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Politik

Zwischen Versöhnung und Abrechnung

31. August 2019

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird in Polen an der Gedenkfeier zum deutschen Überfall vor 80 Jahren teilnehmen. Angela Merkel kommt überraschend dazu. Im Hintergrund werden Reparationsforderungen laut.

Bundespräsident Steinmeier in Polen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) und Polens Präsident Andrzej Duda (Archivbild)Bild: picture alliance/dpa/S.Stache

Der Besuch des Bundespräsidenten in Polen beginnt an diesem Sonntag kurz nach 4 Uhr morgens in dem Ort, der in den ersten Kriegsminuten angegriffen wurde. In Wieluń, das damals unweit der deutschen Grenze lag und militärisch völlig unbedeutend war, lebten 16.000 Einwohner. Die deutsche Luftwaffe bombardierte die Stadt ohne jede Vorwarnung und tötete rund 1200 Menschen, viele im Schlaf.

Fast zeitgleich beschoss das deutsche Kriegsschiff "Schleswig-Holstein" am 1. September 1939 die Westerplatte bei Danzig - auf der langgestreckten Halbinsel befand sich ein polnisches Munitionslager. Der deutsche Überfall auf Polen markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Erinnern an unbekannte Verbrechen

Während Danzig oftmals als der Ort gilt, an dem der Krieg begann, war Wieluń fast vergessen. Auch deshalb hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon vergangenes Jahr dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda vorgeschlagen, dort gemeinsam der Kriegsopfer zu gedenken.

Deutsche Kampfbomber zerstörten die kleine polnische Stadt Wieluń fast vollständigBild: Muzeum Ziemi Wieluńskiej

Steinmeier hat sich schon mehrmals bewusst für wenig bekannte Orten zum Kriegsgedenken entschieden. 2017 war er in der Gedenkstätte Paneriai in Vilnius, wo Massenerschießungen stattfanden, 2018 besuchte er die ehemalige Vernichtungsstätte Maly Trostenez bei Minsk und das ehemalige griechische Konzentrationslager Chaidari. Vergangene Woche war er im italienischen Ort Fivizzano, in dem Deutsche vor 75 Jahren Massaker verübten. 

Eine schwere Reise

Der Besuch in Wieluń reiht sich in diese Gesten ein. Er wird jedoch der Auftakt einer der vielleicht schwierigsten Gedenkreisen des Bundespräsidenten sein. In seiner Gedenkrede, deren Manuskript bereits vorliegt, betont er: "Wieluń war ein Fanal, ein Terrorangriff der deutschen Luftwaffe und ein Vorzeichen für alles, was in den kommenden sechs Jahren folgen sollte. Wir nennen es Krieg, weil wir um einen Begriff verlegen sind für das Grauen dieser Jahre."

Am Morgen werden die Präsidenten Duda und Steinmeier gemeinsam nach Warschau reisen. Dort findet die zentrale Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen statt. Das schwere Erbe der deutsch-polnischen Vergangenheit könnte dort sichtbarer werden als je zuvor.

Bundespräsident Steinmeier erinnert NS-Verbrechen - hier in Fivizzano mit Italiens Präsident Sergio MattarellaBild: Reuters/Handout/Italian Presidential Press Office/F. Ammendola

Duda hatte auch Donald Trump eingeladen. Doch der US-Präsident hat kurzfristig abgesagt, wegen eines auf die Südküste der USA vorrückenden Hurrikans. In Warschau vertritt ihn sein Vize Mike Pence.

Merkels späte Zusage

Ebenso überraschend wie die Absage von Trump kam wenige Stunden später die Zusage von Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin reise zu der zentralen Gedenkveranstaltung in Warschau an und fliege anschließend gleich zurück nach Berlin, teilte ihr Sprecher mit.

Dass beide Amtsträger den selben Termin im Ausland wahrnehmen, ist äußerst selten kommt höchstens bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Trauerfeiern vor. Ihre gleichzeitige Anwesenheit am 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen ist daher eine besondere Geste für das Nachbarland.

Auf die richtigen Gesten kommt es an diesem Tag an - und zwar von allen Seiten. Auf dem symbolträchtigen Pilsudski-Platz in Warschau werden die Präsidenten Polens und Deutschlands sowie der Vizepräsident der USA vor 250 Gästen aus aller Welt sprechen.

Steinmeier will dabei laut Bundespräsidialamt auch die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen würdigen und die Bedeutung des vereinten Europas für die weitere friedliche Entwicklung hervorheben.

Reparationen spalten

Üblicherweise stehen an solchen Gedenktagen die Opfer, ihr Leid und die daraus gezogenen Lehren im Mittelpunkt. So war das zunächst auch in Warschau zu erwarten. Doch kurz vor dem historischen Datum werden in Polen wieder Forderungen nach Reparationen laut. Noch ist keine offizielle Note an die Bundesregierung überreicht worden, wie es kürzlich Griechenland tat, doch die Regierungspartei PiS will, dass das Thema auf die bilaterale Agenda kommt.

Auf die Gesten kommt es an - das Pilsudski-Denkmal in Warschau (bei einer Zeremonie an Polens Unabhängigkeitstag)Bild: picture-alliance/dpa/L. Szymanski

Eine Kommission des polnischen Parlaments, des Sejm, berechnet seit 2017 die Kriegsschäden und Verluste Polens und will ihren Bericht bald veröffentlichen. Bisher wird eine mögliche Summe von rund 800 Milliarden Euro genannt. Nach Schätzungen sind zwischen 1939 und 1945 bis zu sechs Millionen Polen gestorben.

Die Haltung Deutschlands bleibt unverändert. "Juristisch und politisch ist die Frage der Reparationen für uns abgeschlossen", wiederholte der Regierungssprecher in Berlin. Nie abgeschlossen sei dagegen die Erinnerung an die Verbrechen, an das Leid und die daraus erwachsende Verpflichtung für eine gute Gegenwart und Zukunft.

An diese Verpflichtung knüpft neuerdings die polnische Argumentation an. Polens Präsident Duda sagte, Reparationen seien "eine Frage von Verantwortung und Moral". Er verwies auf den bald erscheinenden Bericht der Sejm-Kommission.

So bleibt offen, ob Polen das Weltkriegsgedenken tatsächlich dafür nutzt, eine der heikelsten Fragen der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte anzusprechen. Dabei spielen auch innenpolitische Interessen eine Rolle - in sechs Wochen finden in Polen Parlamentswahlen statt.

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