Kostenfreie Operationen als humanitäre Hilfe
19. August 2013Geburtsanomalien wie Kiefer-Lippen-Gaumenspalten, Entstellungen und Bewegungsunfähigkeit durch Verbrennungen, schwere Brüche. Das sind die Krankheitsbilder, die Wulf Schmücking auf seinen Einsätzen vorfindet. Sieben Mal war er schon in Afrika und Indien, um Menschen mit schweren Verletzungen und körperlichen Einschränkungen zu helfen. Im Oktober fliegt der 72-jährige Chirurg zu seinem achten Einsatz, diesmal nach Sumbawanga, eine 100.000-Einwohner-Stadt in Ost-Tansania.
2005 ist Wulf Schmücking, der eine eigene Praxis in Berisch-Gladbach hatte, in den Ruhestand gegangen. Zwei Jahre später flog der Mediziner aus Leverkusen das erste Mal nach Afrika, um Menschen zu operieren. Sein Einsatzort: ein Missionskrankenhaus im tansanischen Puma. "Das war schon ein Sprung ins kalte Wasser damals", sagt Wulf Schmücking rückblickend, "ich bin mit viel Bammel und flatternder Hose losgefahren. Aber alles hat wunderbar geklappt."
Behandlungs-Marathon mit einfachsten Mitteln
Bis in die Nacht operierte der Chirurg in Puma, unterstützt von einer örtlichen OP-Schwester, zwölf bis 14 Stunden am Tag, zweieinhalb Wochen lang. Keine Besonderheit, sondern das normale Maß dieser humanitären Einsätze. Was er in Puma vorfand, beschreibt Wulf Schmücking als katastrophale Situation: die Wunden der Kranken waren schlecht versorgt und vielfach infiziert, die Ausstattung mehr als schlicht. "Man hatte nur einfachste Hilfsmittel, Wasserstoffperoxyd und Penicillin, sonst nichts.“ Schmücking strich Honig zur Desinfektion und Wundheilung auf die vereiterten Körperstellen, mit großem Erfolg. Allen Patienten ging es am Ende seines Einsatzes besser.
Um auf die Möglichkeit zur kostenlosen Operation aufmerksam zu machen, wird die Ankunft des Ärzteteams jeweils Wochen vor dem Einsatz angekündigt, durch Aushänge an öffentlichen Gebäuden und Bäumen, Mitteilungen im Rundfunk, vor allem aber durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Um vom Arzt aus Deutschland behandelt zu werden, legen dann viele Kranke lange Strecken zurück, mit dem Bus oder häufig auch durch tagelange Fußmärsche.
Helfen statt Urlaub machen
Organisiert wurde die humanitäre Hilfe, die Wulf Schmücking in Tansania leistete durch den 1980 gegründeten Verein "Interplast". Die wohltätige Organisation finanziert sich ausschließlich durch Spenden und die Beiträge seiner 2000 Mitglieder. Die knapp 80 Einsätze, die der Verein in rund 20 Ländern weltweit pro Jahr durchführt, leisten ehrenamtlich arbeitende Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger. Dabei handele es sich keineswegs nur um Mediziner im Ruhestand, betont der Interplast-Vorsitzende Arnulf Lehmköster. "Die große Mehrheit unserer Mitglieder sind aktive, im Berufsleben stehende Ärzte und Pfleger. Für diese Arbeit geben wir unseren Jahresurlaub her." Auch in anderen EU-Ländern gibt es Interplast-Organisation, unter anderem in den Niederlanden, Frankreich und der Schweiz. Doch arbeiteteten die Vereine autonom, sagt Arnulf Lehmköster, es gebe zwar Austausch zwischen den einzelnen Organisationen, ein Dachverband existiere jedoch nicht.
Zusammenarbeit soll die Selbsthilfe stärken
Dass Ärzte allein zu einem Einsatz reisen, ist die Ausnahme. Üblich sind Teams von vier bis sechs Kräften, neben Chirurgen, auch Anästhesisten sowie spezialisierte Krankenschwestern und -pfleger. In Einzelfällen seien aber auch Gruppen von zwölf bis 15 Fachkräften unterwegs, so der Interplast-Vorsitzende Lehmköster, je nach Bedarfslage vor Ort. Ziel sei es, das reisende Team so klein wie möglich zu halten, um das medizinische Personal vor Ort eng in die Arbeit einzubinden. Auch Lehmköster selbst ist als Chirurg in Entwicklungsländern im Einsatz. "Das läuft alles nach dem Prinzip 'Hilfe zur Selbsthilfe'" betont der Mediziner, "Interplast arbeitet grundsätzlich auf Einladung von Partnerkrankenhäusern. Es sind nicht wir, die wir durch die Welt ziehen und sagen: können wir euch hier ein bisschen helfen." Die Interplast-Idee müsse von den Partnerkrankenhäusern wahrgenommen werden. Der Verein reagiere nur auf die Anfragen.
Auf seinen nächsten Einsatz in Tansania freut sich Wulf Schmücking schon heute. Zu sehen, wie die Patienten Lebensqualität wiedergewinnen und ihren Dank für die geleistete Hilfe zu bekommen, sei immer wieder ein Erlebnis. "Das ist einfach wunderschön, was man da erreichen kann. "Auch in den kommenden Jahren will der Chirurg deshalb für Interplast zu Einsätzen in solche Ländern reisen, in denen medizinischen Fähigkeiten wie seine, längst nicht allen Menschen zur Verfügung stehen. "Das ist ein wirklich sinnvoller humanitärer Einsatz", erklärt Schmücking "und so lange ich noch eine ruhige Hand habe, mache ich weiter."