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Wem gehört das Wasser?

Katja Raiher
26. August 2021

Mit der Klimakrise wird Wasserknappheit auch in Europa zunehmend zum Thema - selbst im wasserreichen Deutschland. Das zeigt sich etwa in Lüneburg, wo ein Weltkonzern Brunnen bohrt.

Getränkeflaschen
Bild: Katja Raiher/DW

Ob Flutkatastrophe oder Waldbrand - es ist mittlerweile klar, dass die Klimakrise auch Europa schmerzvoll treffen wird. Dabei ist zu viel Wasser eine Seite der Medaille, Trockenheit und Dürren die andere. Besonders im Sommer werden große Wasservorkommen ein knappes Gut sein. Folglich könnten Unternehmen, die Grundwasser für den kommerziellen Verkauf abpumpen, in Zukunft immer häufiger in der Kritik stehen. In der französischen Stadt Vittel beispielsweise fördert Global Player Nestlé jährlich eine Million Kubikmeter (m³) - ein Kubikmeter füllt etwa fünf Badewannen - des gleichnamigen Mineralwassers völlig legal, wie das ZDF 2020 herausfand. Der Grundwasserspiegel sinkt jährlich um 30 Zentimeter - bereits in wenigen Jahrzehnten könnten die 5000 Einwohner auf dem Trockenen sitzen. Nestlé ist das bewusst, man habe die Fördermenge bereits um 30 Prozent reduziert. Zu seiner Verteidigung argumentiert der Konzern außerdem mit seiner Funktion als wichtiger Arbeitgeber mit etwa 1000 Beschäftigten.

Dritter Brunnen sorgt für Streit

Im niedersächsischen Lüneburg im Norden Deutschlands spielt sich eine ähnliche Situation ab: Der Großkonzern Coca-Cola/Apollinaris Brands fördert seit 2014 mit zwei Brunnen jährlich 350.000 m³ Grundwasser. Das ist etwa 7 Prozent des in der Stadt und 2 Prozent des im Landkreis zur Entnahme freigegebenen Wassers. Verkauft wird es hauptsächlich unter der Marke "Vio". Ein Liter Vio-Wasser kostet 99 Cent im Supermarkt, das 10.000-fache des sogenannten Wasserpfennigs, den die Firma an das Land Niedersachsen entrichten muss. 

Probebohrung des neuen Brunnens im Landkreis Lüneburg Bild: Philipp Schulze/picture alliance/dpa

Das börsennotierte Unternehmen beantragte 2016 die Genehmigung eines dritten Brunnens im Landkreis, mit dem die geförderte Wassermenge verdoppelt werden soll. Die nötige Infrastruktur existiert bereits: Im Frühjahr 2021 wurden an besagter Stelle probehalber 100.000 m³ hochgepumpt und in den nahegelegenen Bach "Kranker Hinrich" wieder eingeleitet. Damit sollen Umweltauswirkungen einer langfristigen Entnahme abgeschätzt werden. Ein schriftlicher Bericht der zuständigen Wasserbehörde wird Ende September erwartet. Coca-Colas Pressesprecher Steffen Türk versichert: "Wir befolgen alle behördlichen Vorgaben und gesetzlichen Regelungen im Zusammenhang mit unserem Brunnenprojekt."

"Unser Wasser" versus "Vio"

Doch gegen den dritten Brunnen des Konzerns hat sich Widerstand geregt. Als Antwort auf die Expansionspläne des Unternehmens formierte sich die Bürgerinitiative "Unser Wasser", die regelmäßig zu Kundgebungen und Demonstrationen aufruft. Auf ihrer Website stellt sie klar: "Die industrielle Nutzung des kostbaren Tiefengrundwassers über lange Zeiträume für nicht nachhaltige Zwecke und zu einem sehr geringen Preis ist angesichts der Endlichkeit dieser Ressource nicht hinnehmbar." Eine Petition der Initiative gegen den Brunnen haben doppelt so viele Menschen unterschrieben, wie in der Stadt Lüneburg leben. Im März 2021 kam es gemeinsam mit den Klimaaktivisten von "Extinction Rebellion" zu einer ganztägigen Blockade des Coca-Cola-Firmengeländes. Momentan beschäftigt das Unternehmen etwa 200 Mitarbeiter, bestehende Arbeitsplätze gingen ohne den dritten Brunnen nicht verloren. 

Aktivistin vor dem Vio-Lager in LüneburgBild: Extinction Rebellion Lüneburg

Aus dem Landes-Grundwasserbericht für das Jahr 2019 geht hervor, dass Lüneburg die am stärksten betroffene Region von dauerhaftem Grundwasserverlust in Niedersachsen war. Der Bericht stellt klar: "Die Veränderungen der Grundwasserstände haben direkte Auswirkungen auf den Grundwasserzustrom in Oberflächengewässer und die Versorgung der Vegetation mit Wasser an grundwassernahen Standorten […] Ernteausfälle, technische Probleme der Wasserversorgung, extrem tiefe Wasserstände in Oberflächengewässern (bis hin zum Trockenfallen) und nicht zuletzt das weiträumige Absterben ganzer Baumarten" sind bereits zu beobachten. Das Helmholtz-Zentrum zeigt in seinem Dürremonitor, dass in ganz Deutschland extreme Trockenheit in den letzten Jahren stark zugenommen hat. 

Nationales Wasserhaushaltsgesetz: "Grundwasser sind nicht eigentumsfähig”

Coca-Cola dementierte langfristige Auswirkungen seiner Brunnen - die entnommene Menge sei zu gering, um wirklich ins Gewicht zu fallen. Außerdem stamme das Wasser aus über 150 Meter Tiefe und habe somit kaum Auswirkungen auf höhere Schichten. Steffen Türk betont: "Der Schutz und der verantwortungsvolle Umgang mit der Ressource sind uns besonders wichtig und gehören zu den Schwerpunkten unseres Umweltmanagements." Zudem will der weltgrößte Limonadenhersteller am Standort Lüneburg weiter wachsen. Dafür sei man auf den dritten Brunnen angewiesen.

Laut Wasserbehörde stehen im betroffenen Reservoir nach Abzug aller genehmigten Entnahmen noch 5,9 Millionen m³ Wasser pro Jahr zur Verfügung, das 17-fache der von Coca-Cola beantragten Menge. Zum Vergleich: die Stadt Lüneburg verbrauchte 2019 insgesamt etwa 7,5 Mio. m³ Grundwasser - was etwa 3000 Schwimmbädern entspricht. Die Vereinigung der regionalen Landwirte (DFL) plant jährlich 8000 Schwimmbäder Wasser für die Feldberegnung zu verwenden. Die Landwirtschaft wird oft auch verantwortlich gemacht für Schadstoffe im Grundwasser.

Wald und Landwirtschaft leiden als erste bei TrockenheitBild: DW/K. Jäger

Die Bürgerinitiative kritisiert am Genehmigungsverfahren für den dritten Brunnen, dass das Land Niedersachsen in seinen Wassergesetzen (NWG) auf veraltete Daten zurückgreift. Bisher orientiert man sich an den durchschnittlichen Niederschlägen der Jahre 1961-1990, also ohne Berücksichtigung der zunehmenden Trockenheit seit 2011 und insbesondere 2018. Hier lenkte das Umweltministerium ein: Wie der Landkreis im Juli mitteilte, werden Niedersachsens Regelungen zur Wasserwirtschaft ab 2022 auf Klimamodelldaten für 2021-2050 basieren. 

Grundsätzlich befürworten alle Parteien in Lüneburg einen nachhaltigen Umgang mit Grundwasser. Im Kreistag konnte man sich im Herbst 2020 mehrheitlich darauf einigen, ein Wassermanagementkonzept für den Landkreis zu erstellen. Dieses stellt Anpassung an die Folgen der Klimakrise in den Fokus und betont beispielsweise den Vorrang der Trinkwasserversorgung. Abgesehen davon stand auch die Forderung nach kürzeren Bewilligungszeiträumen für Wasserentnahmen im Raum, momentan sind 30 Jahre üblich. Der Landkreis hat bereits durchblicken lassen, dass es im Fall von Coca-Cola lediglich auf eine jederzeit widerrufbare Entnahmeerlaubnis hinauslaufen wird. Dass der dritte Brunnen jedoch in Betrieb genommen wird, davon gehen momentan alle aus - jetzt geht es um die Rahmenbedingungen.

Warum unsere wertvollste Ressource knapp wird

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Wird es in Lüneburg je zu einer ähnlich dramatischen Situation wie in Vittel kommen? Wohl eher nicht. Sowohl Landesgesetze als auch die Nationale Wasserstragie von Bundesumweltministerin Svenja Schulze stellen klar, dass öffentliche Trinkwasserversorgung Priorität hat.  Mit seinen strengen Regularien steht Deutschland vergleichsweise gut dar. In Frankreich etwa müssen bereits 90 Prozent der Kommunen ihren Wasserverbrauch drosseln. Im dürregeplagten Kalifornien erreicht man demnächst "Peak-Water", die schwindende Menge an Niederschlag kann die Reservoirs nicht mehr füllen. Gouverneur Newsom ruft dazu auf, kürzer zu duschen und Rasen nicht zu wässern; tausende Landwirte haben dieses Jahr gar kein Wasser zugewiesen bekommen. 

Aufgrund des Klimawandels werden sich Wasserkonflikte in Zukunft verschärfen. Langfristig ist das größte Risiko, mehr Wasser aus dem Boden zu holen, als sich wieder neu bilden kann. Die verfügbare Menge würde mit jedem Jahr drastisch sinken und Verteilungskämpfe weiter anfachen. Eine Lösung könnte zukünftig Wasserrecycling sein, die Aufbereitung und Wiederverwertung von Abwasser, vor allem für Industrie und Landwirtschaft. Global gesehen bleibt die Frage, wer in Zeiten der Klimakrise das erste Zugriffsrecht auf Grundwasser behält - Unternehmen oder Bürger?

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