Sex in Langzeitbeziehungen: wenig, weniger, gar nicht?
11. Oktober 2025
"Sex? Haben wir vielleicht alle paar Monate mal" – so oder so ähnlich klingen gar nicht wenige, vornehmlich männliche Bekannte in meiner Umgebung. Die, die seit vielen Jahren in einer Partnerschaft sind, Kinder und stabiles Leben haben, aber auch frustriert sind.
Am Anfang, das erzählen auch alle, loderte das Feuer der Leidenschaft ungezügelt. Die Lust trieb all diese Paare ständig in die Betten. Aus den enttäuschten Erzählungen lässt sich schließen, dass sie dachten, das würde ewig so weitergehen.
Tatsächlich aber ist es normal, dass das sexuelle Verlangen nach ein, zwei Jahren Partnerschaft nachlässt, sagt die Psychologin und Psychotherapeutin Andrea Seiferth. Sie ist in ihrer Praxis in Hamburg auch als Paartherapeutin tätig.
Verantwortlich dafür sei ein sich verändernder Hormoncocktail. Der sorgt zu Beginn einer Beziehung für den unbändigen "sex drive" und im weiteren Verlauf für mehr Bindung. Oxytozin, das sogenannte "Kuschelhormon" gewinnt dann die Oberhand. "Die Bindungshormone dämpfen die Sexualhormone und das Verlangen und die Frequenz gehen runter", sagt Seiferth. "Das muss man einfach wissen als Paar", sagt Seiferth.
Aber die Frage ist, ergänzt die Paartherapeutin, was macht man jetzt damit? "Und was macht man mit der Situation der Frau, die scheinbar noch mehr Libido verliert?"
Vor allem brauche es Kommunikation, sagt Seiferth. Was mag ich? Was magst du? Was genießen wir beide? Damit so ein Gespräch gelingt, ist es wichtig, die eigene Sexualität zu verstehen. Bestimmte Erfahrungen, positive wie negative, können einen enormen Einfluss auf das Lustempfinden haben - vor allem auf das der Frau.
Sind Frauen wirklich das Problem?
Dr. Meredith Chivers ist Professorin am Institut für Psychologie und am Centre for Neuroscience der Queens University in Kingston, Kanada. Als Direktorin des Sexuality and Gender Labs forscht sie unter anderem zur Sexualität von Frauen.
Die funktioniert anders als die der Männer. Chivers Untersuchungen ergaben, dass Frauen messbar körperlich erregt sein können, ohne sich erregt zu fühlen.
Heißt: Nur weil die Vulva einer Frau feucht wird (Lubrikation), bedeutet das nicht, dass sie auch Lust empfindet. "Wir haben beobachtet, dass Frauen auf eine ganze Reihe von sexuellen Reizen, die absolut unerwünscht und ungewollt sind, mit einer deutlichen körperlichen sexuellen Reaktion reagieren. Zum Beispiel Darstellungen von sexueller Nötigung", sagt Chivers.
Grund für diesen körperlichen Automatismus, so die Forscherin, sei die Schutzfunktion, die die Lubrikation hat: Vergewaltigungen richten dann weniger Schaden an – so furchtbar das klingt.
Die Unstimmigkeit zwischen körperlicher und empfundener sexueller Erregung ist bei heterosexuellen Frauen besonders stark ausgeprägt, fand Chivers heraus. Nicht nur bei Männern ist die Überlappung physischen und psychischen Lustempfindens viel größer, sondern auch bei queeren Frauen.
Daraus leitet Chivers eine Vermutung ab: Was Frauen Erregung spüren lässt und was nicht, hängt mit den Erfahrungen zusammen, die Frauen mit bestimmten sexuellen Reizen gemacht haben. Die Entkopplung zwischen körperlicher und empfundener sexueller Erregung ist weniger eine Frage der weiblichen Biologie als vielmehr der sexuellen Entwicklungsgeschichte der Frauen.
"Geschlechterrollen von klein auf, negative Botschaften über den Körper, bis hin zu Erfahrungen mit Schmerz und Gewalt. All diese Faktoren trennen vor allem Frauen von ihren physiologischen Reaktionen", sagt die Psychologin. Zudem sei es gerade in heterosexuellen Beziehungen nach wie vor so, dass die Lust und Befriedigung der Frau nicht im Zentrum stehe.
Davon erzählt auch der sogenannte Gender Orgasm Gap – also die Orgasmus-Lücke zwischen den Geschlechtern. In einem Forschungsüberblick von 2022 heißt es, dass zwischen 30 und 60 Prozent der Frauen beim Heterosex zum Höhepunkt kommen. Bei den Männern sind es 70 bis 100 Prozent.
Sex für mehr Zufriedenheit in der Partnerschaft
Für Paare, deren Beziehung sich nach dem anfänglichen Feuerwerk der Leidenschaft vertieft, kann es zum Problem werden, wenn die Frau dauerhaft zu wenig auf ihre Kosten kommt. Laut einer Studie der Psychologin und Sexualwissenschaftlerin Natalie Rosen führen unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse dazu, dass Sex ein immer belastenderes Thema wird und die Libido flöten geht.
Umgekehrt, so heißt es in der Untersuchung weiter, führt die Befriedigung sexueller Bedürfnisse innerhalb einer Partnerschaft sowohl zu einem größeren sexuellen Verlangen als auch einer größeren Zufriedenheit mit der Beziehung selbst.
Paare, die nicht miteinander reden laufen Gefahr, ihr einmal einstudiertes Sex-Programm immer und immer wieder abzuspielen. "Es sind häufig die Frauen, denen langweilig wird", sagt Seiferth.
Was hilft bei Beziehungen ohne Sex?
"Gerade für Frauen ist es wichtig, wie sie sich insgesamt in der Beziehung fühlen", sagt Seiferth. Fehle das Gefühl, gesehen und wertgeschätzt zu werden, leide darunter häufig auch die Sexualität des Paares. "Vor allem Frauen brauchen hier viel Mut, sich mit ihren Bedürfnissen zu zeigen und auch zu dem zu stehen, was Sie nicht möchten."
Viele Paare, deren Sexleben eingeschlafen ist und die in Seiferths Praxis kommen, berühren sich im Alltag kaum oder nur mit automatisierter Routine. Keine langen Umarmungen, kein Knutschen, keine flüchtigen Berührungen im Alltag. "Und dann ist Wochenende und da soll dann Sex stattfinden. Das fühlt sich dann an wie ein Sprung vom Zehnmeterturm", sagt Seiferth.
Neben einer offenen Kommunikation sei deshalb bewusste körperliche Zuwendung wichtig. Die hat weniger mit Sex zu tun als damit, die Bindung des Paares zu stärken. Für andere Paare sei Autonomie der Schlüssel zu mehr Leidenschaft. "Manchmal ist Abstand wichtig und dass jeder etwas spannendes Neues erlebt", sagt Seiferth.
Die Lust, die völlig überschätzt wird
Oft stellen sich Lust, Genuss und Aufregung während des Vorspiels durch Berührungen und Küsse ein. "Wenn ich nur dann Sex habe, wenn mich die Lust überkommt, dann kann ich lange warten", sagt die Paartherapeutin. Das war vielleicht am Anfang so. Jetzt gilt es, zwischen Kinderbetreuung, Meetings und Wäschebergen stressfreie Zeiten und Räume zu schaffen, um "eine spielerische intime Kultur miteinander zu entwickeln, wo Sex kein Muss ist, aber doch auch eine dem Paar gemäße Priorität erfährt."
Denn nicht nur Sex stärkt die Paarbeziehung, sondern auch die Zeit, die sich das Paar danach noch füreinander nimmt: Paare, die nach dem Sex kuscheln und füreinander da sind, stärken Gefühle von Nähe, Vertrauen und Zuneigung. Laut einer Studie der Psychologin Amy Muise sind solche Paare zufriedener mit ihrer Beziehung und fühlen sich sexuell befriedigter. Das gilt besonders für Frauen.