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Politik

Wenn Außenpolitik weiblich wird

Miodrag Soric
21. Dezember 2021

Mit Annalena Baerbock hat Deutschland zum ersten Mal eine Außenministerin. Sie will laut Koalitionsvertrag eine "feministische Außenpolitik" verfolgen. Doch die Meinungen, was das konkret bedeutet, gehen auseinander.  

Schweden Stockholm | Anniken Scharning Huitfeldt und Annalena Baerbock beim Treffen der "Stockholm Initiative"
Austausch zwischen Außenministerinnen: Anniken Scharning Huitfeldt aus Norwegen und die Deutsche Annalena BaerbockBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die schwedische Sozialdemokratin Margot Wallström forderte 2014 weltweit gleiche Rechte für Frauen. Sie verlangte, dass Frauen gleichermaßen repräsentiert sein müssen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Zugang haben müssen zu Ressourcen. Zu diesem Zeitpunkt wurde sie gerade zur Außenministerin ernannt. Die Folge: Sie förderte Frauen im Regierungsapparat, gewährte Mittel für feministische Projekte im Ausland. "Feministische Außenpolitik" wurde Teil von Schwedens Regierungspolitik. Dieser Ansatz fand Anklang in anderen Ländern, etwa in Kanada oder in den Niederlanden.  

Jetzt auch in Deutschland?

Hierzulande gehört die Feministin und Aktivistin Kristina Lunz zu den ersten, die sich mit dem Thema ausführlich beschäftigte. Sie gründete mit anderen das Berliner "Centre for Feminist Foreign Policy". Sie beraten, forschen, machen Vorschläge für eine andere Außen- und Sicherheitspolitik. "Feminismus versucht Strukturen, die auf Gewalt setzen, zu zerschlagen", sagt sie im Gespräch mit der DW. Als Beispiel führt sie den Kampf gegen Terrorismus an. 90 Prozent der weltweit operierenden Terroristen seien Männer. Das liege unter anderem daran, dass die Gesellschaft aggressives Verhalten von Jungen akzeptiert. Mädchen hingegen würden oft so erzogen, dass sie sich zurückzuhalten haben. Diese "patriarchalischen Strukturen" trügen dazu bei, dass die meisten Terroristen Männer seien.

Ist Terrorismus männlich? Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 war es soBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Das Muster ist auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zu erkennen, die immer noch überwiegend durch Männer geprägt wird und nach Ansicht von Kristina Lunz zu oft auf Gewalt setzt. Staaten würden aufrüsten, um gegebenenfalls auch mit Gewalt präventiv gegen Terroristen vorzugehen. Das widerspricht feministischer Außenpolitik, die auf eine friedliche Konfliktlösung setzt. Atombomben auf deutschem Boden lehnt Kristina Lunz ab.   

Zwei Denkschulen

Professor Carlo Masalla, der an der Universität der Bundeswehr in München Internationale Politik unterrichtet, warnt vor einseitigen Schritten beim Thema Abrüstung. Gäben westliche Staaten, darunter auch Deutschland, weniger Geld für Verteidigung aus, würde Russland dies als Schwäche auslegen und keinesfalls selbst abrüsten, sagte er dem deutschen Auslandsender. Das Konzept feministischer Außenpolitik hält er nicht für klar umrissen. Selbst ihre Anhänger seien sich uneins. Es gebe jene, die - wie er es formuliert - eine "Maximalversion" vertreten und eine "realistische Schule". Die einen wollten um jeden Preis eine friedliche, friedfertige, an Utopien ausgerichtete Außenpolitik; den anderen gehe es vor allem darum, Frauen zu fördern in Diplomatie, beim Militär sowie in der Zivilgesellschaft, die sich mit Außen- und Sicherheitspolitik beschäftigt.  

Feministische Außenpolitik setzt auf Abrüstung - Protest gegen die Auflösung des INF-Vertrages zum Verbot von Mittelstreckensystemen (Archivbild)Bild: Imago Images/epd/C. Ditsch

Vorbild Kosovo

Pragmatisch zeigt sich die Grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon. Feministische Außenpolitik solle Frauen ins Zentrum von Verhandlungen stellen, sagte sie der DW. Anliegen von Frauen, die gesellschaftlich relevant sind, gelte es stärker als bisher zu betonen. Zumindest auf dem Papier habe die Europäische Union Interesse bekundet, Verhandlungen paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen. In der Praxis sei dies nicht immer der Fall.

Als konkretes Beispiel für erfolgreiche feministische Außenpolitik nennt von Cramon den Kosovo. Bei Serben und Kosovo-Albanern, gebe es gesellschaftlich aktive Frauengruppen. Sie würden auch untereinander einen engen Kontakt und kooperativen Stil pflegen, so die erfahrene Osteuropaexpertin. Diese Frauengruppen könnten vorantreiben, was bislang Männer sowie die staatliche Ebene verhinderten, so die Grüne Europa-Abgeordnete.  

Frauen im Blick behalten

Ein anderes Beispiel erwähnt Sonja Katharina Schiffers von der Heinrich-Böll-Stiftung. Bei Handelsabkommen mit Ländern, in denen es eine mächtige Textilindustrie gebe, sollte der Westens auch die Frage stellen: Welchen Einfluss das Abkommen auf die Frauen habe, die in der Textilindustrie arbeiten. Gender solle als Analysekategorie genutzt werden. Politische Maßnahmen würden daraufhin analysiert, inwieweit sie unterschiedliche Geschlechter und Personen mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten betreffen, meint sie. "Wir möchten ferner mehr Frauen im Botschaftsamt sehen," fordert  Schiffers. 

Ungute Arbeitsteilung  

Viola von Cramon sieht die Gefahr, dass eine Arbeitsteilung aus der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel auch unter Olaf Scholz fortgesetzt werden werde. Danach würde sich das Kanzleramt um die großen Player auf der internationalen Bühne kümmern: die USA, China, Frankreich, die EU oder Russland. Für das Außenministerium bliebe nur die Pflege der Beziehungen zu anderen Staaten übrig. Viola von Cramon kritisiert, dass der frühere Außenminister Heiko Maas sich zu einer solchen Aufteilung habe "degradieren" lassen. Sie hofft, dass Baerbock das Außenministerium stärken werde. Die Deutungshoheit dürfe nicht an das Kanzleramt abgegeben werden. 

Wer gibt die Richtung vor - Kanzler oder Außenministerin?Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Carlo Masalla sagt indessen voraus, dass sich das Kanzleramt auch weiterhin um das Verhältnis zu den "Großen in der Welt" kümmern werde. Die bisherige Arbeitsteilung in der Außenpolitik werde fortgesetzt. Baerbock werde sich an der Realität orientieren müssen. 

Anspruch und Wirklichkeit

Im Übrigen ließe sich am Beispiel Schwedens gut die Widersprüche feministischer Außenpolitik erläutern, so Masalla. Schweden habe zwar 2014 gelobt, eine andere, eine feministische Außenpolitik zu verfolgen. Gleichzeitig gehöre Schweden in Europa zu den Ländern, die in den letzten Jahren ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben. Der Grund: Stockholm empfindet Russland als Bedrohung.  

Einig sind sich die Experten darin, dass Deutschlands neue Außenministerin bereits jetzt eine härtere Linie gegenüber Russland und China an den Tag gelegt habe. Baerbock werde sich weiter einer feministischen Außenpolitik verpflichtet fühlen. Im Auswärtigen Amt sowie in den nachgelagerten Behörden würden Frauen stärker als bisher gefördert werden.