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Gesellschaft

Weniger Hinrichtungen - mehr Todesurteile

Maximiliane Koschyk
11. April 2017

Noch immer sterben jährlich tausende Menschen durch die Todesstrafe, meldet Amnesty International. Die USA planen derzeit mehrere Hinrichtungen im Schnellverfahren. Der Grund: ein Haltbarkeitsdatum.

USA Todeszelle Todesstrafe Giftspritze
Bild: picture-alliance/dpa/P. Buck

Seit fast 20 Jahren sitzt der US-Amerikaner Jason McGehee im Bundesstaat Arkansas im Gefängnis. Er hatte einen Jungen entführt und ermordet. Ein Verbrechen, auf das in den Vereinigten Staaten die Todesstrafe steht. Ende dieses Monats hätte dieses Urteil nun vollstreckt werden sollen. Doch vergangene Woche setzte ein Bundesrichter die Vollstreckung kurzfristig aus.

McGehee ist nur einer von acht Männern in Arkansas, die ursprünglich noch vor dem 1. Mai hingerichtet werden sollten. Denn Ende April läuft das Haltbarkeitsdatum des Betäubungsmittels der Giftspritze ab. Für die Justizbehörde in Arkansas ist es eine praktische Entscheidung, weil sie ihr Reserven aufbrauchen möchte, bevor sie verfallen. Der Ausgang ist weiter offen.

So wie McGehee warteten zum 31. Dezember 2016 mindestens 18.848 Menschen im Gefängnis auf den Tod - durch die Giftspritze, Erhängen, Enthaupten oder Erschießen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr mindestens 1031 Menschen von Staaten hingerichtet. Diese Zahlen meldet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht. Das ist mehr als ein Drittel weniger als noch im Vorjahr. Da waren es allerdings so viele wie in 25 Jahren nicht.

Chinas Dunkelziffer

Amnesty International veröffentlicht jährlich Statistiken zur Todesstrafe, die bis heute in nur 104 von 198 Ländern vollständig abgeschafft ist. Besonders schwer ist es, die Zahlen für die Volksrepublik China zu verifizieren. Für Chinas Regierung sind Hinrichtungen ein Staatsgeheimnis. Die öffentlichen Statistiken gelten allerdings als stark geschönt.

Die chinesische Regierung versuche so zu tun, als sei sie da sehr transparent, kritisiert  Amnesty International. "Das ist sie definitiv nicht", sagt Alexander Bojčević von der Menschenrechtsorganisation. "Wir gehen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus." Wie in den Jahren zuvor habe China vermutlich auch 2016 mehr Menschen hingerichtet als der Rest der Welt zusammen.

China ist nicht das einzige Land, das seinen tödlichen Justizvollzug verschweigt. Erstmals wurden Anfang 2017 Informationen öffentlich, denen zufolge die Zahl der Hinrichtungen in Vietnam viel höher ist als bislang angenommen wurde. So seien in den vergangenen drei Jahren über 400 Menschen hingerichtet worden.

Amnesty International zufolge gibt es noch andere traurige Tendenzen: 2016 wurden im Iran Todesurteile an zwei zur Tatzeit Minderjährigen vollstreckt. "Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen sieht ganz klar vor, dass zur Tatzeit unter 18-Jährige nicht mit dem Tod bestraft werden", sagt Bojčević. Der Iran ist Mitglied dieses Übereinkommens und dürfe entsprechend nicht so handeln. "Er tut das unter Verletzung seiner völkerrechtlichen Verpflichtung."

Rückfälle und Ausstiege

Auch wenn die Zahl der Länder, die die Todesstrafe abschaffen oder zumindest nicht mehr praktizieren steigt, gibt es immer wieder Staaten, die rückfällig werden. "Es ist ja leider nicht so selten, dass Staaten, die ein paar Jahre keine Hinrichtung durchgeführt haben, dann wieder damit anfangen", sagt Bojčević. In Belarus, Botswana und palästinensischen Gebieten wurden Amnesty International zufolge nach längerer Unterbrechung erstmals wieder Menschen hingerichtet.

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 3117 Todesurteile verhängt, 1119 mehr als noch im Jahr zuvor. Allein in Nigeria verdreifachte sich die Zahl der Todesurteile im vergangenen Jahr. Auch in anderen afrikanischen Ländern wie Kamerun, Sambia und Somalia verzeichnet die Organisation einen Anstieg an Verurteilungen.

Doch es gebe Amnesty International zufolge auch immer mehr Länder, die sich gegen die Todesstrafe entscheiden. Seit 2016 gehören das westafrikanische Benin und der Pazifikstaat Nauru dazu - und ein weiterer US-Bundesstaat: Delaware.

Eine umstrittene Spritze

In Arkansas sorgt nun das Haltbarkeitsdatum einer Giftspritze zumindest im Fall von Jason McGehee für einen kurzen Gewinn im Wettlauf mit der Zeit. Auch die sieben weiteren Insassen bemühen sich um eine Anhörung. Denn der Schritt ist kontrovers. Hinrichtungen dieser Größenordnung hatte es in den USA seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 nur einmal im Bundesstaat Texas gegeben.

Sollten alle Verurteilten ihr Wettrennen gegen das Verfallsdatum gewinnen, könnte es schwierig werden, das Urteil überhaupt noch zu vollstrecken. Das für die Hinrichtung benötigte Betäubungsmittel Midazolam ist umstritten: Eigentlich soll es den Verurteilten einen möglichst würdevollen Tod ermöglichen. Doch das Gegenteil war unter anderem bei dem 2014 verurteilten Mörder Clayton Lockett der Fall. Nachdem man ihm erst Midazolam und dann ein tödliches Gift spritzte, dauerte es noch 43 Minuten bis Lockett unter großen Qualen starb. 

Während Gegner der Todesstrafe in den USA für die Abschaffung kämpfen, machen Einfuhrbestimmungen den Befürwortern die Umsetzung schwer. Lange Zeit hatten europäische Hersteller die US-Behörden versorgt. Doch seit 2011 ist die Ausfuhr des Betäubungsmittels für die gesamte Europäische Union untersagt. So kommt es, dass die USA auch aufgrund von Lieferengpässen in diesem Jahr zum ersten Mal seit 2006 nicht unter den fünf Staaten mit den meisten Hinrichtungen weltweit rangieren.