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Politik

Weniger Meinungsfreiheit in Social Media?

Kay-Alexander Scholz
19. Juni 2017

Der Einfluss der Bundesregierung auf Social-Media-Giganten aus den USA ist beschränkt, auch im Kampf gegen Hate Speech. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll das ändern. Es könnte aber Kollateralschäden verursachen.

BdT Facebook
Bild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

"Wie viel müssen wir als Gesellschaft aushalten, um Meinungsfreiheit zu ermöglichen?", fragte Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Interessenverbandes Bitkom, kürzlich bei einer Diskussion über das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Er warnt vor dem Gesetz, dessen Entwurf an diesem Montag im Rechtsausschuss des Bundestages debattiert wird. Kritiker bemängeln, es sei eine "Lex Facebook". Auch wenn sie Twitter oder Instagram gleichermaßen betreffe, weil alle sozialen Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Usern darunter fielen.

Gesetz will "Hate Speech" und "Fake News" bekämpfen

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will mit dem Gesetz große Soziale Netzwerke verpflichten, regelmäßig über ihren Umgang mit "Hasskriminalität und anderen strafbaren Inhalte" sowie Fake News zu berichten.

Binnen 24 Stunden sollen die Netzwerkbetreiber gemeldete Hasskommentare mit einem offensichtlich rechtswidrigen Inhalt löschen. Für andere rechtswidrige Inhalte gibt es eine Löschfrist von sieben Tagen. Entscheiden sollen die Betreiber selbst, was gelöscht werden muss. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu fünf Millionen Euro, bei Wiederholungen sogar bis 50 Millionen Euro. Außerdem werden ein "wirksames Beschwerdemanagement" und ein "inländischer" Ansprechpartner vorgeschrieben.

Der Widerstand der Netzwerk-Betreiber ist groß. Letztendlich geht es auch um ihr Geschäftsmodell. Viele Nutzer bringen viele Werbekunden - die User und ihre Daten sind die Ware im Netz.

Bundesjustizminister Heiko Maas: Scharfe Kritik an seinem Netzwerk-Gesetz Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Vorauseilende Zensur?

Der Branchenverband Bitkom hat darum ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das festhält: "Sowohl Hasskriminalität als auch Falschnachrichten sind keine eigenen Rechtsbegriffe. Vielmehr beschreiben sie Phänomene unlauterer dissozialer, teilweise aber auch nicht strafbarer Kommunikation."

Als "andere strafbare Inhalte" führt der Gesetzentwurf unter fast zwei Dutzend "Delikten" auch eine "Verunglimpfung des Staates, seiner Symbole oder des Bundespräsidenten" auf. Dieser Punkt, warnt Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, könne anderen, weniger demokratischen Staaten als Blaupause dienen, gegen Meinungsfreiheit vorzugehen. Denn insbesondere Meinungsfreiheit garantiert auch das Recht auf Kritik an Regierungen.

Die Bitkom-Gutachter Karl-Heinz Ladeur und Tobias Gostomzyk befürchten, dass Facebook & Co. bei Beschwerden künftig voreilig Kommentare löschen, um einer Millionenstrafe zu entgehen. "Overblocking" lautet der Fachbegriff. Andere sprechen von einem Chilling Effect, also Abschreckung, und der Bonner Jurist Daniel Zimmer schreibt in der "Frankfurter Allgemeinem Zeitung" von einem "(Fehl-)Anreiz zur großzügigen Löschung".

Parteiübergreifende Kritik

Quer durch alle Parteien steht der Entwurf unter Beschuss. Tenor: Privatunternehmen entschieden künftig über Meinungsfreiheit und gefährdeten sie möglicherweise - die bestehenden Gesetze reichten aus. "Heiko Maas hat - zum wiederholten Male - handwerklich nicht sauber gearbeitet und ein unausgereiftes Gesetz vorgelegt", kritisiert Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz.

Die CSU-Abgeordnete Iris Eberl hat zwei Gutachten beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages bestellt. Ergebnis: Das Gesetz greife ungerechtfertigt in die Meinungsfreiheit ein. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland kündigte an, der AfD-Bundesvorstand werde Verfassungsbeschwerde einreichen, sollte das Gesetz beschlossen werden.

Die EU meint einen besseren Weg gefunden zu haben, gegen Falschmeldungen vorgehen zu könnenBild: picture-alliance/dpa/F. Gabbert

EU-Kommission für freiwillige Vereinbarung

In die Riege der Kritiker eingereiht haben sich auch der Bundesrat, der UN-Beauftragte für Meinungsfreiheit und die EU-Antisemitismusbeauftragte. Man habe auf der europäischen Ebene einen anderen Ansatz gegen illegale Hate Speech gewählt, sagte Katharina von Schnurbein, EU-Antisemitismusbeauftragte, gegenüber der DW. 

Vor einem Jahr hat die EU-Kommission mit den Social Media einen Code of Conduct vereinbart. Die Unternehmen verpflichten sich darin, entsprechende Postings zu überprüfen und gegebenenfalls innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu löschen. Mehr als 30 zivilgesellschaftliche Organisationen kontrollieren die Einhaltung. Damit werde der Meinungsfreiheit besser Rechnung getragen, so von Schnurbein. 

Ein Bericht der EU-Kommissarin für Justiz, Vera Jourova, bilanziert einen "signifikanten Fortschritt". Das Beschwerdemanagement und das Personal sowie die Kooperation mit der Zivilgesellschaft seien besser geworden. Facebook zum Beispiel habe den Anteil an gelöschten Postings innerhalb von sechs Monaten verdoppelt, auf rund 66 Prozent.

UN-Beauftragter für Meinungsfreiheit besorgt

Das Prüfen von Rechtswidrigkeiten in sozialen Netzwerken, argumentiert der Bundesrat in einer Stellungnahme, sei Sache von Polizei und Gerichten. Die Länderkammer regt zudem eine Cleraringstelle an, bei der sich Betroffene beschweren könnten, wenn eine Äußerung gelöscht wurde, die ihrer Meinung nach nicht rechtswidrig war.

Der UN-Beauftragte für Meinungsfreiheit, David Kaye, fordert in einer Anfrage an die Bundesregierung, zu prüfen, ob das Gesetz die Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatheit, also internationale Menschenrechte, nicht einschränke. Kaye bezweifelt, dass die Unternehmen den möglichen Kontext eines Posts angemessen berücksichtigten. Vorauseilende Zensur würde mit dem internationalen Recht kollidieren, uneingeschränkten Zugang zu allen Meinungen im Internet zu bekommen. Kritisch sieht Kaye auch, dass Eingriffe in die Posts das Recht auf Anonymität tangierten.

Allianz für das Gesetz: Fraktionschefs von Union und SPD, Volker Kauder (links) und Thomas Oppermann (rechts)Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Erst Rechtsausschuss, dann Plenum des Bundestags

Am Montag wird der Rechtsausschuss des Bundestag Experten anhören. Die Ausschussvorsitzende Renate Künast von den Grünen hat ihre Position zu dem Gesetzentwurf bereits klargestellt: "Alles Stückwerk, großes Durcheinander." Nun will das Justizministerium einen abgemilderten Entwurf vorlegen: Mit mehr Spielraum bei der Siebentagesfrist und einer vorsichtigeren Grenze bei Bußgeldern, die erst bei systematischem Versagen der sozialen Netzwerke fällig werden sollen.

Die beiden Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD, Volker Kauder und Thomas Oppermann, wollten das Gesetz angeblich mit aller Gewalt durchs Parlament bringen. So kam der Beschluss des Kabinetts im April, die erste Lesung im Bundestag war im Mai, die geplante Verabschiedung soll noch im Juni sein. Kauder argumentiert, die Plattformen seien schon seit langem verpflichtet, gemeldete rechtswidrige Inhalte zu löschen. Doch die bisherige Löschpraxis sei "absolut unbefriedigend". Auch die vom Justizminister eingerichtete Task-Force hatte wenig Erfolg.

Nun rennt die Zeit. Gibt es bis Ende Juni keine Einigung, landet der Entwurf im Papierkorb. Denn dann gäbe es wegen der parlamentarischen Sommerpause in dieser Legislaturperiode keine Sitzung mehr. Viele Kritiker wären sicher erleichtert.

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