prozent der Mais- und 12 Prozent der Gerstenexporte aus der Ukraine gekommen. "Geringere Erntevorräte und Unsicherheit über die Aussichten für die kommerzielle Schifffahrt im Schwarzen Meer ließen die internationalen Getreidepreise auf 345 Euro pro Tonne steigen, was die Erschwinglichkeit von Grundnahrungsmitteln weltweit beeinträchtigte", sagte Shpygotska gegenüber der DW.
Die Invasion führte zu einem Rückgang der Getreideproduktion um fast ein Drittel für 2022/23, wobei 22 Prozent des Ackerlandes aufgrund russischer Besatzung, Minen und Arbeitskräftemangels unbebaut blieben. Rückblickend erholten sich die Exporte jedoch schnell, wie Daten des US-Landwirtschaftsministeriums zeigen.
Lebensmittel als Waffe
Der Kreml wurde beschuldigt, die Nahrungsmittelproduktion durch gezielte Angriffe auf landwirtschaftliche Infrastrukturen zur Kriegswaffe zu machen. In den ersten beiden Kriegsjahren wurden mehr als 300 landwirtschaftliche Anlagen durch russische Angriffe beschädigt, und allein im Jahr 2022 wurden mehr als 500.000 Tonnen Getreide gestohlen.
Erst im August desselben Jahres gelang es den ukrainischen Streitkräften, die russische Schwarzmeerflotte mithilfe von Marinedrohnen und westlichen Anti-Schiffs-Raketen deutlich zurückzudrängen. Die Versenkung der Moskwa, des Flaggschiffes der russischen Schwarzmeerflotte, im April war ein entscheidender Schlag für den Kreml. Ein Jahr später stabilisierten sich die weltweiten Getreidepreise nahezu auf Vorkriegsniveau.
Die im Juli 2022 von den Vereinten Nationen und der Türkei ins Leben gerufene Schwarzmeer-Getreideinitiative öffnete drei ukrainische Häfen wieder und ermöglichte bis Juli 2023 den Export von 33 Millionen Tonnen Getreide. Die sogenannten Solidaritätsrouten der Europäischen Union, die Schienen-, Fluss- und Straßenrouten durch Polen, Rumänien und Bulgarien nutzten, ermöglichten es trotz der russischen Blockade, dass fast die Hälfte der ukrainischen Getreideexporte nach Europa gelangte.
Zusammengenommen führten diese Bemühungen dazu, dass die ukrainischen Exporte im Jahr 2023/24 wieder auf rund 64 Millionen Tonnen anstiegen, 75 Prozent des Vorkriegsniveaus erreichten und die globale Ernährungssicherheit zu stabilisieren halfen. "Die Solidaritätsrouten der EU waren eine wichtige Lebensader, bevor die Schifffahrt über die Schwarzmeerhäfen vollständig wiederhergestellt war", sagte Shpygotska. "Aufgrund infrastruktureller Einschränkungen und deutlich höherer Transportkosten konnten die Landwege die Seeexporte jedoch nicht vollständig ersetzen."
Noch keine Stabilität
Mehr als drei Jahre nach der russischen Invasion prognostizierte das ukrainische Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung (MAPF) für die Zeit von Juli 2024 bis zum Juni 2025 Getreide- und Ölsaatexporte von über 60 Millionen Tonnen, darunter 15 Millionen Tonnen Weizen, 25 Millionen Tonnen Mais und 2,5 Millionen Tonnen Gerste.
Im September 2025 verzeichnete die Ukraine wieder einen Rückgang der Agrarexporte um 38 Prozent im Vergleich zum gleichen Monat im Jahr 2024, was teilweise auf die verstärkten Angriffe Russlands auf die Schwarzmeerhäfen zurückzuführen ist. Laut dem Ukrainischen Getreideverband gingen die Ausfuhren über den ukrainischen Hafen Odessa um fast ein Drittel zurück.
Auch die Prognose für die gesamte Saison 2025/26 ist wenig optimistisch: Die Getreideernte der Ukraine dürfte aufgrund der anhaltenden Kriegsunterbrechungen um zehn Prozent auf rund 51 Millionen Tonnen zurückgehen.
Landwirtschaft ist lebensgefährlich
Arbeit auf dem Feld ist weiterhin gefährlich. Das Wall Street Journal berichtete letzten Monat unter Berufung auf Regierungsangaben, dass seit Kriegsbeginn allein in der ukrainischen Region Cherson mehr als ein Dutzend Landarbeiter getötet und über 40 verletzt wurden.
Unter ihnen war der Landwirt Oleksandr Hordienko, der im Juli erklärt hatte, er habe mit Ortungsgeräten und einem selbst gekauften Gewehr mehr als 80 russische Drohnen abgeschossen. Letzten Monat wurde Hordienko bei einem russischen Drohnenangriff auf sein Fahrzeug getötet, berichtete das WSJ.
"Ukrainische Bauern sind in Frontnähe mit Landminen, zerstörten Bewässerungssystemen und häufigen Drohnen- und Raketenangriffen konfrontiert", sagte Shpygotska gegenüber der DW. "Dennoch gewährleisten sie die heimische Ernährungssicherheit und versorgen die Weltmärkte trotz außergewöhnlicher Widrigkeiten mit Getreide, Ölen und Proteinen."
"Nachhaltiger Frieden und Minenräumung wären notwendig, um dieses Ackerland wieder bewirtschaften zu können", so Natalia Shpygotska. Obwohl die Ukraine trotz vieler Herausforderungen als Kornkammer gilt, kann nur globale Unterstützung bei der Ausarbeitung eines tragfähigen Friedensabkommens und der Förderung des Handels ihre Ernten sichern und Millionen Menschen weltweit ernähren.
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.