Alexijewitsch: Wenig Jubel in der Heimat
9. Oktober 2015Am Ende des Tages tat er es doch. Rund sechs Stunden, nachdem das Nobelkomitee Swetlana Alexijewitsch den Literaturnobelpreis 2015 zugesprochen hatte, gratulierte auch der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko der Schriftstellerin. Er sei "aufrichtig froh" über ihren Erfolg, ließ der Staatschef über die staatliche Nachrichtenagentur "Belta" wissen. "Ich hoffe sehr, dass Ihre Auszeichnung unserem Staat und dem weißrussischen Volk dient." Mehr Lob kam von Lukaschenko nicht. Im weißrussischen Staatsfernsehen war die Nachricht aus Stockholm kein Aufmacher, sondern eine trockene Meldung.
Kein Star in der Heimat
Diese Zurückhaltung hat eine einfache Erklärung. Die Auszeichnung der 67-jährigen Alexijewitsch ist unbequem für Lukaschenko, den die Schriftstellerin regelmäßig kritisiert. Sie jetzt zu loben dürfte dem autoritär regierenden Präsidenten besonders schwerfallen. Am Sonntag will sich Lukaschenko zum fünften Mal zum Präsidenten wählen lassen.
Anders als in Westeuropa ist die Schriftstellerin in ihrer Heimat Weißrussland kein Star. Ihre Bücher werden nicht in ihrem Heimatland veröffentlicht, sie erscheinen aber in Russland und kommen so auch nach Weißrussland. Staatliche Medien ignorieren seit Jahren die Autorin, die mit gesellschaftskritischer Prosa über den sowjetischen Krieg in Afghanistan oder die Tschernobyl-Katastrophe weltberühmt wurde. Bei einer Buchmesse in der Hauptstadt Minsk im Februar 2014 bekam Alexijewitsch für die Vorstellung ihres jüngsten Werks "Secondhand-Zeit" einen so kleinen Raum, dass nur einige Dutzend Menschen hineinpassten.
Besonders viele Glückwünsche bekommt Alexijewitsch in Weißrussland von Oppositionspolitikern und Aktivisten. Sie sei bereits seit Jahren eine bedeutende Persönlichkeit in der weißrussischen Literatur, sagte Wladimir Neklajew, Dichter und ehemaliger Präsidentschaftskandidat.
Glückwünsche von der Opposition
Ein anderer ehemaliger Präsidentschaftskandidat, Alexej Milinkewitsch, gratulierte in seinem Blog. "Es ist eine Auszeichnung für alle Weißrussen, die guten Willens sind, für die weißrussische Literatur und die weißrussische Nation", schrieb er.
Der Leiter des weißrussischen Menschenrechtszentrums "Vesna" (Frühling), Ales Beljatzki, sprach von einem Schlüsselereignis für die weißrussische Literatur. Obwohl Alexijewitsch auf Russisch schreibe, sei sie eine weißrussische Schriftstellerin. "Sie schreibt tolle Bücher über das Leben der Weißrussen in den letzten Jahrzehnten, sie befindet sich in einer moralischen Opposition zu Lukaschenko und hat ihn wegen seines Autoritarismus kritisiert", sagte Beljatzki, der drei Jahre lang im Gefängnis saß und von Menschenrechtsorganisationen als politischer Häftling eingestuft wurde.
In sozialen Netzwerken sind die Reaktionen gemischt. Die einen freuen sich, dass zum ersten Mal eine Weißrussin den Literaturnobelpreis bekommen hat. Die anderen kritisieren Alexijewitsch wegen ihrer Haltung zur weißrussischen Sprache. In einem FAZ-Interview aus dem Jahr 2013 soll sie die weißrussische Sprache als "bäuerlich und literarisch unreif" beschrieben haben. Alexijewitsch sagte später, sie habe nichts dergleichen gesagt und man habe sie missverstanden.