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Kohle als schmutzige Notlösung

20. Juni 2022

Auch wenn weniger Gas aus Russland kommt, sollen die deutschen Gasspeicher bis zum Winter gefüllt sein. Die Lösung: Gas soll nicht mehr der Stromproduktion dienen. Die Alternative: klimaschädliche Braun- und Steinkohle.

Deutschland Braunkohlekraftwerk Neurath
Bild: blickwinkel/S. Ziese/dpa/picture alliance

Es sei eine "Art Armdrücken", bei dem Kremlchef Wladimir Putin zunächst den längeren Arm habe, sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Bezug auf die Versorgungssituation mit Gas in Deutschland. "Aber das hießt nicht, dass wir nicht durch Kraftanstrengung den stärkeren Arm bekommen könnten", so Habeck. Wie lange befürchtet, fließt inzwischen erheblich weniger Gas aus Russland nach Deutschland.

Solche Kraftanstrengungen werden nun ganz schnell in die Wege geleitet. Oberstes Ziel dabei ist, dass die Gasspeicher bis zur kalten Jahreszeit weiter aufgefüllt werden. Derzeit liegt der Füllstand bei 57 Prozent, bis zum 1. Oktober soll er bei 80 Prozent und bis Anfang November bei 90 Prozent liegen. Um die Speicher trotz geringerer Gaszufuhr weiter füllen zu können, muss der Gasverbrauch reduziert werden.

Die Anlage des Erdgasspeichers der Astora GmbH in Rehden ist der größte Speicher in WesteuropaBild: Mohssen Assanimoghaddam/dpa/picture alliance

Mehr Strom aus Braun- und Steinkohle

Noch wird rund 16 Prozent des Stroms in Deutschland in Gaskraftwerken produziert. Das ließe sich kurzfristig ändern. Zwar können erneuerbare Energien, mit denen rund 42 Prozent des Stroms erzeugt wird, nicht schnell ausgebaut werden, aber die Stromerzeugung in Braun- und Steinkohlekraftwerken ließe sich hochfahren. Zur Stromgewinnung sind derzeit noch 151 Kohle-Kraftwerksblöcke in Deutschland am Netz.

Das Aus für den Ausstieg aus der Kohle soll das jedoch nicht sein. Erst vor zwei Jahren hatte die deutsche Regierung festgelegt, dass bis 2038 Schluss sein soll mit Kohlekraftwerken. Inzwischen wird sogar ein früherer Ausstieg aus der Kohle bis 2030 angepeilt. Auch wenn nun kurzfristig mehr Kohle verfeuert werden soll, will Habeck an beiden Zielen festhalten.

Vorerst sollen nun aber Kohlekraftwerke genutzt werden, die zur Zeit nur eingeschränkt verfügbar sind, eigentlich demnächst stillgelegt werden sollten oder sich in einer Reserve befinden. Die Regierung will beispielsweise, dass die sogenannte Netzreserve, also Kraftwerke, die eigentlich für Notfälle vorgesehen sind und nicht Teil des regulären Strommarktes, jetzt Strom produzieren.

Auch die letzte Reserve, die sogenannte Sicherheitsbereitschaft, kann aktiviert werden. Gemeint sind die Braunkohlekraftwerke, die als bis zu ihrer endgültigen Stilllegung noch als letzte Absicherung der Stromversorgung dienen. Braunkohle gilt wegen ihres schlechten Brennwerts als noch deutlich klimaschädlicher als Steinkohle. 

Kohlekraftwerke haben pro erzeugter Kilowattstunde die höchsten CO2-Emissionen von allen gebräuchlichen KraftwerkstypenBild: picture-alliance/imagebroker/R. Oberhäuser

Nur vorübergehend schmutzige Stromproduktion

Die in Reserve stehenden Braunkohle-Kraftwerke könnten in einem relativ überschaubaren Zeitraum wieder angefahren werden, sagte die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae, am Montag im ARD-Morgenmagazin. Bei Steinkohlekraftwerken gehe es auch, aber dafür müsste diese importiert werden, so Andreae.

Ende 2018 wurde hierzulande der Betrieb des letzten Steinkohlebergwerks eingestellt. Im vergangenen Jahr kam noch über die Hälfte der in Deutschland gebrauchten Steinkohle aus Russland. Die russische Kohle ließe sich aber mühelos ersetzten, sagte Alexander Bethe vom Verein der Steinkohleimporteure gegenüber dem ZDF. Braunkohle wird dagegen noch in Deutschland abgebaut.

Auf riesigen Flächen - wie hier in Garzweiler bei Köln - wird in Deutschland noch Braunkohle abgebautBild: Mircea Gherase

Mehr Strom aus Kohle - das soll es nur bei März 2024 geben, laut einem Gesetzentwurf. Während Deutschland vor dem Ukraine-Krieg 55 Prozent seines Gases aus Russland bezog, sind es derzeit nur noch 35 Prozent und bis Sommer 2024 soll die Abhängigkeit auf zehn Prozent reduziert sein.

Strom aus Kohle statt aus Gas ist allerdings teilweise problematisch, weil manche Gaskraftwerke nicht nur Strom produzieren, sondern auch Wärme, die über Wärmenetze an Endverbraucher gehen.

Atomkraft keine Alternative

Den Ausstieg aus der Atomkraft aufzuschieben oder ganz zurückzufahren und die drei noch laufenden Atomkraftwerke einfach länger Strom produzieren zu lassen, ist aber keine Alternative. Das hat eine Prüfung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und des Bundesministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz ergeben. Auch der Vorstandschef des Essener Energiekonzerns RWE, Markus Krebber, schloss ein Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke in Deutschland über Ende 2022 hinaus aus.

Der Atomausstieg ist beschlossen. Einige Kraftwerke, wie dieses in Mühlheim-Kärlich, werden bereits rückgebautBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Weitere Maßnahmen

Neben der Rückbesinnung auf die Kohle hat Habeck aber weitere Ideen in den Markt geschmissen. So könnte ein Gas-Auktionsmodell eingeführt werden. Das soll der Industrie finanzielle Anreize geben, weniger Gas zu verbrauchen. Denn Gas ist nicht nur fürs Heizen von Wohnungen wichtig, sondern auch in der Industrie, als Rohstoff für die Produktion und zur Energieerzeugung. Der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Karl Haeusgen, befürwortet einen solchen Anreizmechanismus. "Dies steuert die Reduzierung dorthin, wo der geringste Schaden entsteht", so Haeusgen.

Zudem hat die Regierung sich bereits bemüht, Gas aus anderen Staaten zu kaufenund hat begonnen, eigene Spezial-Häfen zu bauen, über die Flüssiggas importiert werden kann. Und nicht zuletzt könnten auch die Privatverbraucher einiges einsparen, wenn sie ihre Heizungen zu Hause ein paar Grad runter drehen.

Wirtschaftsminister Habeck hat also einige Ideen, wie er seine Muskeln für das Armdrücken mit Russland stärken könnte. Allerdings hat Russland noch nicht seine ganze Kraft eingesetzt, denn noch fließt ja Gas durch die Pipelines, wenn auch nicht in den bisher üblichen Mengen. 

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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