1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Was kostet Orbans prorussische Politik?

Zsuzsanna Vegh
17. August 2022

Unbeirrt hält der ungarische Premier Viktor Orban an guten Beziehungen zu Moskau fest. Bisweilen macht er sich zum Sprachrohr des Kremls. Der Preis für Ungarn ist innen- wie außenpolitisch hoch.

Ungarn Budapest 2019 | Wladimir Putin, Präsident Russland & Viktor Orban
Der russische Präsident Wladimir Putin und Ungarns Premier Viktor Orban in Budapest am 30.10.2019Bild: Kremlin Press Office/Anadolu Agency/picture alliance

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hielt im Juli 2022 im rumänischen Karpaten-Kurort Baile Tusnad eine Rede, die für Empörung sorgte. Darin kritisierte er die Vermischung europäischer und außereuropäischer "Rassen". Dies würde seiner Ansicht nach zur Verdrängung der Völker in Westeuropa und zur Bildung "gemischter" Länder in einer "post-westlichen" Welt führen.

Es war diese an Nazi-Sprache erinnernde Terminologie, die internationale Kontroversen auslöste. Für weniger Aufregung sorgten hingegen Orbans Äußerungen über Russland und den russischen Krieg gegen die Ukraine. Doch sie verdienen mindestens genauso viel Aufmerksamkeit.

Ungarns Premier machte sich in Baile Tusnad regelrecht zum Sprachrohr des Kremls. Er griff die russischen Sicherheitsbedenken gegen eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine auf und bezeichnete sie als verständlichen, wenn auch nicht gerechtfertigten Grund für die Aggression. Er wiederholte auch die Drohungen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, Russland werde die Front weiter nach Westen verschieben.

Ignoranz gegenüber der Ukraine

Ganz unverblümt spielte Orban auf die Verantwortung des Westens, insbesondere der Vereinigten Staaten, für den Krieg an, da sie Russlands Sicherheitsbedenken ignoriert hätten, und plädierte für sofortige Friedensverhandlungen. Damit diese erfolgreich seien, sollten sie seiner Ansicht nach zwischen Russland und den Vereinigten Staaten geführt werden, da es Orban zufolge letztere seien, die auf die Bedenken Moskaus eingehen könnten.

Politikwissenschaftlerin Zsuzsanna VeghBild: Privat

Auch wenn der ungarische Ministerpräsident die russische Aggression nicht direkt entschuldigen wollte, so verleugnen doch solche Forderungen, ebenso wie die völlige Ignoranz gegenüber dem souveränen Recht der Ukraine, die Mitgliedschaft in einem Sicherheitsbündnis ihrer Wahl anzustreben, die Handlungsfähigkeit der Ukraine. Sie übernehmen damit die russische Argumentation auf Kosten genau jener Werte und internationaler Verpflichtungen, auf denen Ungarns eigene Bündnisverankerung beruht.

Veto gegen EU-Sanktionen

Dass Orban in seiner Rede das russische Narrativ bevorzugte, fügt sich nahtlos in die Handlungsweise der ungarischen Regierung seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine Ende Februar 2022 ein. Sie räumt der Aufrechterhaltung reibungsloser Beziehungen zu Moskau Priorität ein und stellt die antirussische Sanktionspolitik der EU lautstark in Frage. Im Juni etwa drohte Orbans Regierung sogar damit, ein Veto gegen die Verabschiedung des sechsten Sanktionspakets einzulegen, nur um den russischen Patriarchen Kirill von der Sanktionsliste der EU zu streichen - und das, nachdem Ungarn für sich erfolgreich eine Ausnahmeregelung beim EU-Embargo gegen russisches Öl ausgehandelt hatte.

Ungarns Außenminister Peter SzijjartoBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Während die EU dazu aufruft, die Abhängigkeit ihrer Mitgliedsländer von russischem Gas zu verringern, traf sich der ungarische Außenminister Peter Szijjarto im Juli mit seinem russischen Amtskollegen, um die Lieferung von zusätzlichen 700 Millionen Kubikmetern Erdgas für Ungarn auszuhandeln. Was das Bild trübt, ist, dass Orban bei seinem Besuch im Februar mit Putin bereits über die Lieferung von zusätzlich einer Milliarde Kubikmeter Erdgas zusätzlich zu den jährlichen 4,5 Milliarden verhandelt hatte - in der Hoffnung, noch vor der ungarischen Parlamentswahl im April 2022 eine Einigung zu erzielen. Das scheiterte.

Orbans Sozialpolitik in Gefahr

Doch vor wenigen Tagen wurde nun offenbar eine Vereinbarung erzielt. Sie scheint allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurückzubleiben. Die Ungarn zugesicherte zusätzliche Menge für August 2022 beträgt lediglich 52 Millionen Kubikmeter Erdgas. Und das, während Russland aufgrund von Beschränkungen für Lieferungen, die über Österreich nach Ungarn kommen sollen, nicht einmal die zuvor vertraglich vereinbarte Menge liefert.

Ungarns Premier Viktor Orban zu Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am 1.02.2022 in MoskauBild: Sputnik via REUTERS

Damit gerät Orbans Sozialpolitik der Deckelung von Energie- und Wohnnebenkosten für die ungarische Bevölkerung in Gefahr. Bei seinem Moskau-Besuch Anfang Februar hatte Ungarns Premier noch erklärt, dauerhaft niedrige Versorgungspreise wären gewährleistet, wenn russische Gaslieferungen gesichert seien.

Ungarn und Polen: Getrennte Wege

Nach diesen jüngsten Entwicklungen sind die Vorteile von Orbans prorussischer Haltung für Ungarn sehr fraglich. Dennoch ist es angesichts der oben aufgeführten Bilanz unwahrscheinlich, dass sich die ungarische Position gegenüber Russland wieder derjenigen der westlichen Verbündeten des Landes annähern wird. Die sind über Ungarn als Partner zunehmend frustriert. Doch abgesehen von der regelmäßigen Kritik der EU-Institutionen und der Vereinigten Staaten an Fragen der Rechtsstaatlichkeit, die Ungarn längst zum Sorgenkind der EU gemacht haben, hat die Orban-Regierung mit ihrer Haltung zu Russland sogar ihren wichtigsten Verbündeten verprellt, die polnische Regierung unter Führung der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Ungarns Premier Viktor Orban und der Parteivorsitzende der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, am 22.09.2017 in WarschauBild: Pawel Supernak/PAP/dpa/picture alliance

Laut dem polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki haben sich die Wege der beiden Länder auseinander entwickelt. Selbst Orban spricht nun davon, die ungarisch-polnische Zusammenarbeit für die Zeit nach dem Krieg aufzusparen. Die beiden anderen Mitglieder der so genannten Visegrad-Gruppe, die Slowakei und Tschechien, haben sich schon vor dem Krieg zunehmend von der ungarischen Regierung abgewandt. Ungarns prorussische Haltung hat die Differenzen mit diesen beiden Ländern noch vertieft.

Zusammenarbeit rechtsradikaler Kräfte

Das Scheitern der Beziehungen zwischen Fidesz und PiS untergräbt auch Orbans Bestreben, ein neues rechtsradikales Bündnis in der EU zu bilden. Das würde die Parteien der Europäischen Konservativen und Reformisten, angeführt von der PiS, und die Gruppe Identität und Demokratie, angeführt vom französischen Rassemblement National und der italienischen Lega, umfassen. Dennoch wird Fidesz diese Beziehungen weiter pflegen, in der Hoffnung, dass diese Parteien an die Macht kommen. Die Eröffnungsrede Orbans auf der Conservative Political Action Conference (CPAC) in Texas Anfang August, in der er seine Unterstützung für den ehemaligen Präsidenten Donald Trump und dessen Rückkehr an die Macht im Jahr 2024 zum Ausdruck brachte, zeigt, dass er sich für eine langfristige internationale Zusammenarbeit der rechtsradikalen Kräfte einsetzt.

Ungarns Premier Viktor Orban als Gastredner der Conservative Political Action Conference (CPAC) am 4.08.2022 in Dallas, TexasBild: Shelby Tauber/REUTERS

Wenn Orban jedoch alles auf eine Karte setzt, deutet das darauf hin, dass er die Beziehungen zur amtierenden amerikanischen Führung und zum europäischen Mainstream nicht verbessern will. Das lässt eine weitere Verschärfung des Konflikts mit den westlichen Verbündeten und eine frostige Zeit in den diplomatischen Beziehungen vorausahnen - in einer Zeit, in der die Einigkeit des Westens so wichtig ist wie nie zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges.

Nützlicher Spielball antiwestlicher Kräfte

Zwar steht ein Austritt aus der EU und insbesondere aus der NATO für Ungarn nach wie vor nicht an, da beides nicht im Interesse Orbans liegt. Doch seine Klagen über den Niedergang des Westens und seine wohlwollenden Gesten an die Adresse der Gegner des Westens - in erster Linie Russland, aber auch China - werden Teil des ungarischen außenpolitischen Instrumentariums bleiben, auf das sich die westlichen Partner einstellen müssen.

Doch während Orban mit dieser Vorgehensweise den Handlungsspielraum Ungarns zu vergrößern sucht, bewirkt er faktisch genau das Gegenteil: Nachdem er die Position des Landes als glaubwürdiger Partner im Westen untergraben hat, wird Ungarn durch seine Politik zu einem nützlichen Spielball von Kräften, die seine eigenen Bündnisse schwächen wollen.

Zsuzsanna Vegh ist Wissenschaftlerin an der Europa-Universität Viadrina und Gastwissenschaftlerin beim German Marshall Fund of the United States (GMF). Der Beitrag gibt ausschließlich die Meinung der Autorin wieder und nicht der Institutionen, an denen sie forscht.